Kommentar
09:24 Uhr, 22.12.2004

Ausblick auf 2005

Im Jahr 2005 dürfte das Wachstum weltweit nachlassen, da die Unterstützung durch die Fiskal- und Geldpolitik ausläuft und der Anstieg der Ölpreise die Aktivitäten belastet. Die Frühindikatoren deuten bereits in diese Richtung, und unsere eigenen Messgrößen bestätigen dies. Der USVerbraucher wird im Mittelpunkt stehen; er ist diesen Gegenwinden am stärksten ausgesetzt. Wir erwarten daher ein Nachlassen des Konsums für 2005. Dies dürfte nicht gleich in eine Rezession münden, da sich die US-Wirtschaft auf die steigenden Unternehmensausgaben und ein deutlicheres Wachstum beim Außenhandel stützen kann. Derzeit sind Unternehmen weltweit sehr liquide, und wir erwarten, dass sie die Investitionsausgaben erhöhen werden. Allerdings gehen wir noch immer von bescheidenen Zuwächsen bei der Beschäftigung aus, da sich die Unternehmen verstärkt bemühen werden, die Gewinnmargen zu halten. Das Wachstum der US-Unternehmensgewinne dürfte 2005 allmählich zum Stillstand kommen.

Eindeutig wird die schwächere Nachfrage aus den USA die übrige Weltwirtschaft belasten, die darüber hinaus noch die Belastung durch den schwachen Dollar zu verkraften hat. Chancen bestehen dann für Volkswirtschaften und Regionen, die selbst Nachfrage generieren können, um die Abkühlung des äußeren Konjunkturumfelds auszugleichen. Dabei würde Asien etwas günstiger abschneiden als Europa, da wir in China von weiterem Wachstum ausgehen und keine harte Landung der Konjunktur erwarten (dies wird durch die jüngsten Nachrichten über die nachlassende Inflation noch untermauert). Zudem hat sich Asien durch die Interventionen der Zentralbanken einen weiteren großen Wettbewerbsvorteil buchstäblich erkauft: durch die Abwertung ihrer Währungen entsprechend dem Dollar.

Japan dürfte weiter von China profitieren, aber bei nachlassendem Wachstum, da die Endverbraucher- Nachfrage aus den USA abnimmt. Diese Entwicklung zeigt sich bereits in den Exportzahlen. Dennoch sind die Unternehmensgewinne in Japan hoch, und dies dürfte sich künftig positiv auf die Investitionsausgaben auswirken. Zudem schwächt sich die Deflation ab und es sind auch einige Anzeichen auf eine Stabilisierung der Grundstückspreise erkennbar. Insgesamt erwarten wir eine leichte Abschwächung in Japan - damit gehen wir konform mit der jüngsten Tankan-Umfrage, die schwächer ausfiel, aber nach wie vor von einem soliden BIP-Wachstum ausgeht.

In Europa fehlt eine derart kraftvolle interne Dynamik. Unsere Prognose für diese Region liegt vor allem aus diesem Grund unter den Konsensus-Zahlen. Europa - Großbritannien und die Eurozone - tragen zudem die Hauptlast der Dollar-Abwertung. Wir erwarten, dass die Europäische Zentralbank in der zweiten Jahreshälfte 2005 die Zinsen senken wird, um das Wachstum zu fördern.

Da das Wachstum in der Eurozone - vor allem in Deutschland - stark von der externen Nachfrage abhängt, werden sich die Abschwächung der globalen Aktivitäten und der erstarkende Euro massiv auf das allgemeine Wachstumsniveau auswirken. Wir erwarten für die Eurozone für 2005 ein geringeres Wachstum von 1,5% gegenüber der Konsens-Schätzung von 1,7% und den Erwartungen der EZB von 1,9%. Angesichts dieses enttäuschenden Wachstums und einer entsprechend niedrigeren Inflationsrate (vorbehaltlich schockierender Ereignisse - wie dem Ölpreisanstieg 2004) spricht vieles dafür, dass sich die EZB in der zweiten Jahreshälfte einer Zinssenkung nicht mehr verschließen kann.

Da die externen Anreize für das Wachstum der Eurozone abnehmen, muss sich die Region mehr auf die Binnennachfrage verlassen, um das Wachstum zu halten. Eine Möglichkeit, um das Wachstum zu fördern, bestünde in der Lockerung von Kreditbeschränkungen, die für viele Haushalte der Eurozone bestehen. Dies wird nachstehend als eine der potenziellen Überraschungen für 2005 dargestellt.

Dagegen wird die von uns erwartete Abschwächung des Wachstums in Großbritannien auf die privaten Haushalte zurückgeführt. In einer ohnehin bereits angespannten finanziellen Lage und bei Zinssätzen, die im Durchschnitt 2005 über denen des Vorjahres liegen dürften, werden die Verbraucher voraussichtlich auch unter dem erwarteten laufenden Rückgang der Preisinflation für Wohnimmobilien leiden. Als Ausgleich dieser ungünstigen Entwicklung für die Verbraucher rechnen wir mit einer moderaten Zunahme des durchschnittlichen Gewinnwachstums auf 4,8%, da die Nachfrage nach Arbeitskräften leicht steigen dürfte. In dieser Hinsicht fielen die jüngsten Arbeitsmarktberichte in Großbritannien etwas enttäuschend aus, obwohl die Umfragen für 2005 erfreulich bleiben.

Die Federal Reserve (Fed, US-Notenbank) wird voraussichtlich die Leitzinsen weiter anheben, obwohl wir zu Jahresbeginn eine Pause des Erhöhungszyklus erwarten. Die Zinsen werden dann im weiteren Jahresverlauf weiter angehoben - als Reaktion auf einen allmählichen Anstieg der unterliegenden Kerninflation als Folge des schwachen Dollar.

Wenn auch das nachlassende US-Wirtschaftswachstum bei Anlegern Besorgnis auslöst, so dürfte doch die Fähigkeit der Unternehmen in aller Welt, Gelder über höhere Dividenden und Aktienrückkäufe an die Aktionäre zurückzugeben, die Aktienmärkte unterstützen. Zu diesem Zeitpunkt erkennen wir noch keine starke Verschuldungstendenz der Unternehmen, aber wir erwarten, dass die Sanierung der Bilanz künftig weniger intensiv betrieben wird - ein Faktor, den die Märkte für Unternehmensanleihen noch nicht eingepreist haben.

Potenzielle Überraschungen 2005

1. Der Verfall des Dollars gerät außer Kontrolle

Bislang verlief der Verfall des Dollars bemerkenswert geordnet - er führte nicht zu einem generellen Vertrauensverlust bei US-Anlagen. Aktien und Anleihen bleiben fest; die Renditen für 10-jährige US- Anleihen sinken allmählich wieder unter 4% und der S&P legt zu. Zu verdanken ist dies jedoch weitgehend der Intervention der asiatischen Zentralbanken, die bereit sind, einen großen Teil des Überangebots an Dollar - d.h. das US-Leistungsbilanzdefizit - zu übernehmen. Diese Zentralbanken gelten nicht als kursbewusst; sie sind bereit, US-Bundesanleihen zu niedrigen Renditen zu erwerben. Folglich litten die USA nicht unter dem normalen Renditeanstieg bei Anleihen, der dann eintritt, wenn eine Volkswirtschaft ein Doppeldefizit aufweist.

Wird sich dies 2005 ändern? Wahrscheinlich nicht, da Asien nicht daran gelegen ist, eine Krise in den USA auszulösen, indem es den Dollar nicht mehr nachfragt. Trotz des erstarkenden China würde die Region stark unter einer Rezession in den USA leiden. Eine Änderung der Währungsvereinbarungen in China ist durchaus möglich - der RMB (Chinesische Yuan) könnte zu einer Korb-Vereinbarung übergehen und aufwerten. Dennoch würde dies nicht das Ende der Interventionen bedeuten.

Dennoch besteht ein gewisses Risiko, dass dieses Kartenhaus einstürzt. In Korea und Indien haben Politiker die Devisenverluste kritisiert und die Frage aufgeworfen, ob man die Mittel der Zentralbanken nicht sinnvoller einsetzen könnte. Da die Position der US-Handelsbilanz keine Verbesserung erkennen lässt, bleibt die Nachhaltigkeit dieser Politik zweifelhaft. Letztendlich erfordert ein reibungsloser Ausstieg aus der asiatischen Interventionsstrategie eine abgestimmte Reaktion: ist es an der Zeit, dass China den G8 beitritt?

Wahrscheinlichkeit eines ungeordneten Dollar-Verfalls: 20%.

2. Der Dollar steigt

Jeder, auch wir, geht von einem fallenden Dollar aus. Normalerweise würde dies bedeuten, dass das Gegenteil eintrifft, und das wäre tatsächlich möglich. Gestützt wird diese Ansicht derzeit durch Short- Positionen des Dollars auf Rekordniveau an einigen Devisenmärkten. Wer soll dann noch Dollars verkaufen? Die Antwort lautet: die USA, da das aktuelle Leistungsbilanzdefizit bedeutet, dass ein Überangebot von USD 600 Milliarden pro Jahr oder von USD 2,5 Milliarden pro Arbeitstag besteht. Natürlich ist der Dollar auf diesem Niveau wettbewerbsfähig, und dies könnte Anleger veranlassen, preiswerte Anlagen zu tätigen. Das Problem ist "was preiswert ist, kann noch billiger werden" und die Anleger werden sich hüten, zu versuchen, die Trendwende der Währung zu treffen. Zudem haben wir bereits an anderer Stelle ergründet, dass eine Volkswirtschaft mit einem großen Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizit eine billige Währung benötigt. Eine Dollar-Rally ist also möglich, aber der langfristige Trend bleibt im Keller.

3. Die Inflation steigt kräftig

Da wir gerade unsere Prognose für die US-Inflation nach oben korrigiert haben, halten wir dieses Szenario für etwas realistischer. Allerdings würde die Überraschung kräftiger ausfallen, wenn die US-Inflation im nächsten Jahr auf 3,5% - 4% steigen sollte. Aus Sicht der Finanzmärkte wäre dies die schlimmste Entwicklung - es würde bedeuten, dass die Fed ihre Geldpolitik wesentlich stärker als bislang angenommen verschärfen würde. Anleihen und Aktien würden darunter leiden.

Der Preisdruck (nach oben) erhöhte sich in diesem Jahr vor allem durch die gestiegenen Rohstoffpreise. Durch den Rückgang der Ölpreise in letzter Zeit baute sich der Druck etwas ab. Allerdings nehmen die Lohnstückkosten (der größere Teil der Gesamtkosten) zu - die Schattenseite des nachlassenden Produktivitätswachstums. Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen. Allerdings gehen wir davon aus, dass dies weitgehend zulasten der Margen der Unternehmen gehen wird. Diese Ansicht basiert auf unserer Einschätzung der Output-Lücke und der Wettbewerbssituation an den Produktmärkten. Liegen wir falsch, so wird die Inflation stärker ansteigen, da die Unternehmen die Preise erhöhen. Das wäre allerdings ein etwas weiter Weg, da die US-Kerninflation in den letzten 10 Jahren immer unter 3% lag. Obwohl häufig davon gesprochen wird, dass die US-Behörden eine höhere Inflation generieren möchten, sehen nach wie vor die politischen Entscheidungsträger selbst die Kontrolle der Inflation als ihre wesentliche Errungenschaft und ihr ständiges Ziel an. Sollte die Inflation kräftig ansteigen, würden wir dies mehr als Spitze und nicht als das Ende der Ära mit 2% Inflation / stabilen Preisen ansehen.

Wahrscheinlichkeit: 20%

4. Eine nicht überzeugende Wahl in Großbritannien

Die meisten Anleger gehen davon aus, dass die nächsten britischen Parlamentswahlen (mit hoher Wahrscheinlichkeit am 5. Mai 2005) ähnlich ausfallen werden wie 1997 und 2001. Damals gab es einen überzeugenden Sieg der Labour Party - der gegenwärtigen Regierungspartei unter der Führung von Tony Blair.

Allerdings deutet eine Reihe von Faktoren darauf hin, dass das Ergebnis weniger eindeutig ausfallen könnte, als diese historische Annahme vermuten lässt. Es kann sogar zu einem sogenannten "Hung Parliament" kommen (einer Situation, in der keine politische Partei allein über mehr Abgeordnete verfügt als alle anderen Parteien zusammen, und in der zwei oder mehr Parteien für eine Koalitionsregierung erforderlich sind).

Ein derartiges Parlament könnte daher in Großbritannien eine politisch instabile Zeit einleiten. Dies steht im Gegensatz zu den äußerst stabilen Regierungen der letzten acht Jahre mit ihren großen Mehrheiten. Nachstehend diskutieren wir, wie ein derartiger Umstand eintreten könnte, und beleuchten dann einige der nach unserer Meinung wesentlichen Auswirkungen auf die Finanzmärkte.

Könnte Labour tatsächlich verlieren?

Am offensichtlichsten ist, dass der Vorsprung der Labour Party in den meisten Umfragen weniger überzeugend ausfällt als im Vorfeld der Parlamentswahlen 1997 und 2001. Die letzten Umfragen geben Labour durchschnittlich etwa 36% - mehr als im bisherigen Verlauf 2004, aber etwa 5 Prozentpunkte unter dem Wahlergebnis des Jahres 2001 mit 40,7%.

Geht man von ähnlichen Ergebnissen und vergleichbarem Wahlverhalten aus, könnte Labour mit 36% der Stimmen noch immer eine komfortable Mehrheit von etwa 110 Abgeordneten erzielen - das wären weniger als die bisherigen 167, der Unterschied ist jedoch im politischen Alltag kaum von Bedeutung. Die derzeit starke Labour-Mehrheit beruht allerdings nicht auf einem besonders großen Wählerauftrag, sondern auf einem taktischen Wahlverhalten. Der Stimmenanteil der Labour-Partei von 40,2% im Jahr 2001 war in Wirklichkeit geringer als die 41,9%, die John Major 1992 mit seinem "knappen" Wahlsieg von 21 Sitzen errang. 1987 erzielte die konservative Partei von Margaret Thatcher sogar 42,2% der Stimmen - aber dies ergab eine Mehrheit von "nur" 102 Abgeordneten. In den Wahlen von 1997 und 2001 schienen die Wähler in wenig aussichtsreichen Wahlkreisen ("marginal seats") der Labour-Partei und der Liberaldemokraten bereitwillig die Fronten gewechselt zu haben, d.h. sie stimmten "taktisch" ab, um ihr Hauptziel - den Sieg über den konservativen Kandidaten - zu erreichen.

Das Risiko, das derzeit die Strategen der Labour-Partei sehen, besteht darin, dass - nachdem das Ende der letzten konservativen Regierung acht Jahre zurück liegt - die negative Haltung gegen die konservative Partei in diesen wichtigen, wenig aussichtsreichen Wahlkreisen allmählich nachlässt. In Verbindung mit der Ernüchterung vieler liberaler Wähler der Mittelschicht mit der Labour-Regierung - vor allem wegen der betriebenen Außenpolitik - könnte die derzeit große Mehrheit der Regierung leichter dahin sein als Viele derzeit erwarten.

Ausgehend von einem derartigen Wahlergebnis wäre danach eine Koalitionsregierung aus Labour und Liberaldemokraten das wahrscheinlichste Ergebnis. Da die Liberaldemokraten die britische Beteiligung am Irak-Krieg strikt ablehnen, dürfte eine ihrer entscheidenden Forderungen für die Unterstützung einer Koalitionsregierung der Rücktritt von Tony Blair als Premierminister sein. Der naheliegendste Ersatzkandidat - der auch nach "sozialdemokratischen" Kriterien für die Liberaldemokraten glaubwürdig wäre - ist Gordon Brown.

Auswirkungen auf die Märkte

Eine Periode der politischen Unsicherheit dürfte dazu beitragen, den Risikoaufschlag für Sterling-Anlagen zu erhöhen. Einen brauchbaren Vergleich in der jüngsten Geschichte liefert die Unsicherheit nach den Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000 in den USA. In den sechs Wochen zwischen der Wahl und dem Beschluss des Supreme Court fielen der US-Dollar handelsgewichtet um 6% und der S&P 500 um etwa 12%. Es ist nicht feststellbar, wie weit diese Bewegungen auf die politische Unsicherheit nach der Wahl zurückzuführen sind, da vor allem der US-Aktienmarkt noch unter den Folgen der dot.com Spekulationsblase Ende der 90-er Jahre litt. Allerdings verzeichnete der S&P 500 im Vorfeld der Wahl eine Rally. Offenbar wurde daher die Marktstimmung zumindest kurzfristig erheblich beeinflusst.

Mittel- bis langfristig würde eine stabile Regierungskoalition die mit Anlagen in GBP (Sterling) verbundenen Risiken nicht unbedingt erhöhen. Vielmehr würde die Kontinuität der Wirtschaftspolitik unter einem Premier Brown wahrscheinlich wegen ihrer Stabilität begrüßt werden. Eine Koalitionsregierung würde allerdings bei Anlegern Bedenken hinsichtlich der Haushaltsdisziplin auslösen, da verschiedene Gruppen innerhalb der Regierung ihre eigenen Ausgabenprojekte vorantreiben. Lange nachdem sich die politische Unsicherheit wegen der Regierungsbildung gelegt hätte, dürfte dann sowohl im kurzfristigen, als auch im langfristigen Bereich mit höheren Zinsen zu rechnen sein, da die Emission von Gilts zunehmen und die Notenbank genötigt würde, die lockere Fiskalpolitik durch eine straffere Geldpolitik auszugleichen.

Wahrscheinlichkeit: 25%

5. GB-Hauspreise steigen um mehr als 10%

Ein déjà vu-Erlebnis ist durchaus möglich, da der Preisanstieg bei Wohnimmobilien von über 10% bereits im Dezember 2003 als eines der Risiken für das darauf folgende Jahr erkannt wurde. Das Jahr 2004 ist fast abgelaufen und die Inflation der Preise für Wohnimmobilien liegt laut der Bausparkasse Nationwide derzeit bei etwa 15%. Im letzten Marktkommentar erläuterten wir die Gründe, warum der Wohnungsmarkt "überraschte".

Wenn wir für 2005 das gleiche Risiko erkennen, haftet dem ein Hauch von Nostalgie an. Damit die Preise für Wohnimmobilien auch 2005 zweistellig wachsen, müssen einige Schlüsselfaktoren zutreffen.

Das durchschnittliche Wachstum der Einkommen müsste im Jahresverlauf zunehmen. Unsere zentrale Prognose liegt bei einem durchschnittlichen Einkommenszuwachs von 4,8%, bezogen auf das Gesamtjahr. Da die Situation am Arbeitsmarkt bereits angespannt ist und viele Arbeitsmarktumfragen für das erste Quartal 2005 für eine Zunahme von neu geschaffenen Stellen in der Privatwirtschaft sprechen (die zu Beginn dieser Woche veröffentlichte Manpower Jobs Survey ergab den höchsten Wert seit 1998), könnten diese Lohnzuwächse eventuell früher Realität werden und auch stärker ausfallen, als wir derzeit erwarten.

Ein stärkeres Einkommenswachstum der privaten Haushalte würde bedeuten, dass bei einem bestimmten Anstieg der Wohnungspreise die Erschwinglichkeits-Kennzahlen, d.h. das Verhältnis Preis zu Einkommen, weniger stark betroffen wären.

Das allmählich zunehmende Einkommenswachstum (ohne Boni) im Jahresverlauf 2004 scheint sich bisher kaum auf den Index der Verbraucherpreise (CPI) ausgewirkt zu haben - vor allem deshalb, weil es für Einzelhändler sehr schwer war, den Anstieg der Faktorkosten auf die Endverbraucher weiterzugeben. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen - und die Bank of England sich damit zufrieden geben, dass sich die Preissteigerungen bei Wohnimmobilien auf etwa 10% "abgeschwächt" haben - gäbe es keinen zwingenden Grund, die Leitzinsen zu erhöhen. Unter diesen Umständen würden die Rückzahlungs- Erschwinglichkeits-Kennzahlen (repayment affordability ratios), d.h. der Anteil des laufenden Einkommens, der für die Zahlung von Hypothekenzinsen aufgewendet wird, auf ihren sehr niedrigen Niveaus bleiben.

Bei allmählich abnehmender Arbeitslosigkeit, zunehmend höheren Löhnen und niedrigen Nominalzinsen, die niedrig bleiben dürften, bestünde kein Grund für ein Sinken der Wohnungspreise. Sie könnten tatsächlich weiter nach oben tendieren, wenn auch mit einer gedämpften Jahresrate von 10%.

In diesem Szenario erscheinen unsere Warnungen vor einer Abschwächung der Ausgaben der privaten Haushalte im Jahr 2005 etwas verfrüht. Sollten sich die bereits angespannten Erschwinglichkeits- Kennzahlen für Wohnimmobilien allerdings noch ausweiten, wäre der Immobilienmarkt reif für eine umfassende Korrektur in der Zukunft, wenn der Ausgleich zwischen Wachstum und Inflation nicht mehr günstig ist und entweder die Arbeitslosigkeit wieder zunimmt oder die Maßnahmen der Notenbank zu einer Anpassung der Nominalzins-Erwartungen nach oben führen (oder beides).

Ein Anstieg der Preise für Wohnimmobilien um 10% oder mehr im Jahresverlauf 2005 würde das allgemeine Wachstum in diesem Jahr unterstützen. Die Beziehung von Wohnungspreisen zur Sparquote in unserem GB-Wirtschaftsmodell lässt vermuten, dass - bezüglich unserer zentrale Erwartung von unveränderten Wohnungspreisen - der Beitrag zum Gesamtwachstum bei etwa 0,5 Prozentpunkten liegen könnte. Dies würde unsere BIP-Prognose von 2,4% p.a. auf 2,9% p.a. erhöhen - sie würde somit fast auf dem Niveau von 2004 liegen. Allerdings würde dies zu einem angespannten Markt für Wohnimmobilien führen, der 2006 und danach ein weitaus größeres Risiko für ein stabiles Wachstum darstellen würde als dies jetzt der Fall ist.

Wahrscheinlichkeit: 10%

6. Reform im Dienstleistungssektor fördert die Binnennachfrage der Eurozone

2004 war das Jahr der Reformen in der Eurozone. Das Reformpaket Agenda 2010 in Deutschland war dafür das eindrucksvollste Beispiel und vor allem auf eine höhere Flexibilität des Arbeitsmarktes ausgerichtet. Die Schattenseite dieser positiven Arbeitsmarktreformen besteht darin, dass sie die Sicherheit des Arbeitsplatzes verringern und die Last der Gesundheits- und Rentenkosten vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer umschichten. Dies bewirkt jedoch auch eine Erhöhung der Sparquote und führt zu einer weiterhin schwachen Binnennachfrage.

Hohe Sparquoten sind jedoch in Europa keine besonders neue Erscheinung. Im Laufe der Zeit führten hohe Sparquoten - im Vergleich zu Großbritannien und den USA - in der Eurozone zu einem wesentlich niedrigeren Verhältnis von Haushaltsverschuldung zu Haushaltseinkommen. Der Unterschied beim Verhältnis Verschuldung / Einkommen zwischen Großbritannien und der Eurozone beruht weitgehend auf dem unterschiedlich strukturierten Hypothekenmarkt - in Großbritannien sind etwa 73% der Gesamtverschuldung der privaten Haushalte abgesichert.

Laut einem aktuellen Arbeitspapier der OECD(1) ist offenbar der relativ restriktive Hypothekenmarkt in der Eurozone einer der Hauptgründe dafür, dass einige Länder der Eurozone - vor allem Deutschland - von der derzeit konsumfreundlichen Geldpolitik der EZB nicht profitieren konnten.
1 "Modelling cyclical divergence in the euro area: the housing channel" , P. van den Noord, OECD Economics Department Working Paper No. 400

In einigen Ländern der Eurozone ist die Höhe der Hypotheken tatsächlich gesetzlich begrenzt, und selbst in den Ländern, auf die dies nicht zutrifft, gibt es nicht die gleiche Auswahl an hypothekenähnlichen Produkten, über die die privaten Haushalte die Vorzüge preisgünstiger Zinsen für gesicherte Kredite genießen können.

Eine Deregulierung des Hypothekenmarktes sowie Anreize für Banken, den Haushalten in der Eurozone - bei denen häufig die Kreditaufnahme eingeschränkt ist - Produkte wie in den USA und Großbritannien anzubieten, die eine höhere / erneute Valutierung ihrer Grundschulden (mortgage equity withdrawal) beinhalten, würde sich daher auf das Wachstum der Binnennachfrage äußerst positiv auswirken. Derartige Reformen hätten den Vorteil, wesentlich populärer zu sein als die äußerst unpopulären Arbeitsmarktreformen des Jahres 2004. Da der starke Euro und das nachlassende Wachstum in den USA das Potenzial externer Wachstumsquellen begrenzen, sind derartige Reformen dringender erforderlich denn je.

Falls derartige Reformen 2005 vorgeschlagen werden, würde es sicherlich noch einige Jahre dauern, bis sie sich voll auf das Verhalten der privaten Haushalte auswirken, aber sie würden das Jahr 2005 in der Eurozone zu einem Wendepunkt des in der letzten Zeit stark enttäuschenden Wachstums der Binnennachfrage machen.

Wahrscheinlichkeit: 10%

Quelle: Schroders

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2004 rund 147,9 Mrd. Euro.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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