Kommentar
17:57 Uhr, 01.04.2005

Asiatisches Jahrhundert: China und Japan auf dem Weg zur Weltmacht

Während es mit Blick auf Europa und die USA allemal Sinn macht, über Seitwärtsrenditen nachzudenken, sollten Anleger in China und den anderen asiatischen „Emerging Markets“ eher auf eine möglichst flexible Partizipation Wert legen. Die aufstrebenden Schwellenländer bieten schließlich genau das, was hierzulande fehlt – nachhaltige Wachstumspotentiale, die essentielle Voraussetzung für steigende Aktienkurse: Chinas Volkswirtschaft legt pro Jahr um acht bis zehn Prozent zu, Indien folgt nur knapp dahinter und im Sog der beiden Konjunkturlokomotiven scheint auch der „Dauerpatient“ Japan auf dem Weg der Besserung. Selbst wenn man die gegenwärtigen Wachstumsraten nur zur Hälfte in die Zukunft fortschreibt, wird Asien irgendwann zwischen 2020 und 2035 die USA als global führende Wirtschaftsmacht ablösen.

„Das Mittelmeer ist der Ozean der Vergangenheit, der Atlantik ist der Ozean der Gegenwart und der Pazifik ist der Ozean der Zukunft“ prophezeite der frühere amerikanische Außenminister John Hay schon anno 1899 und dieses Zitat steht auch am Anfang eines neuen Buches, mit dem der Ostasien-Experte Karl H. Pilny derzeit für Aufsehen sorgt. Der Titel „Das asiatische Jahrhundert“ (Campus-Verlag, ISBN 3-593-37678-4) sollte allerdings nicht zu falschen Schlüssen verleiten, denn erfreulicherweise haben wir es hier nicht mit dem x-ten Jubelbüchlein nach dem Motto „Stellt Euch vor, was eine Milliarde Chinesen künftig alles kaufen wollen“ zu tun. Vielmehr liefert Pilny, der eineinhalb Jahrzehnte als Rechtsanwalt in Asien tätig war und nun die Deutschland-Dependance der altehrwürdigen britischen Kanzlei Travers Smith leitet, endlich eine differenzierte und kritische Analyse des fernöstlichen Strukturwandels.

Kernthema der flott geschriebenen 318 Seiten ist denn auch nicht einfach „China“, sondern das Beziehungsgeflecht zwischen dem etablierten Japan und dem erwachten Reich der Mitte. Beide Länder eint eine höchst wechselhafte und von zahlreichen Konflikten gezeichnete Geschichte und deshalb macht es durchaus Sinn, dass Pilny sein primär als Wirtschaftslektüre konzipiertes Werk um einige Exkurse zu Historie und Kultur anreichert. Nur mit diesem „Überbau“, mit dem Wissen um die Wertewelt des Konfuzianismus, lässt sich beispielsweise nachvollziehen, wieso der vom Reformer Deng Xiao Ping vorgezeichnete „dritte Weg“ einer Kombination aus Marktwirtschaft und einem letztendlich immer noch totalitären politischen System mehr sein könnte als eine Übergangslösung. „Der Alleinvertretungsanspruch der Kommunistischen Partei reflektiert ein Grundbedürfnis aller Chinesen“, stellt Pilny fest und stellt sich damit bewusst gegen die hierzulande gern vertretene Meinung, dass der wirtschaftliche Fortschritt zwangsläufig mit dem Aufbau pluralistisch-demokratischer Strukturen einhergehen muss.

Eine „aufgeklärte“ Revolte wie die mit einem Massaker auf dem Tianmen-Platz beendeten Studentenproteste von 1989 wäre demnach eher unwahrscheinlich. Größere Unruhen können trotzdem nicht ausgeschlossen werden. Denn so kraftvoll der wirtschaftliche Aufschwung auch anmutet, es fehlt an der notwendigen Breite. Der neue Wohlstand konzentriert sich auf wenige Regionen wie Shenzen, Kanton oder Macao, während weite Teile Chinas zusehends veröden – die Landflucht nimmt immer mehr zu und wer in den agrarisch geprägten Gebieten bleibt, kann sich nur mühsam über Wasser halten. Zwar steigt der Bedarf an Nahrungsmitteln kontinuierlich; da die Investitionsströme sich jedoch fast ausschließlich auf die Bereiche Industrie, Technologie und Dienstleistung ergießen, leidet die chinesische Landwirtschaft unter enormer Ineffizienz. Die Gefahr von Versorgungsengpässen ist nicht von der Hand zu weisen; zumindest aber dürfte China gezwungen sein, künftig noch mehr Weizen und andere Agrarrohstoffe zu importieren.

A propos Investitionen: Dieses Thema gehört zu den stärksten und anschaulichsten Passagen des Buches. Nahezu genüsslich schildert Pilny, wie blauäugig westliche Unternehmen in den vergangenen Jahren Milliardensummen ins „Reich der Mitte“ gesteckt haben. Vor allem im Automobil- und Telekommunikations-Sektor ist fraglich, ob die seit Mitte der Neunziger Jahre gegründeten „Joint-ventures“ mit lokalen Partnern auch künftig noch satte Erträge liefern – zahlreiche Öffnungsklauseln ermöglichen es den Chinesen, dass durch Kooperationen gewonnene Knowhow in eigenständige Projekte auszulagern und damit die Partner von einst nicht nur im Land selbst, sondern sogar auf ihren Heimatmärkten anzugreifen. So war Volkswagen zwar als erster ausländischer Autohersteller in China präsent, inzwischen denkt die von den Wolfsburgern einst als bloßer „Türöffner“ angesehene Shanghai Automotive Industry Corp. (SAIC) jedoch darüber nach, ihre günstigen Kleinwagen künftig auch nach Europa zu exportieren. Ein ähnliches Schicksal droht dem Handy-Hersteller Motorola, dessen „Trainingscenter“ zur Keimzelle für einige Start-ups im Mobilfunk-Bereich geworden sind.

Damit liefert Pilny ein indirektes Plädoyer für direkte Investments; die vermeintliche „China-Phantasie“, wegen der manche Analysten zum Kauf bestimmter europäischer oder amerikanischer „Blue Chip“-Aktien raten, erscheint plötzlich in einem ziemlich faden Licht: Wer am Aufschwung im „Reich der Mitte“ partizipieren will, muss ohne Umwege dort investieren. Folgt man den Ausführungen Pilnys, dürften die in Hongkong gelisteten so genannten H-Aktien (HSCEI Hang Seng China Enterprises Index) dabei weiterhin besser Abschneiden als die Börse der Sonderwirtschaftszone Shenzen, auf deren „B-Share Index“ ABN Amro ebenfalls ein „Open End“-Zertifikat im Programm hat – die Privatisierungsvorhaben der Regierung könnten dem „B-Segment“ viel Geld entziehen, außerdem sind die Märkte auf dem Festland weniger stark reguliert und deshalb anfälliger für Manipulationen.

Die Hoffnung auf schnelles Geld könnte dennoch trügerisch sein und auch in diesem Kontext kommen wieder die Investitionen ins Spiel: Pilny rechnet vor, dass das chinesische Wirtschaftswachstum zu über zwei Dritteln investitionsgetrieben ist, woraus schon jetzt horrende Überkapazitäten resultieren. Trotz des gigantischen Binnenmarktes werden die Margen der meisten Unternehmen also auf Jahre hinaus relativ mickrig bleiben, auch wenn die Regierung inzwischen händeringend bemüht ist, die gewaltigen Kapitalströme in betriebswirtschaftlich sinnvolle Bahnen zu lenken. Ohnehin sieht Pilny die Strategie des Pekinger Politbüros überraschend kritisch und fordert weitere Reformen des fragilen und durch Unmengen fauler Kredite für staatlich induzierte Projekte ziemlich ausgelaugten Bankensektors. Auch zur Währungspolitik gibt der Ostasien-Experte eine klare Prognose ab – die fixe Bindung des Renmimbi Yuan an den US-Dollar wird nicht mehr allzu lange Bestand haben. Genauso wenig glaubt er allerdings an eine einseitige Aufwertung, sondern skizziert einen breit gefächerten Korb aus internationalen und südostasiatischen Währungen, an deren Wert die Chinesen ihren Wechselkurs zukünftig ausrichten könnten.

Von diesem Szenario können Anleger mit dem im ZertifikateJournal 05/05 vorgestellten „Asian Currencies Basket“ (ISIN NL 000 030 898 9) profitieren, wobei das Papier nur als Beimischung für größere Portfolios interessant ist. Bevor man mit derlei Spezialitäten anfängt, braucht es eine gesunde Basis und diesbezüglich bestätigen Pilnys Thesen exakt unsere bisherige Strategie: Die einzig sinnvolle Reaktion auf das extreme Chance/Risiko-Profil – grandiose Perspektiven, begleitet von erheblichen Rückschlagsgefahren – ist ein kontinuierliches Langfrist-Investment in nicht währungsgesicherte „Open End“-Zertifikate auf den HSCEI (beispielsweise ISIN DE 000 685 964 8 von ABN Amro). Durch die regelmäßige Anlage, am besten im Rahmen eines Sparplan-Programms, nutzen Sie vorübergehende Schwächephasen systematisch zum günstigen Nachkauf und falls es doch nur nach oben geht, sind Sie sowieso „eins-zu-eins“ mit von der Partie.

Für Pilnys zweiten Fokus-Markt – Japan gehört ebenfalls in jedes diversifizierte Portfolio – machen dagegen Bonus-Zertifikate am meisten Sinn. Denn bei allem Optimismus, den die Tokioter Notenbank in ihrem jüngsten „Tankan“-Bericht versprüht, dürften die Bäume am Kabuto Cho nicht in den Himmel wachsen: Die zahlreichen Strukturprobleme, vom wenig belastbaren Bankensystem über die verfehlte Wettbewerbspolitik bis hin zur ineffizienten Landnutzung stehen nach wie vor auf der Tagesordnung, wobei Pilny dem Kabinett um Premierminister Koizumi mehr makroökonomisches Geschick zutraut als der Vorgängerregierung, die 1997 den beginnenden Konjunkturaufschwung durch eine Mehrwertsteuererhöhung im Keim erstickt hatte. Da Politiker zwar nicht immer dieselben, dafür aber gerne immer wieder neue Fehler produzieren, sollte man trotzdem für schwierigere Zeiten vorsorgen: Die Société Générale hat ein knapp fünfjähriges Bonus-Zertifikat im Angebot, das auch dann noch 51,0 Prozent entsprechend 9,0 Prozent p.a. Rendite bringt, wenn der Nikkei 225 um bis zu 26,3 Prozent einbricht (ISIN DE 000 SG0 94M 1).

Fraglich bloß, wie hoch man Asien im Portfolio gewichten soll. Normalerweise veranschlagt man für diese uns kulturell sehr fremde Region vielleicht fünf bis sieben Prozent Depot-Anteil; wer Pilnys Buch gelesen hat, wird hernach trotz der zahlreichen Risikofaktoren eine höhere Quote (bis zu 15 Prozent) anstreben. Die Chance, an einer Wachablösung in der globalen Wirtschaftsordnung zu partizipieren, bietet sich schließlich nicht alle Tage – und die besonnene und sachliche Art, mit der Pilny Szenarien für den Aufstieg Asiens zur Weltmacht durchspielt, ist ungleich überzeugender als die eindimensionalen und oftmals viel zu dick aufgetragenen Kommentare einschlägig bekannter Medien und Analysten. Ein Wermutstropfen jedoch bleibt: Indien, dem dritten Schwergewicht der Region, widmet der Autor gerade einmal fünf Seiten.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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