Kommentar
23:00 Uhr, 27.01.2009

Chancen und Herausforderungen an den Lateinamerikanischen Aktienmärkten

Die Finanzkrise hat die Entkopplungstheorie ernsthaft untergraben: Diese besagt, dass Investoren durch Diversifikation in Schwellenländeranlagen von Marktturbulenzen in den entwickelten Ländern weitgehend verschont bleiben. Was ist aber nun geschehen? Und vor allem: Gibt es weiterhin überzeugende Argumente für Investitionen in Lateinamerika?

Die jüngste Verkaufswelle lateinamerikanischer Aktien ist nicht durch Risiken innerhalb der Region ausgelöst worden. Aktienbewertungen waren nicht überzogen, Unternehmensdaten entsprachen den Prognosen und bis heute ist der Wachstumstrend in Südamerika ungebrochen. Der forcierte Abbau von Fremdkapital von Investoren rund um den Globus führte jedoch an allen Aktienmärkten zu plötzlichen und chaotischen Kurseinbrüchen, unabhängig von unterliegenden Fundamentaldaten. Die hohe Volatilität ist von der Sorge vor den extrem überbewerteten Immobilienmärkten in den USA und anderen Ländern angetrieben. Diese Situation, zusammen mit weiteren Aktienverkäufen von Hedgefonds und anderen Finanzinstitutionen, wirkt sich weltweit negativ auf das Wirtschaftswachstum aus.

Lateinamerika ist ein großer Subkontinent, das Bruttoinlandsprodukt wird für 2009 auf rund 4,5 Billionen US-Dollar geschätzt (entspricht etwa 6,8 Prozent der globalen Wertschöpfung). Bewertungen von lateinamerikanischen Unternehmen bieten Investoren nach wie vor langfristig attraktive Erträge: Die Region gehört auf wachstumsbereinigter Basis weiterhin zu den Märkten mit den attraktivsten Bewertungen. Diese Zahlen verdeutlichen auch vor dem Hintergrund des globalen Konjunktureinbruchs und möglichen weiteren Abwärtskorrekturen das Potenzial der Region. Dabei bleiben Brasilien, Mexiko und Chile weiterhin die interessantesten Länder der Region:

Das wirtschaftliche Wachstum in Brasilien liegt langfristig zwischen vier und fünf Prozent, auch wenn für 2009 infolge der weltweiten Verlangsamung ein Abschwung auf 2,5 Prozent erwartet wird. Standard & Poor´s hat die Bonität des Landes bereits im April 2008 und damit früher als erwartet hochgestuft. Auch in Chile hält die Wachstumsentwicklung an, obwohl nach Jahren mit hohen Zuwachsraten das Bruttoinlandsprodukt für das Andenland 2008 und 2009 unter die 5-Prozent-Marke fallen wird. Die mexikanische Wirtschaft wird hingegen, anders als seine lateinamerikanischen Nachbarn, weitaus mehr von der Entwicklung der US-Amerikanischen Wirtschaft beeinflusst. Rund 24 Prozent des mexikanischen Bruttoinlandsproduktes werden aus Exporten in die USA erwirtschaftet.

Die übrigen Staaten bieten im Vergleich zu den oben genannten nur wenige liquide Anlagemöglichkeiten oder verfolgen eine eher restriktive Wirtschaftspolitik: Venezuela, zum Beispiel, wird durch Präsident Chavez unberechenbare Politik von Anlegern gemieden. Argentinien ist ein Sonderfall, das Land bietet langfristig ein beträchtliches Potenzial, momentan ergeben sich für Anleger jedoch nur einige ausgewählte Unternehmensinvestitionen. Nach seinem Zahlungsausfall 2001 und dem jüngsten Plan, die Pensionskassen zu verstaatlichen, fehlt dem Land weiterhin ausländisches Kapital. Anlegern werden Investitionen zusätzlich durch staatliche Kontrollen erschwert.

Die lateinamerikanische Wirtschaft ist zudem sehr abhängig von Rohstoffen. Rund 20 Prozent des MSCI Latin America Index entfallen auf Erdöl- und Erdgas-Unternehmen, der überwiegende Anteil davon ist durch Petrobras repräsentiert. Der brasilianische Öl- und Gaskonzern geriet im vergangenen Jahr weltweit in die Schlagzeilen. Erst veröffentlichte das Unternehmen potenzielle neue Offshore-Erdölreserven vor der Küste Brasiliens. Dann wurde bekannt, dass die brasilianische Regierung die Bedingungen von Petrobras' Förderkonzession ändern würde. Einschätzungen zufolge wird Brasilien sich jedoch an die unterschriebenen Konzessionen halten. BlackRock geht davon aus, dass die jüngsten Funde des Unternehmens sich als gesicherte Vorkommen erweisen, die kommerziell ausgebeutet werden können. Damit wäre Petrobras noch mindestens ein Jahrzehnt lang in der Lage, die Erdölproduktion in Brasilien jährlich um vier bis sieben Prozent zu steigern. Der brasilianische Eisenerzgigant Vale do Rio Doce repräsentiert rund die Hälfte der übrigen 25 Prozent Rohstoffaktien an den lateinamerikanischen Aktienmärkten. Zwar rechnet man für 2009 infolge der weltweit nachlassenden Nachfrage nach Stahl mit einem Rückgang der Preise für Eisenerz. Diese Entwicklung ist jedoch bereits in den Preis der Vale do Rio Doce-Aktien eingepreist. BlackRock ist weiterhin optimistisch, was die Rohstoffabhängigkeit der Region betrifft. Langfristig ist der Rohstoff-Superzyklus nach wie vor intakt, bestätigt durch die Nachfrage aus den sich rasch industrialisierenden Schwellenländern sowie allgemeinen Kapazitätsengpässen bei der Förderung. Bis dahin sollten die diversen Konjunkturprogramme (beispielsweise China) die Nachfrage stimulieren und einem weiteren Preisverfall entgegenwirken.

Das Hauptargument für Investitionen in Lateinamerika ist jedoch der langfristige, stetige Wandel, der sich in der Region vollzieht und die Basis für nachhaltiges Wachstum in der Realwirtschaft und an den Aktienmärkten bildet: Während die entwickelte Welt immer noch mit den Folgen der Subprime-Krise und Kreditklemme zu kämpfen hat, ist den lateinamerikanischen Banken ihr begrenztes Engagement in diesen problembehafteten Bereichen bisher zugute gekommen. Sie verbuchen weiterhin kräftige Gewinnzuwächse, wachsende Kreditbestände und eine stetige hohe Qualität ihrer Aktiva. In vielen lateinamerikanischen Ländern sind Hypotheken erschwinglicher geworden. Gleichzeitig besteht hier im Vergleich zum Durchdringungsgrad in den Industrieländern noch reichlich Spielraum für weiteres Wachstum. Zudem bietet die Entwicklung eines breiten Mittelstandes in der Region eine hervorragende Basis für künftiges Wachstum. So sank in den ersten fünf Jahren der Amtszeit von Präsident Lula der unter der Armutsgrenze lebende Anteil an der brasilianischen Bevölkerung (Wirtschaftsklassen D und E) um 20 Prozent. Das entspricht in absoluten Zahlen über 30 Millionen Menschen, die 2002 nicht wirtschaftlich aktiv waren. Sie zählen heute zu den 72 Prozent der brasilianischen Bevölkerung, die in den Wirtschaftsklassen A, B und C aktiv am Wirtschaftsleben teilhaben und ihr erstes Eigenheim, Autos und Haushaltsgeräte erstehen, Darlehen aufnehmen und zu den Konsumausgaben beitragen.

Insgesamt bietet Lateinamerika also attraktive Anlagemöglichkeiten für langfristig orientierte Anleger. Dabei profitiert der Subkontinent vor allem vom globalen Rohstoffzyklus, der unserer Ansicht nach ungebrochen ist, sowie einem auf lange Sicht soliden binnenwirtschaftlichen Wachstumspotenzial. Im Hinblick auf die wirtschaftliche und politische Situation bestehen indes gravierende Unterschiede zwischen den Ländern der Region. Für Investoren ist daher ein gründlicher Auswahlprozess bei den einzelnen Märkten und Einzeltiteln unerlässlich.

Quelle: BlackRock

BlackRock ist eine der größten börsennotierten Investment-Management-Firmen weltweit. Per Ende Dezember 2007 beliefen sich die verwalteten Kundengelder von BlackRock insgesamt auf 1,357 Billionen US-Dollar. Das Unternehmen verwaltet Vermögenswerte für institutionelle und private Investoren weltweit mit einer breiten Palette von Anlageprodukten aus den Bereichen Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Geldmarkt- und alternative Investments.

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