Baumwolle: Kommt eine zweite Hungersnot?
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Spätestens wenn man Vergleiche für heute gehandelte Preise in Geschichtsbüchern suchen muss, weiß man, dass einiges passiert sein muss.
Ein amerikanisches Pound Baumwolle – das sind 453,6 Gramm - kostete heute zeitweise 1,2854 Dollar. Das ist der höchste Kurs seit Gründung der New Yorker Baumwollbörse im Jahr 1870. Die nächstälteren Aufzeichnungen lassen sich erst bei der Mississippi-Gesellschaft für Geschichte finden. Sie zeichnete einen Preis von 1,89 Dollar während der amerikanischen Sezessionskriege (1861-1865) auf.
Von 1973 bis Anfang 2010 pendelte Baumwolle verlässlich in einer Spanne zwischen 40 und 100 cents hin und her. Es war möglich, diese Spanne verlässlich zu handeln – im Bereich von 40 cents long – im Bereich von 100 cents short. Die Baumwollpreise bildeten die Wertentwicklung des US-Dollars invers nach und waren außerdem eng an die Preise von Sojabohnen gekoppelt, da Baumwolle in den selben Regionen wie Soja am Mississippidelta und im amerikanischen Süden angebaut werden kann. Baumwolle war ein zyklischer Markt. Das ist vorüber.
Baumwolle war auch eine politische Waffe. Im 19. Jahrhundert waren die USA der größte Baumwollproduzent der Erde. Auf den Baumwollfeldern wurden Sklaven eingesetzt und der Baumwollimport aus den USA war umstritten. Großbritannien kaufte trotzdem den Großteil der amerikanischen Baumwolle. Als 1861 der Sezessionskrieg begann, wurden die Baumwollexporte der USA durch eine Blockade der Union (Nordstaaten) über die Konföderierten (Südstaaten) unterbunden. Im britischen Textilindustriezentrum Lancashire dachte man zunächst, dass diese Blockade temporärer Natur sein wird. Erst später stellte sich heraus, dass der Krieg noch lange dauert. In Großbritannien kam es zu Schließungen von Fabriken und Massenentlassungen. Auch die französische und deutsche Textilindustrie war betroffen. Die Konföderation hoffte damals, dass der wirtschaftliche, auf Europa lastende Druck die Europäer dazu bewegen werde, ihnen als Alliierte zur Seite zu stehen – vergeblich. Die Europäer bekräftigten trotz ihrer wirtschaftlich schweren Lage ihre Allianz mit der Union, die auch für den Kampf gegen die Sklaverei stand. Mit dem Ende des Sezessionskriegs kam auch das Ende der Sklaverei in den USA – und die Exporte nach Europa wurden bald wieder aufgenommen.
Heute sind die USA nur noch drittgrößter Baumwollproduzent der Erde, nach Indien und China. In der Volksrepublik haben in diesem Jahr starke Regenfälle die Baumwollernte beschädigt. In Pakistan, dem viertgrößten Baumwollproduzenten weltweit, hat die verheerende Flut Schaden angerichtet. Die Weltbaumwollernte wird in diesem Jahr um 5,4% sinken, die Lagerbestände brechen sogar um 18% auf 10,5 Tonnen ein, schätzt der Internationale Baumwollberatungsverband in Washington. Zwar wird Indien eine üppige Ernte ausweisen und auch Usbekistan – der weltweit drittgrößte Exporteur – wird 600,000 Tonnen exportieren – doch das wird nicht ausreichen, die Missernten in China und Pakistan auszugleichen. Das Verhältnis der Lagerbevorratungen zum Verbrauch ist auf 40% gefallen – während normalerweise mindestens 50% des weltweiten jährlichen Verbrauchs in den Lägern liegen. Das könnte laut der Cotton Corp of India dazu führen, dass die Baumwollpreise über die nächsten drei Jahre nicht mehr unter die 1-Dollar-Marke fallen werden.
Das liege vor allem an der „fantastischen“ Nachfrage, erklärt Subhash Grover, der Verwaltungsdirektor der Cotton Corp of India. „Wir sollten aufhören überrascht zu sein, wenn neue Rekordpreise kommen.“ Die Nachfrage kommt vor allem aus China. Die Webereien kaufen massiv Baumwolle am Markt ein, weil sie eine Konjunkturerholung wittern und ihre Lager füllen wollen. 267,700 Ballen Baumwolle kaufte China in den USA alleine in der vergangenen Woche, das ist mehr als die Hälfte der Gesamtexportmenge und ebenfalls mehr, als normalerweise von China wöchentlich nachgefragt wird. Am Ende der chinesischen Einkaufswoche sprang Baumwolle auf das Hoch bei 1,1980 Dollar. Es verging wenig Zeit, bis darauf der chinesische Baumwollverband eine Stellungnahme auf seiner Webseite veröffentlichte. Der jüngste Preisanstieg sei nur von Spekulanten hervorgerufen worden, heißt es da. „Das hat die Reihenfolge der Bestellungen durcheinandergebracht, hat zu geringerer Baumwollqualität geführt und hat die langfristige Stabilität der Baumwollindustrie als Ganzes gefährdet.“
Die Textilindustrie ächzt unter den neuen Preisen. Sie ist nicht in der Lage, den Anstieg der Baumwollpreise seit Jahresbeginn um 80% an die ohnehin sparsam gewordenen Verbraucher weiter zu reichen. Der Nationale Verband der Einzelhändler rechnet für Weihnachten 2010 mit einem Anstieg der gesamten Einzelhandelsumsätze um nur 1%. Verbandspräsident Matthew Shay sagt hierzu: „Die Verbraucher haben immer noch die wirtschaftliche Lage im Hinterkopf, wenn sie Ausgaben tätigen, es gibt aber Tendenzen, die auf eine Rückkehr zur Normalität hindeuten.“ Sollten die Preise für Kleidung aber zu teuer werden, wird auch die Nachfrage zwangsläufig sinken. Recht gut geht es noch Premiumherstellern wie Levi Strauss, die Möglichkeiten haben, ihre gestiegenen Einkaufspreise an die Kundschaft weiterzureichen. Gefährdet sind hingegen Discounthändler, die über Preise bei Standardbekleidung wie T-Shirts konkurrieren.