Automatisiertes Trading - Der Experte aus der Konserve?
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MetaTrader auf, ‚AutoTrading‘ an und auf den Reichtum warten. So leicht ist automatisches Trading. Keine Gier, keine Angst, keine Stunden vor dem Monitor. Jedenfalls wenn Sie die richtige Automatik haben.
Die Automatik, das ist was MetaTrader einen ‚Expert Advisor‘, kurz einen EA nennt: Ein Plug-In, das ein offenes Chart überwacht nach definierten Szenarien, die Einstiegs- und Ausstiegssignale liefern. Die Kreuzung zweier Moving Average-Indikatoren zum Beispiel. Findet sie statt, öffnet der EA einen Trade. Lotgröße, Stop-Loss, Ausstiegsstrategie und dergleichen sind ebenfalls einprogrammiert.
Ein regelrechtes System
Expert Advisors sind daher toll, um eine Trading-Strategie zu automatisieren, die völlig systematisiert ist. Wer so viele Gedanken in seine Strategie gesteckt hat, dass jeder Schritt als klare Regel formulierbar ist, kann sich nun die Zeit vorm Monitor sparen, diese Regeln händisch anzuwenden.
Wer sich von Regeln schon mal überfordert fühlt und mehr Selbstdisziplin wünscht, dem sei psychologisches Training angeraten, aber unterstützend, wie Nikotinpflaster, sind EAs, die die Versuchung mindern, ein Gedanke.
Und auch wer mit dem Trading ganz am Anfang steht, findet es vielleicht leichter, einem ‚Experten‘ zu vertrauen, der von einem echten Experten programmiert wurde, statt selbst Hand, das heißt Trades, anzulegen.
Backtesting für den ersten Eindruck
Expert Advisor gibt’s etwa auf MQL5.com, die meisten für wenig Geld. Anders als beim manuellen Traden kann man via ‚Strategietester‘ im MetaTrader zudem vor dem Kauf und innert Minuten berechnen, was das Ding kann. Oder mindestens in der Vergangenheit konnte: Hätte es mit bestimmten Einstellungen angewandt auf ein Instrument (Chart) in einem bestimmten Timeframe und einem bestimmten Zeitraum der Vergangenheit profitabel gehandelt?
Backtesting ermöglicht so schon eine Vorauswahl nach Ausschlussprinzip. Ein EA, der das imaginäre Backtest-Konto innert Wochen für ein Instrument nach dem andern leersaugt, fliegt raus. Einer dagegen, der über Jahre der Vergangenheit profitabel blieb, ist ein Kandidat, vor allem wenn Ihr Broker etwas längere, verlässliche Chartdaten anbietet und Sie sehen können, wie der EA eine Krise wie 2008 durchgestanden hätte. An einem verregneten Samstag kann man so Jahrzehnte Börsengeschichte durchspielen und beliebig viele Strategien mit unterschiedlichen EA-Einstellungen, sie zu meistern.
Vorsicht vor Curve Fitting
Die Gefahr dabei: Einstellungen, nach denen Trades eingegangen werden, nur um die Chartkurven der Vergangenheit herum zu optimieren. Das ist, wie auf einem alten Chart rückblickend natürlich sofort zu erkennen, wo Ein- und Ausstiege gelegen hätten für maximalen Profit.
Die Gegenwart aber verläuft anders und findet live statt, ohne dass man voraussehe, ob Zeit zum Ausstieg ist oder ein Trend weitergeht. Wenn ein EA daher mit einer Einstellung zum Ruin führt und mit einer geringfügig anderen zu Millionen, stimmt was nicht. Heißt: Wenn Sie den Stop-Loss deaktivieren und Ruin erleiden, ist das fahrlässig. Wenn Sie aber mit einem Stop-Loss von 30 und 70 Kerzen Verluste und nur mit 50 Kerzen Gewinne machen, ist das verdächtig. Testen Sie dann mal 10 und 100 Kerzen um zu sehen, ob sich eine logische Erklärung auftut. Falls nicht, ist der Erfolg mit 50 ein Zufallstreffer – das Ergebnis von Curve Fitting. Ein solcher EA taugt vermutlich nicht für die Zukunft mit anderen, nicht optimierten Marktgegebenheiten.
Vorsicht auch vor EAs, die sich auf ein einziges Instrument beschränken, solange es hierfür keinen plausiblen Grund gibt. Ein EA ist eine Reihe von Regeln – die sollten auf EURUSD ebenso anwendbar sein wie auf GBPJPY. Sonst regt sich der Verdacht, der Entwickler hätte seine Regeln nur um die letzten zehn Kurvenjahre von EURUSD herumentwickelt. Das kann natürlich noch eine Weile gutgehen, wenn sich die Kurve auch die nächsten Jahre gleich verhält. Aber irgendwann ändert sich ihr Verhalten und der EA bricht zusammen.
Forward-Testing: Jetzt wird’s ernst
Sieht dagegen alles rosig aus, geht’s ans Forward-Testing. Das findet anders als Backtesting in Echtzeit statt, erst auf einem üblichen Demokonto, dann auf einem anorexischen Livekonto: MetaTrader ist offen, das Chart läuft, nur statt selbst Trades aufzusetzen und abzuwickeln, überlassen Sie das dem EA. Da historische Chartdaten nämlich nur Preise und keine Marktkonditionen speichern, erkennen Sie die wirkliche Leistung des EA erst, wenn Sie ihn mit Kommissionen, Spread, Slippage, Gaps und was sonst noch so anfallen kann konfrontieren.
Wie lange? Bis Sie einen klaren, objektiven Eindruck gewonnen haben. Dass die ersten drei Trades profitabel sind, heißt noch gar nichts. Projizieren Sie nicht rein, auch die nächsten dreitausend würden es. Aber trennen Sie sich auch nicht zu früh von einem Kanditaten, nur weil die ersten drei Trades Verluste machten. Ein EA mit vernünftiger Idee, klarer Beschreibung und hoffnungsvollen, nicht kurvenoptimierten Backtest-Ergebnissen verdient einige Monate Forward-Testing.
Testen Sie mehrere parallel, sei es auf verschiedenen Konten. So sehen Sie auch, wie sie unterschiedlich auf den gleichen Markt reagieren.
Achtung, Black Box
Wer bei MQL5.com, MetaTraders offiziellem Marktplatz, einkauft, stellt fest wie unterschiedlich gut die Angebote beschrieben sind. Einige EAs werden detailliert erklärt, womöglich mit Verweis auf große Namen als Entwicklungsvorbilder. Andere erklären gar nichts, sondern zeigen anhand von Backtest-Ergebnissen, wie dieses Nichts aus tausend Euro Millionen gemacht haben will. Black Boxes nennt man die, schwarze Kästen, bei denen man nicht weiß, nach welchen Regeln sie operieren. Sicher ist es spaßig, sie mal im Strategietester nachzurechnen und mit Einstellungen zu spielen – sei es nur, um Curve Fitting zu verstehen. Doch widerstehen Sie der Versuchung, für sowas viel Geld hinzulegen. Der Kaufpreis ist oft erst der Anfang Ihrer Verluste.
Diversifizieren Sie
Zweifellos gibt es profitable Black Boxes oder gar solche, die ihren Anwendern viel Geld beschert haben. Doch es braucht großes Vertrauen – und Vertrauen ist etwas völlig anderes als Wunschdenken oder Gier –, sich auf eine einzulassen. Wenn Sie Lust darauf haben, tun Sie es nicht ohne Diversifizierung. Richten Sie nach fundiertem erfolgreichem Forward-Testing drei, vier kleinere Konten ein und lassen Sie jedes von einem anderen EA bearbeiten. So, als hätten Sie vier ganz verschieden denkende Trader.
Sicher ist die Versuchung groß, alles auf einen zu setzen, wenn alle Tests Hoffnung machen. Doch den Heiligen Gral gibt es nicht. Außergewöhnlich profitable EAs sind das meist nur in einer Marktumgebung: wenn es klare Trends gibt, oder wenn grade nicht. Ändert sich der Markt, machen sie vielleicht ebenso spektakuläre Verluste.
Diversifizierung ist daher nur das Abwenden von Verlusten, falls ein EA durchbrennt. Wie im händischen Trading ist die Maxime der Kapitalerhalt.
Und warum nicht selber machen?
Zur Diversifizierung ist auch empfehlenswert, sich ab und an neue EAs anzusehen. Ein funktionierender EA wird, wie händisches Trading, starke und schwache Phasen haben und es wäre verkehrt, ihn auszutauschen sobald er fünf Verluste in Reihe macht. Die Auseinandersetzung mit Neuem aber regt zum Denken an, womit Sie auch Ihre alten EAs besser verstehen.
Mehr noch, vielleicht kriegen Sie Lust, selbst einen zu schreiben. Programmierkenntnisse braucht es nicht unbedingt. Ab 100 Euro finden Sie zahlreiche Softwares, die jene Regeln, aus denen sich jeder EA zusammensetzt, grafisch in Bausteinform aufbereiten. Auf einem virtuellen Brett werden sie zu einer Regelkette zusammengesetzt, die Ein- und Ausstiege definiert sowie den Umgang mit Lotgröße, Stop-Loss und mehr. Am Ende drücken Sie auf ‚Erstellen‘ und das Programm schreibt aus Ihren Regeln den EA in die Programmiersprache MQL, sodass er bereit ist fürs Backtesting im MetaTrader.
Legen Sie an Ihre eigene Kreation natürlich die gleichen hohen Testmaßstäbe. Machen Sie sich gewahr, wann Sie einer Idee für einen Regelsatz zum Erfolg verhelfen, indem Sie sie mit überangepassten Paramatern auf die Vergangenheit kurvenoptimieren oder ihren Einsatz auf jene Instrumente und Zeitrahmen beschränken, wo sie zufällig in der Vergangenheit profitabel gewesen wäre.
Je kritischer Sie sind, umso erfolgreicher wird Ihr Ergebnis, wenn Sie den nächsten Schritt damit gehen wollen und es selbst auf MQL5.com verkaufen. Vor allem aber wird Ihr Verständnis fürs Trading und seine Automatisierung wachsen. Nicht nur das, es ist wie ein intelligentes Rätselspiel, unterhaltsam und herausfordernd, neue Strategien zu entwickeln, erfolgreich mit dem Markt zu interagieren.
Heimcomputer oder Server?
Bleibt noch eine technische Frage: was, wenn es im Live-Trading Probleme gibt? Wenn Sie manuell einen Trade aufsetzen, legen Sie vermutlich im selben Moment den initialen Stop-Loss fest. Bricht Ihr Computer oder Ihre Internetverbindung zusammen, verlieren Sie maximal diesen definierten Betrag, bevor der Trade glattgestellt wird.
EAs dagegen laufen zwar auf Ihrem eigenen Computer, aber die Impulse für Ein- und Ausstieg kommen aus dem Netz. Ist die Verbindung weg, läuft ein Verlierer vielleicht bis zum Margin Call. Zugegeben, das ist ein Extremszenario wie es einmal alle x-tausend Trades vorkommen mag, aber das genügte für den Ruin.
Überlegen Sie daher, ob es nicht sinnvoller wäre, die ganze Anwendung extern zu hosten, MetaTrader samt EA auf einem Server laufen zu lassen, der deutlich mehr Lauf- und Verbindungsstabilität als eine Heimlösung bietet.
Hinzu kommt nämlich, dass Ihr Computer ständig laufen muss, solange Ihr EA aktiv sein soll. Wer zu Hause arbeitet und heimische Märkte tradet, die nur von acht bis fünf offen sind, verbrennt dafür keine zusätzliche Energie. Wer mit Notebook das Internet im Büro anzapfen kann, auch nicht. Wer aber Devisen oder asiatische Aktien handelt, wird seine Kiste zu Unzeiten laufen lassen müssen. Rechnen Sie, ob nicht allein der Stromverbrauch die Servermiete rechtfertigt.
Viele Server-Anbieter lassen Sie ihre Dienste zudem erst mal kostenlos testen, bei Amazon.de etwa für ein ganzes Jahr. Zwar kriegen Sie nur ein rudimentäres Paket völlig kostenlos, aber für MetaTrader reicht das. Er wird von Ihrem heimischen Computer aus in eine Server-Umgebung basiert auf Windows installiert. Diese öffnet sich in einem eigenen Fenster und lässt sich wie ein zweiter Desktop bedienen. Etwas hakeliger zwar als der eigene PC, aber idealerweise brauchen Sie die Lösung nur einmal einrichten, den EA aufspielen und einstellen, und können dann alles sich selbst überlassen. Per Daily Statement erfahren Sie vom Broker, wie Ihr EA so performt.
Guter Artikel, besten Dank dafür,
können sie mir ein Beispiel geben für eine der zahlreichen Softwarelösungen die die EA Regeln für MQL grafisch in Bausteinform aufbereiten?
schöner Artikel...würde sich doch nur mal jemand die Arbeit machen dazu eine Videoreihe aufzunehmen und einen Strategietester in allen Einzelheiten veranschaulichen. Ich habe mehrere EA`s selbst entwickelt u programmieren lassen, dann der erste Durchlauf im Strategietester auf MT4, danach den Optimierungslauf. Jetzt fängt die Arbeit an...scheiß Ergebnisse,Zweifel am System, keine Ahnung von der richtigen Auswertung und mit weiteren Durchläufen werden nur die Zweifel an der Idee zum System größer. Bei visuellem Lauf ( irre Zeitaufwändig ) zeigen sich dann die enormen Schwächen des Strategietesters. Auf Nachfrage bei meinem Prograqmmierer kam die Antwort...Ja ich weiß, es gibt große Schwachpunkte und keine bessere Lösung...Klasse Aussichten...Vollautomatisch ins verderben zu rennen...Daumen hoch.
Wär doch eine tolle Marktlücke für einen Entwickler...Backtest die was bringen, auch wenn es nur die Vergangenheit ist