Aus dem ETF Magazin: "Entfesselte Coins"
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29. Oktober 2025. MÜNCHEN (ETF Magazin). Kryptowährungen erleben gerade den größten Aufschwung ihrer Geschichte. Aus einem Nischenphänomen ist binnen weniger Jahre ein Markt von rund vier Billionen US-Dollar geworden. Allein in den vergangenen zwölf Monaten hat sich das Markvolumen glatt verdoppelt. Traumhafte Kursgewinne, institutionelle Milliarden, sinkende US-Zinsen und neue Regeln aus Washington haben Bitcoin, Ethereum und Stablecoins ins Zentrum der Finanzmärkte katapultiert. Besonders der im Juli verabschiedete „Genius Act“ der US-Regierung wirkt als Katalysator.
Genius steht für ‘Guaranteeing Essential Neutrality in Issuance and Use of Stablecoins’. Das neue Gesetz schafft für den US-Markt erstmals verbindliche Standards für Stablecoins – und ermöglicht zugleich einen Investmenthebel in Billionenhöhe. Nach den Vorgaben des Genius Act müssen voraussichtlich ab dem nächsten Jahr Stablecoins mit US-Dollar oder kurzlaufenden US-Staatsanleihen gedeckt werden. Zudem müssen sie bestimmte Transparenzauflagen erfüllen und sich staatlicher Aufsicht unterstellen. So will Washington Vertrauen schaffen, Risiken für die Finanzstabilität eindämmen und ganz nebenbei auch die Rolle des Dollars in der digitalen Finanzwelt stützen. Stablecoins werden nun Teil des US-Finanzsystems – ähnlich wie Bargeld, aber schneller und global nutzbar.
„Das US-Recht erkennt jetzt Stablecoins als Zahlungsmittel an, ob im E-Commerce, bei grenzüberschreitenden Überweisungen oder in der dezentralen Finanzwirtschaft“, erklärt Ewout De Brauwer, Portfolio Manager für institutionelle Mandate bei Degroof Petercam Asset Management. Für Anlegende bringt die Neuregelung mehr Rechtssicherheit, neue Einsatzmöglichkeiten und wohl auch tendenziell steigende Nachfrage nach US-Staatsanleihen. Auch Banken profitieren, sei es als Herausgeber eigener Stablecoins oder als Verwahrer der hinterlegten Reserven – und erschließen sich so neue Einnahmequellen.
Praktisches Set-up
Stablecoins sind digitale Münzen, die fast immer eins zu eins an den US-Dollar gekoppelt sind. Die bekanntesten Stablecoins heißen Tether, USD Coin und Dai. Ihr großer Vorteil: Sie schwanken kaum im Wert. Damit eignen sich die Coins bestens für schnelle Zahlungen, als sichere Reserve im Kryptomarkt und als Basis für viele neue Anwendungen wie digitale Wertpapiere oder DeFi-Dienste. Auch Handelsriesen wie Walmart oder Amazon prüfen schon den Einsatz solcher Coins. Je mehr Stablecoins im Umlauf sind, desto größer wird das Liquiditätspolster des Marktes.
„Der Genius Act wird das Finanzsystem in den nächsten Jahren auf den Kopf stellen“, prognostiziert Krypto-Kenner Markus van de Weyer, Geschäftsführer bei alpha beta Asset Management. Stablecoins seien schon heute systemrelevant – und sie wachsen rasant. Innerhalb von fünf Jahren könnte die Marktkapitalisierung von derzeit rund 286 Milliarden auf bis zu 3,7 Billionen US-Dollar steigen, schätzt André Dragosch, Head of Research Europe beim Krypto-ETP-Pionier Bitwise. Wären die Coins vollständig mit US-Staatsanleihen gedeckt, entspräche das rund zehn Prozent der gesamten US-Verschuldung und mehr als Japan, China und Großbritannien zusammen an US-Anleihen halten.
Der neue Gesetz erweist sich damit als ein geschickter Schachzug, um die Nachfrage nach US-Schuldpapieren anzukurbeln, während das Vertrauen in die Finanzstabilität zuletzt arg gelitten hat. In der EU wurde die Stablecoin-Regulierung bereits 2023 im Rahmen der Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCA) auf den Weg gebracht. Diese setzte europaweit einheitliche Regeln für den Umgang mit Krypto-Assets und verfolgt die Zielsetzung Rechtsklarheit, Anlegerschutz und Finanzstabilität.
Milliardenhebel
Als noch bedeutsamer für die Krypto-Welt könnte sich jedoch die US-amerikanische Altersvorsorgepolitik erweisen. US-Präsident Trump hat per Executive Order angeordnet, die steuerlich geförderten 401(k)-Pläne für alternative Investments wie Kryptowährungen, Private Equity und Immobilien zu öffnen. 401(k)-Pläne sind steuerlich begünstigte Sparpläne zur Altersvorsorge von US-Arbeitnehmern, die häufig vom Arbeitgeber finanziell unterstützt werden. Es ist ein riesiger Markt von mehr als 12 Billionen US-Dollar. Schon kleine Umschichtungen hätten enorme Wirkung: Würden nur wenige Prozente der Sparplanbeiträge in digitale Assets umgeleitet, strömten Milliarden in den Kryptomarkt.
Damit verändert sich auch die Wahrnehmung der Kryptowährungen bei Großanlegern. „Eine steigende Zahl von Anlegern erkennt, dass der Bitcoin nicht nur als spekulatives Asset, sondern auch als alternatives Risiko-Rendite-Instrument eine Funktion erfüllen kann“, erklärt Leif Richter von der Vermögensverwaltung Dietrich & Richter. Krypto-Assets entwickeln sich zu einem Baustein institutioneller Portfolios. Vermögensverwalter, Pensionskassen sowie Hedgefonds haben ihre Allokationen deutlich erhöht. Zahlen von Bitwise belegen den Trend: Seit Januar 2024 flossen über 55 Milliarden US-Dollar in Bitcoin-ETFs – ein klares Signal für die wachsende Akzeptanz.
„Die Anzahl an Positionen, die institutionelle Anleger in Bitcoin-Spot-ETFs halten, ist seit Jahresbeginn von 2518 auf 3.869 gestiegen. Das ist ein Zuwachs von knapp 54 Prozent“, berichtet Bitwise-Researcher Dragosch. Mit jedem Zufluss kaufen die Fonds echte Bitcoins – erhöhen die Liquidität, stabilisieren den Markt und verankern Krypto im Finanzsystem. Das ist ein Unterschied zu früheren, von Privatanlegern getriebenen Rallys.
Doch wie lassen sich Kryptowährungen am besten ins Portfolio integrieren? Kryptowährungen sind kein „Alles-oder-Nichts-Investment“, sondern eignen sich als gezielte Beimischung. Schon „kleine Quoten von 2 bis 3 Prozent“ können laut Jan Altmann, Investment-Stratege bei Bitwise, „viel ausmachen“ und das Rendite-Risiko-Profil eines Portfolios spürbar verbessern.
Ein praktikables Fundament bilden die beiden Platzhirsche Bitcoin und Ethereum, die zusammen mehr als 70 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung stellen. Bitcoin gilt als „digitales Gold“. Seit 2009 hat der Bitcoin trotz massiver Rücksetzer alle anderen Anlageklassen übertroffen. Das Halving 2024 hat das Angebot weiter verknappt, während die Nachfrage durch ETFs massiv zunimmt. Trotz der jüngsten Konsolidierung bleibt deshalb für die Experten von Bitwise das Bild klar: „In einem konservativen Szenario wird Bitcoin in den nächsten zehn Jahren die weltweit bestperformende große Anlageklasse sein – mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 28 Prozent und einer sinkenden, wenn auch weiterhin hohen Volatilität“, zeigt sich Dragosch überzeugt.
Ethereum erfüllt eine andere Rolle: Es ist weniger Wertaufbewahrung, sondern die technologische Infrastruktur des Web3. Auf dieser Blockchain entstehen Smart Contracts, dezentrale Finanzdienste und die Tokenisierung klassischer Vermögenswerte. Wer investiert, setzt damit auch auf den Aufbau eines Ökosystems, das Branchen umkrempeln könnte. Mit aktuell rund 4.600 Dollar notiert Ethereum nahe seinem historischen Höchststand von 4.800 Dollar. Mittelfristige Prognosen reichen von 5.000 bis 10.000 Dollar – getrieben von ETF-Zuflüssen und wachsender institutioneller Nachfrage.
Neben den beiden Krypto-Platzhirschen Bitcoin und Ethereum gibt es zahlreiche weitere Projekte, beispielsweise Aptos, Avalanche, Solana, Sui oder den Token Ondo. Diese Plattformen positionieren sich als Anbieter extrem schneller Blockchain-Lösungen, günstigen Transaktionen oder die Digitalisierung klassischer Anlageprodukte. Jedes Projekt bietet Chancen auf hohe Renditen, wenn die Nachfrage nach einer Technologie steigt. Bei der schier unüberschaubaren Zahl an Projekten ist die Gefahr groß, aufs falsche Pferd zu setzen. Anleger müssen sich also umfassend und laufend informieren, um in der Kryptowelt am Ball zu bleiben.
Spannende Papiere
„Bitcoin ist der Kern, doch Diversifikation über Ethereum und Infrastruktur macht Sinn. Es existieren ausreichend seriöse Projekte, um ein ausgewogenes Portfolio aufbauen zu können“, erklärt van de Weyer. Wer sich nicht selbst um Selektion und Gewichtung kümmern will, kann auf ETNs setzen, die verschiedene Kryptowährungen enthalten. Ein Beispiel ist der Bitwise MSCI Digital Assets Select 20 ETP. Er bildet die Wertentwicklung eines MSCI-Index ab, der die 20 größten und liquidesten Kryptowährungen umfasst. Die Zusammensetzung des Kursbarometers wird einmal im Quartal angepasst, sodass die Zusammensetzung des Index die tatsächlich Bedeutung der einzelnen Werte abbildet.
Und wie lange hält die Hausse? Trotz der für das Segment charakteristischen Schwankungen bleibt die Stimmung am Krypto-Markt positiv. So erwarten die Analysten vom US-Brokerhaus Bernstein, dass der aktuelle Zyklus länger dauert als üblich und bis 2027 anhält. Sie rechnen mit Bitcoin-Kursen zwischen 150.000 und 200.000 US-Dollar. Bitwise-Analyst Dragosch erwartet, dass die Marke von 200.000 Dollar bereits Ende 2025 erreicht wird.
Andererseits gibt es einige Anzeichen, die zur Vorsicht mahnen. Technische Indikatoren zeigen Ermüdung. Wiederholte Rücksetzer nach Allzeithochs sprechen für eine nahe Konsolidierung oder Korrekturen. Auch systemische Risiken sind nicht vom Tisch: Zwar sorgt der Genius Act für mehr Stabilität im Stablecoin-Sektor, doch das rasante Wachstum dieser digitalen Dollar könnte im Falle plötzlicher Abflüsse zu Liquiditätsengpässen führen – mit Folgen nicht nur für den Kryptomarkt, sondern auch für Teile des traditionellen Finanzsystems.
Ein Einstieg in Krypto lohnt vor diesem Hintergrund vor allem langfristig und als Beimischung zu einem breit diversifizierten Portfolio. „Krypto ist ein eigenständiger Rendite- und Risikotreiber für moderne Portfolios“, versichert Vermögensverwalter van de Weyer. Die Chancen auf überdurchschnittliche Renditen erscheinen dabei gut, aber auch der nächste Höhenflug wird wahrscheinlich keine Nonstop-Reise.
Krypto-ETN
Mit Krypto-ETNs läßt sich das Potenzial von Bitcoin & Co. bestens erschließen. Krypto-ETNs bieten Anlegern indirekten Zugang zum Bitcoin sowie zu etwa 20 weiteren Coins. Einige dieser ETNs basieren auch auf einem Korb verschiedener Kryptowährungen oder ermöglichen das Staking. Mehr als 100 Krypto-ETNs von rund zwanzig Anbietern werden an Xetra gehandelt – und es kommen stetig neue dazu. Welche ETNs im Einzelnen zur Verfügung stehen, zeigt unsere Datenbank am Heftende. Die ETNs werden wie ETFs fortlaufend an Xetra gehandelt. Anleger können so Bitcoin, Ether oder andere Coins wie ein ganz normales Wertpapier über ihr Depot kaufen – mit ISIN und WKN. Ein Krypto-Wallet oder Account bei einem Krypto-Broker ist nicht notwendig. „Investieren in Krypto war noch nie so einfach wie mit Krypto-ETPs“, wirbt Vera Claas, Geschäftsführerin des ETN-Anbieters NXT Assets.
ETN steht für Exchange Traded Note, also für ein börsengehandeltes Zertifikat. Die ETNs bilden die Wertentwicklung einer zugrunde liegenden Kryptowährung oder eines ausgewählten Kryptokorbs ab. Zur Sicherheit besichern die ETN-Emittenten das Vermögen der ETPs mit dem entsprechenden Volumen der jeweiligen Kryptowährung. Dadurch soll gewährleistet werden, dass das Anlegerkapital auch dann noch zur Verfügung steht, falls der ETN-Emittent zahlungsunfähig werden sollte. Die Tokens werden dabei in der Regel bei einem spezialisierten Unternehmen in einem Offline-Wallet verwahrt, Cold Storage genannt. Der Vorteil für Anleger: kein technisches Risiko durch Wallets oder verlorene Private Keys, kein Hackerrisiko bei Kryptobörsen und eine transparente Abbildung im eigenen Wertpapierdepot. Hinzu kommt die steuerliche Vereinfachung – weil es sich formal um Wertpapiere handelt, übernimmt die Depotbank die Abrechnung. Bei Krypto-ETNs die eine Auslieferung der Währung erlauben, bleiben Gewinne nach einem Jahr Haltedauer sogar steuerfrei, ähnlich wie bei Gold-ETCs.
Liste aller verfügbaren Krypto-ETNshttps://www.boerse-frankfurt.de/etfs/suche?CLASSES=Single%20Cryptocurrency%2CCrypto%20Basket&INSTRUMENT_TYPE=etn&ORDER_BY=ASSETS_UNDER_MANAGEMENT&ORDER_DIRECTION=DESC
Von Uli Kühn, Oktober 2025, © ETF Magazin
Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETF Magazins, dem Fachjournal für Profis und informierte Anleger*innen.
