Fundamentale Nachricht
17:09 Uhr, 06.06.2023

Anleihen (und Cash) eindeutig zurück auf dem Radar

Vincent Mortier, Group CIO Amundi und Matteo Germano, Deputy Group CIO Amundi, gehen davon aus, dass die Fed 2023 noch abwarten und die Zinsen erst 2024 senken dürfte.

Aufgrund der angespannten Lage im US-Bankensektor, der Ungewissheit in Bezug auf die US-Schuldenobergrenze und der Anzeichen für eine Verlangsamung der Konjunktur bei gleichzeitiger Verschärfung der Kreditkonditionen waren die Märkte im vergangenen Monat Mai nicht in der Lage, eine klare Richtung vorzugeben. Allerdings gab es einen wichtigen Faktor, der die Märkte stützte: die Unternehmensgewinne des ersten Quartals, die in den USA besser ausfielen als erwartet. Die Pause der Fed in ihrem drastischen Zinserhöhungszyklus wirkte ebenfalls unterstützend.

Jetzt preisen die Märkte offenbar ein rosiges Szenario ein, in dem die Konjunkturabschwächung die US-Notenbank Fed zu einer Zinssenkung im Jahr 2023 zwingen könnte, aber wir gehen davon aus, dass die Fed 2023 noch abwarten und die Zinsen erst 2024 senken dürfte.

Vier Themen bekräftigen unsere vorsichtige Haltung in diesem Umfeld:

  • Rückläufige Inflation: Es wird nur ein langsamer Rückgang verzeichnet, und einige Umfragen lassen darauf schließen, dass die Konsumenten höhere zukünftige Preise erwarten. Angesichts der Ungewissheit hinsichtlich der Inflationserwartungen ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed die Zinsen in nächster Zeit senken dürfte, gering.
  • Schwächelnde US-Konjunktur: Die US-Wirtschaft kühlt sich ab. Es wird erwartet, dass sich das BIP ab dem zweiten Quartal deutlich abschwächt und im zweiten Halbjahr 2023 ein Rückgang zu verzeichnen ist. Die Widerstandsfähigkeit der US-Konsumenten ist die wichtigste Variable, die es zu beobachten gilt.
  • Wiederöffnung Chinas: Sie zeichnet sich zwar ab, aber der Weg ist holprig. Der Aufschwung ist eher auf die Binnennachfrage ausgerichtet, während das verarbeitende Gewerbe schwach ist und die Unsicherheit bezüglich des Immobilienmarktes zugenommen hat.
  • Vorhandene Marktrisiken: Die Märkte sind offensichtlich zu selbstgefällig und ignorieren nach unserer Auffassung die zahlreichen Risiken. Es gibt Anzeichen für eine Diskrepanz zwischen den Fundamentaldaten und überhöhten Bewertungen in vielen Bereichen, z. B. bei US-Aktien und Hochzins-Anleihen.

Unserer Meinung nach sollten Investorinnen und Investoren ihre vorsichtige Allokation wie folgt anpassen:

  • Anlageklassen-übergreifende Perspektive: Wir sind nach wie vor vorsichtig hinsichtlich künftiger Unternehmensgewinne, weshalb wir bei Aktien und Unternehmensanleihen defensiv bleiben. Wir stehen der US-Duration – einem Maß für die Zinssensitivität von Anleihen – positiv gegenüber und wir haben die Cash-Positionen aufgrund potenzieller Liquiditätsprobleme an den Märkten erhöht. Darüber hinaus sind wir nun konstruktiver gegenüber Schwellenländeranleihen eingestellt. Hier bessert sich die Stimmung, da die Zentralbanken mit ihren Zinserhöhungen – insbesondere in Lateinamerika – und der Inflationskontrolle offenbar der Zeit voraus waren. Eine mögliche Zinspause der US-Notenbank Fed wäre ebenfalls positiv, aber wir sind uns der Liquiditätsrisiken bewusst. Investoren sollten unserer Meinung nach eine stärkere Absicherung bei Aktien in Erwägung ziehen und eine leicht positive Einstellung zu Gold beibehalten.
  • Anleihen: Die Waage neigt sich offenbar in Richtung eines schwachen wirtschaftlichen Ausblicks in den USA. Daher bleiben wir bei der US-Duration konstruktiv und erwarten eine Versteilerung der US-Renditekurve. Aus globaler Sicht bleiben wir bei der Duration in Kerneuropa, Japan, Kanada und dem Vereinigten Königreich vorsichtiger. Bei einer insgesamt vorsichtigen Haltung gegenüber Unternehmensanleihen sind wir der Meinung, dass die Investorinnen und Investoren weiterhin Investment Grade – also Anleihen hoher Bonität – bevorzugen sollten, und dabei sollten sie auf die Entwicklung der Fundamentaldaten der Unternehmen achten. Bei Hochzins-Anleihen bleiben wir defensiv. Angesichts unserer Bedenken hinsichtlich der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und der Verschärfung der Kreditvergabestandards in Europa und den USA sind die Renditeabstände (Spreads) hier eng. Rückläufige Gewinne könnten die Fähigkeit der Unternehmen, Zugang zu den Kapitalmärkten zu erhalten, weiter beeinträchtigen.

  • Aktien: In den Gewinnschätzungen der Analysten ist das Risiko einer wirtschaftlichen Rezession noch nicht berücksichtigt. Wir sind bei den USA defensiv eingestellt – insbesondere bei großen „Mega-Caps“ (Unternehmen mit sehr hohem Börsenwert) und Wachstumswerten. Die Marktkonzentration wird offenbar immer extremer, mit einer enormen Kluft zwischen der Wertentwicklung von Mega Caps und Small Caps (Unternehmen mit geringerem Börsenwert). Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass eine potenziell hohe Emission von US-Staatsanleihen dem System Liquidität entziehen kann, da die Frage der Schuldenobergrenze geklärt ist. Europa profitiert zwar von sinkenden Energiekosten und der Wiedereröffnung Chinas, doch würden Aktien durch die Verlangsamung des Wachstums belastet werden. Was den Anlagestil betrifft, so sind wir positiv gegenüber Value, also wertorientierten Aktien, und Qualität eingestellt.

  • Schwellenländer: Rückläufige Dynamik bei Zinserhöhungen der Zentralbanken der Industrieländer und ein schwächerer Dollar sprechen für Unternehmensanleihen in Lokalwährung. Auf der Aktienseite ist die Stimmung für Brasilien und China konstruktiv, jedoch mit einem selektiven Ansatz. Die jüngsten Daten zum Immobilienmarkt in China deuten auf eine ungewisse Lage hin.