Börse à la Beckett: Warten auf die Jahresendrallye…
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Schade, dass Samuel Becketts Lebensvorhang schon gefallen ist. Der Großmeister des absurden Theaters hätte einen Heidenspaß an der Neuinszenierung seines Paradestücks "Warten auf Godot" gehabt, die seit einigen Wochen auf dem Parkett gegeben wird. Wie Wladimir und Estragon lungern die Börsianer in der Ödnis herum und ihre Gedanken kreisen nicht um langfristige Perspektiven, sondern bloß um die eine Frage, ob sie denn nun kommt oder nicht - die viel beschworene Jahresendrallye. Zugegeben, so hoffnungslos wie bei den beiden Landstreichern, die in jedem Akt aufs Neue versuchen sich umzubringen, ist die Lage bei weitem nicht; doch wo ein wirklich signifikanter Ausbruch nach oben herkommen soll, ist mehr als schleierhaft.
Beispiel DAX: Natürlich kann der Frankfurter Leitindex bei entsprechendem internationalen Rückenwind zum Jahresende die von einigen Analysten in den Raum gestellten 4.350 Punkte erreichen. Ausgehend vom aktuellen Niveau wären das allerdings gerade einmal vier Prozent Plus - nicht unbedingt ein Potential, für das man gerne das Risiko eines ungesicherten Direktinvestments auf sich nimmt. Zumal alles auch ganz anders kommen könnte, denn vor die Mini-Rallye haben die deutschen Börsengötter die 4.175er Marke gesetzt. Mit jedem Tag, an dem der DAX an diesem aus dem temporären Hoch vom Januar abgeleiteten Widerstand abprallt oder bloß müde darum herumdümpelt, sinkt die Wahrscheinlichkeit für einen neuen Aufschwung. Der Kursanstieg von Ende Oktober / Anfang November würde sukzessive sein technisches Momentum verlieren und unter dem Strich steht dann lediglich ein nach oben verschobener Seitwärts-Korridor.
Wer als risikobereiter Anleger von diesem eher durchwachsenen Szenario profitieren will, wird momentan wieder bei der Deutschen Bank fündig. Der am 19. November mit einer Laufzeit von 50 Börsentagen (Fälligkeit 31. Januar 2005) begebene "DAX 4.000/4.400 Single Korridor" (ISIN DE 000 DB1 6FC 8) beispielsweise "hamstert" für jeden Tag, an dem der DAX innerhalb der Bandbreite schließt, zehn Cent inneren Wert. Im Optimalfall werden also fünf Euro angesammelt, woraus sich auf Basis des aktuellen Briefkurses von 3,49 Euro eine Chance von bis zu 43 Prozent errechnet. Der rund fünfprozentige Spielraum nach oben deckt sich mit den meisten Analystenerwartungen, während nach unten die psychologische Marke von 4.000 Punkten als Unterstützung ausreichen sollte. Trotz dieser interessanten Positionierung ist ein Investment naturgemäß hoch spekulativ - der frisch emittierte Schein verfügt noch über keinerlei inneren Wert und wenn der DAX wider Erwarten mehr als 15 Tage außerhalb des Korridors verharrt, rutschen Sie in die Miesen.
Mit einer anderen Korridor-Variante kann man derweil entschieden gegen die Jahresendrallye wetten. Der ebenfalls auf 50 Börsentage befristete "DAX 4.175 Top Down" (ISIN DE 000 DB1 6FE 4) nimmt genau den neuralgischen Punkt ins Visier und streicht täglich 10 Cent ein, sofern der Index darunter liegt. Aus Maximalrückzahlung (5,00 Euro) und Briefkurs (3,16 Euro) errechnet sich sogar ein Renditepotential von 58 Prozent, doch ob das Kalkül aufgeht, erscheint mehr als fraglich - aktuell bewegt sich der DAX leicht oberhalb der Schwelle und jeder weitere Anstieg reduziert die Wahrscheinlichkeit, selbst die für das Erreichen der Gewinnzone erforderlichen 32 Tage zusammenzukriegen. Auch wenn die Deutsche Bank hier wieder einmal ihr Gespür für Chart-Konstallationen beweist, erscheint uns das Produkt insgesamt zu eindimensional; die gerade einmal 15 Prozentpunkte höhere Rendite ist keine ausreichende Kompensation für das gegenüber dem Korridor 4.000 / 4.400 unseres Erachtens deutlich erhöhte Risiko.
Darüber hinaus hat das X-markets-Team bereits vor einigen Wochen das Korridor-Prinzip mit dem inzwischen hinlänglich bekannten "Rolling"-Mechanismus gekreuzt: Der laufzeitlich unbegrenzte "Rolling Korridor" (ISIN DE 000 DB1 CLY 4) bezieht sich auf einen Basket, der alle 50 Tage mit einem neuen Korridor-Schein bestückt wird, dessen Begrenzungen jeweils fünf Prozent über bzw. unter dem DAX-Stand am Umschichtungstag fixiert werden. Auf den ersten Blick keine schlechte Idee, schließlich spart man sich auf diese Weise in einer längeren Seitwärtsbewegung den mit einer "händischen" Wiederanlage verbundenen Aufwand - man muss weder auf Folgeemissionen warten noch eine neue Order geben, sondern reinvestiert den gesamten Erlös ohne irgendwelche Transaktionskosten in eine automatisch an zwischenzeitliche Index-Veränderun- gen angepasste Korridor-Position.
Aber Vorsicht: Das Wörtchen "Rolling" und die unbegrenzte Laufzeit dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier nicht mit einem Anlageprodukt à la "Rolling Discount" zu tun haben, was man einfach mal beimischt, um für stagnierende Märkte gerüstet zu sein. Eine "Kaufen & Liegenlassen"-Strategie kann hier übelst ins Auge gehen, denn wenn der DAX kurz nach dem Umschichtungstermin die Bandbreite verlässt und bis zum nächsten Stichtag nicht mehr zurückkehrt, sitzt man schnell auf Verlusten von 60 bis 90 Prozent. Der traurige Restwert wird dann zwar noch mal reinvestiert, doch um die erlittenen Einbußen wieder wettzumachen, müsste man selbst bei optimalem Index-Verlauf einige Jahre warten. Dass der "gerollte Korridor" einer genauso intensiven Risikokontrolle bedarf wie jeder andere Optionsschein, zeigt auch der bisherige Kursverlauf: Wer gleich am Emissionstag (erste Bandbreite: 3.700 bis 4.100 Punkte) zugegriffen hat, liegt nach dem Höhenflug des DAX nun bereits knapp 40 Prozent im Minus und selbst der aktuelle Briefkurs von 2,59 Euro impliziert bei einem inneren Wert von 1,30 Euro noch einen kräftigen Hoffnungszuschlag, der mit jedem Tag, den der Index über 4.100 Punkten beschließt, weiter zusammenschmilzt.
Obendrein muss die Frage erlaubt sein, inwieweit die Fünf-Prozent-Regel nicht zu statisch ist und ob es nicht besser wäre, die Breite des Korridors auf das Volatilitätsumfeld abzustimmen. Natürlich, bei hoher Schwankungsintensität ist die Korridor-Position billiger und man bekommt am Umschichtungstag mehr Korridor-Bruchteile mit höherer Maximalrendite. Doch was nutzt das, wenn der Index zu starke Ausschläge zeigt? Besser wäre es, wenn die Schwellen in einem solchen Szenario weiter auseinanderliegen, wodurch sich zwar die Gewinnchance reduzieren, gleichzeitig aber die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen würde. Unabhängig davon kann die Fixierung des Korridors an den jeweiligen Stichtagen wie bei allen "Rolling"-Produkten gewissen Zufälligkeiten ausgesetzt sein; vielleicht erwischt man gerade einen Tag mit starken Kursgewinnen, die schon wenig später wieder abgegeben werden, so dass der DAX schnell Richtung untere Schwelle rutscht. Verschärft wird dieses Problem noch dadurch, dass der Index direkt nach der Umschichtung genau in der Mitte der neuen Bandbreite liegt - dank dieser Konstellation zahlt man immer die teuerste Prämie. Spätestens hier wird klar: Das "Rolling"-Konzept bietet nicht die Flexibilität, die ein erfolgreiches Korridor-Investment braucht.
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