Besser bereithalten für einen möglichen Sturm
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Externe Quelle: Unicredit
Die Krise in Griechenland ist nicht vorbei, und sie ist von existenzieller Bedeutung für die Eurozone. Diese Krise ist eine Art Reifeprüfung, der sich die Eurozone unter den Augen der neugierigen Zuschauer unterziehen muss. Es ist leicht, sich auf die Seite der Skeptiker zu stellen, die in der Krise den Beweis für das Scheitern der Währungsunion sehen. Ebenso leicht ist es, spöttisch auf die Unentschlossenheit der europäischen Staatsoberhäupter zu blicken, die noch letzte Woche einen innbrünstig erwarteten Gipfel mit der "vagen" Zusage beschlossen, Griechenland in höchster Not grundsätzlich helfen zu wollen.
Andererseits sollte man vielleicht aber auch mit Respekt in diese Richtung blicken. Die Länder der Eurozone begaben sich vor zehn Jahren auf eine äußerst ambitionierte und nie da gewesene Reise. Sie führten eine gemeinsame Währung ein, wobei sie lediglich wussten, dass dies für sie ein höheres Maß an wirtschaftlicher und politischer Integration bedeuten würde. Wie viel Integration nötig sein würde, wie viel Integration tatsächlich stattfinden würde, und wie viel Integration sie eigentlich wollten, davon hatten sie keine konkreten Vorstellungen. Es war ein mutiger Sprung ins kalte Wasser – unbedacht vielleicht, aber dennoch mutig. Nun aber ist der Augenblick der Wahrheit gekommen: Die Finanzkrise hat dazu geführt, dass sich die Spannungen und Ungleichgewichte der letzten zehn Jahre verstärkt und fast bis zum Zerreißen verschärft haben, sodass nun ein Eingreifen erforderlich wird.
Zweifellos kann die Währungsunion nur mit einem hinreichenden Maß an Integration funktionieren. Man muss den Gründern der Union zugute halten, dass ihnen dies sehr wohl bewusst war. Aus diesem Grund wurde seinerzeit der Wachstums- und Stabilitätspakt beschlossen. Da die einzelnen Länder nicht bereit waren, ihre Souveränität aufzugeben, sollte der Stabilitätspakt ein gewisses Maß an Koordination und Disziplin innerhalb der einzelnen Haushalte gewährleisten. Das Problem ist, dass der Stabilitätspakt niemals wirklich umgesetzt wurde. Der Wortlaut wurde in einigen Fällen befolgt, nicht aber die Idee hinter den Formulierungen. In allen Diskussionen standen grundsätzlich die Einhaltung der Drei-Prozent-Grenze für das jeweilige Haushaltsdefizit und die Anwendung entsprechender Sanktionen im Vordergrund. Tatsächlich sieht der Stabilitätspakt jedoch vor, dass die einzelnen Länder über einzelne Konjunkturzyklen hinweg eine weitgehend ausgeglichene Haushaltspolitik betreiben sollen. Anders ausgedrückt, ein nationaler Haushalt sollte mehr oder weniger ausgeglichen sein, wenn ein gesundes Wachstum dies erlaubt, damit in einer Rezessionsphase die automatischen Stabilisierungsmechanismen greifen können, ohne die Drei-Prozent-Grenze zu verletzen (auf drei Prozent des BIP schätzte man aufgrund der damaligen Erfahrungswerte die Auswirkungen eines starken negativen Wachstumsschocks). Länder, in denen die Gesamtverschuldung mehr als 60% des BIP erreichte, sollten zudem durch strengere Vorgaben zu einer Korrektur gezwungen werden. In der Praxis wurde der Wachstums- und Stabilitätspakt jedoch schlicht so ausgelegt, dass die Drei-Prozent-Grenze unter keinen Umständen verletzt werden darf. Die Folge war, dass zahlreiche Länder der Eurozone in den Wachstumsjahren des Kreditbooms eine pro-zyklische, expansive Haushaltspolitik betrieben, anstatt die Gelegenheit zu einer Konsolidierung ihrer Haushalte zu nutzen.
Selbst der direkte Wortlaut des Vertrages war praktisch nicht durchzusetzen: Es wird heute gerne vergessen, dass während der letzten Rezession größere Länder wie Deutschland oder Frankreich offen die Vorgaben des Stabilitätspaktes verletzten, ohne dafür bestraft zu werden. Gleichzeitig wurden kleinere Haushaltssünder wie beispielsweise Portugal sehr wohl mit Sanktionen belegt. In der Folge entwickelte sich die Auffassung, dass mit zweierlei Maß gemessen wurde und politische Schwergewichte bevorzugt behandelt wurden. Dies beschädigte die Glaubwürdigkeit und die Legitimation des Stabilitätspaktes. Vor diesem Hintergrund erscheint es vielleicht weniger überraschend, dass Griechenland zu „kreativer Buchhaltung“ bereit war, besitzt das Land doch nicht das gleiche politische Gewicht wie seine größeren Brüder innerhalb der Währungsunion.
Vor allen anderen Dingen muss nun die Glaubwürdigkeit der bestehenden Haushaltsvorschriften wiederhergestellt werden. Ottmar Issing hat ganz Recht wenn er erklärt, eine offene Rettungsaktion für Griechenland wäre „eine Katastrophe” für Europa, da ein völlig falsches Signal davon ausgehe, wenn man Verfehlungen obendrein noch belohnt. Wenn die Länder davon ausgehen dürfen, dass sie die Vorzüge einer freigiebigen internen Haushaltspolitik genießen können, ohne die Zeche dafür zahlen zu müssen, würde dies die finanzielle Stabilität der Eurozone als Ganzes untergraben. Von daher hat die EU ganz Recht, wenn sie von Griechenland entschiedene Maßnahmen fordert. Dennoch muss man auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es der griechischen Regierung vielleicht nicht rechtzeitig gelingt, das Vertrauen der Märkte zurück zu gewinnen. Ebenso muss man sich vor Augen halten, dass ein Zahlungsausfall innerhalb der Eurozone eine Kettenreaktion auslösen könnte, deren Folgen weit reichend und nur schwer abschätzbar sein dürften. Aus diesem Grund hat die EU auch angedeutet, Griechenland im Notfall durchaus unterstützen zu wollen. Worauf es nun ankommt ist, dass eine mögliche Unterstützung an glaubwürdige Konditionen geknüpft ist. Hilfe durch den IWF schloss die EU kategorisch aus, es sei denn in Form rein beratender Unterstützung. Unseres Erachtens war diese Entscheidung ein Fehler, aber nun muss die EU einen Weg finden, Griechenland glaubwürdig zur Einhaltung von Konditionen zu bewegen, falls eine finanzielle Unterstützung tatsächlich erforderlich werden sollte. Dieses Ziel dürfte nicht leicht zu erreichen sein, und die aktuellen Diskussionen lassen erkennen, dass man am liebsten die Souveränität der griechischen Regierung im Hinblick auf ihre eigene Haushaltspolitik beschneiden würde. Dies könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein, da er auf eine stärkere Zentralisierung bei Entscheidungsfindungen abzielt. Ein solcher Entschluss wäre jedoch weder unerheblich noch unproblematisch, insbesondere, da er unter Druck gefasst werden müsste. Die Märkte scheinen sich vorerst beruhigt zu haben und beobachten nun den Verlauf der Verhandlungen. Dies dürfte jedoch nur die Ruhe vor dem Sturm sein: Wenn Anfang April erste griechische Anleihen fällig werden, könnte es mit der Geduld der Märkte schnell vorbei sein, zumindest was die schleppenden Verhandlungen und vagen Formulierungen der EU angeht. In diesem Fall muss vielleicht eine schnelle Entscheidung getroffen werden, und die Verantwortlichen der EU täten gut daran, darauf vorbereitet zu sein.
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