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10:55 Uhr, 21.07.2004

Betafaktor.info: <u>Die heilsame Aufnahme des Ostens</u>

Externe Quelle: Betafaktor.info

Steuererhöhungen im Osten der wachsenden Europäischen Union, fordern Gerhard Schröder und seine Kern-Europa-Freunde unisono. Die Begründung ist bestechend und nicht völlig von der Hand zu weisen: Die Beitrittsländer würden Zuflüsse aus dem - von den Netto-Zahlern Deutschland, Frankreich und England finanzierten - Fördertopf dazu missbrauchen, die eigenen Steuersätze zu senken. Als Folge sieht Schröder deutsche Firmen massenhaft in den Osten auswandern. In der Tat, es ist verlockend, und man muss noch nicht mal weit reisen: Die Alpenrepublik Österreich, durch ihre geographische Lage der Ost-Konkurrenz ebenso offensichtlich ausgeliefert, senkt die Unternehmenssteuern auf 25%. Deutschland kommt auf 38% (Körperschaftssteuer plus Gewerbesteuer). Noch offensiver die Polen mit 19%, die Slowakei führte gar eine Flat-Tax für alle (ohne Progresssion) von 19% ein und sieht sogar noch Potential nach unten. Von den baltischen Staaten ganz zu schweigen, die aber wohl schon alleine wegen ihrer Grösse kein Massenrefugium europäischer Grosskonzerne werden können.
Die Frage der Besteuerung ist für europäische Unternehmen zwar wichtig, liegt aber in ihrer Bedeutung nicht auf den vordersten Plätzen. Entscheidend sind immer noch Faktoren wie Infrastruktur, Angebot an ausgebildeten Fachkräften, Arbeitskosten etc. Aber auch hier holt der Osten rasant auf: Günstige Arbeitnehmer, die (vorerst) keinen Ärger machen, ein wachsender Ausbildungsstandard, gekoppelt mit einer verlockend niedrigen Besteuerung: Dieser neue Pool macht den etablierten Europäern zu Recht Angst. Warum ist die Aufnahme der neuen Konkurrenz in die Union dennoch ein Glücksfall für Deutschland? Seit Gründung der Bundesrepublik war dieses Land noch nie einem derartigen Druck von mehreren Seiten ausgesetzt. Mit folgender Konsequenz: Alles, was geändert werden MUSS, KANN in den nächsten Jahren endlich auch geändert werden. Ich will das überstrapazierte Wort Reformen gar nicht in den Mund nehmen. Für das, was im Sozialsystem noch passieren wird, ist der Begriff ohnehin inadäquat. Einen sehr deutlichen Vorgeschmack werden wir nächstes Jahr erleben, wenn das Arbeitslosengeld II eingeführt wird. Die Tragweite der darin implementierten Änderungen wurde vom betroffenen Teil des Volkes vermutlich noch gar nicht realisiert. Von den Behörden schon: Man macht sich bereits Gedanken über das Engagement von Sicherheitsdiensten, die den "Mob" davon abhalten sollen, den Staatsdienern etwas anzutun. Der 1. Januar 2005 markiert den dicksten Eingriff in das Sozialsystem der BRD seit ihrem Bestehen. Auf mittlere Sicht wird er für den Grossteil der Bevölkerung sogar eine Verbesserung der Situation mit sich bringen, aber zunächst wird es etliche eiskalt erwischen. Werden die Kriterien eisern durchgezogen (Anrechnung von eigenem Vermögen, Anrechung des Einkommens des Partners, drastische Verschärfung der Zumutbarkeit) dann könnten wir ein kleines Wirtschaftswunder erleben: Denn all diejenigen, die absichtlich in der "sozialen Hängematte" leben, werden hinunterpurzeln und aus der Statistik entlassen. Spätestens 2006, mit der Regierungsübernahme der Union, werden dann wohl vorübergehend alle Tabus fallen. Die Konstellation im Bundesrat, in der Union/FDP dann wahrscheinlich eine 2/3-Mehrheit haben, wird der neuen Regierung eine selten erlebte Macht verleihen. Für die unschuldig Betroffenen ist das natürlich sehr hart, aber jede Revolution hat ihre Opfer. Schon in einigen Jahren könnte das Resultat u.a. jene Steuerreform sein, die wir alle begehren, die aber zu diesem Zeitpunkt nur aufgrund des enormen Drucks aus Konkurrenzländern möglich ist: Die Tatsache, dass der deutsche Staat schon mittlere Einkommen zu mehr als der Hälfte enteignet (ohne adäquate Gegenleistung), wird ein Ende haben. Leistung wird sich wieder lohnen, und Eigenverantwortung wird nicht nur unabdingbar, sondern auch wieder möglich. Und der Kostenvorteil des Ostens wird in Zukunft sinken: Sowohl was die Steuern angeht, als auch bedingt durch dort steigende Löhne. Vielleicht kommt Deutschland so ab dem Jahr 2006 wieder auf Weltmeisterschafts-Tour: Auf der Bank wird erstmals eine Frau sitzen.

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