Kommentar
11:02 Uhr, 23.02.2009

Anleihen: Marktverwerfungen zwar rückläufig, aber noch nicht überwunden

Als die Investmentbank Lehman Brothers Mitte September 2008 kollabierte, verschärfte sich die Situation am Rentenmarkt nochmals erheblich. Von September bis November führten Panik und extreme Risikoscheu bei Investoren und Banken zu völliger Stagnation der Geldmärkte, während das Interbankengeschäft praktisch zum Erliegen kam. Gleichzeitig kam es bei praktisch allen Anlageformen zu einem massiven Kurssturz. Ob gezwungenermaßen oder freiwillig: Investoren fuhren ihr Risikopotenzial deutlich zurück. Dieser Trend war indes nicht allein auf den ebenso rapiden wie steilen Konjunktureinbruch zurückzuführen. Gerade Investoren mit hohem Fremdkapitalanteil, wie beispielsweise Hedgefonds, legten hier höchste Eile an den Tag, um ihre Positionen abzuwickeln. Mangelndes Kaufinteresse führte zu extremen Preisschwankungen.

Die Spreads (d. h. die Renditedifferenz zwischen Unternehmens- und Staatsanleihen, auch als Risikoprämie oder Marge bezeichnet) verengten sich zwar vor allem bei Unternehmensanleihen aus defensiven Sektoren etwas, bewegen sich aber immer noch auf außerordentlich hohem Niveau.

Von Marktverwerfungen spricht man, wenn die Märkte keine realistischen Szenarien mehr einpreisen. Am Markt für (High-Yield-)Unternehmensanleihen geht man von einer lang anhaltenden, weltweiten Depression und zahlreichen Firmenpleiten aus. Die Situation ist außerordentlich ernst und komplex. Unsicherheit beherrscht die Märkte. Dennoch sind wir der Überzeugung, dass die von den politischen Instanzen ergriffenen unorthodoxen Maßnahmen ein Abgleiten in Depression und Deflation verhindern werden.

Hochzinsanleihen

Legt man die aktuellen Bewertungen am Hochzinsanleihemarkt (dem Markt für Anleihen mit vergleichsweise schlechter Bonität) zugrunde, so besteht offenbar die Erwartung, dass 55 bis 60 Prozent der an diesem Markt gehandelten Unternehmen innerhalb der nächsten drei Jahre in Verzug geraten werden (Ende Dezember betrug diese Prognose noch 60 bis 70 Prozent).

Derzeit liegt die Ausfallrate bei 4,4 Prozent in den USA und 2 bis 3 Prozent in Europa. Ihren höchsten Stand erreichte diese Rate in den 1930er Jahren, als sie über die 30-Prozent-Marke kletterte. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Krise wird dieser Prozentsatz in den kommenden Monaten vor allem in den USA steil in die Höhe gehen. Dennoch ist unwahrscheinlich, dass die Ausfallrate sich auf das Niveau der 1930er Jahre verdoppeln wird. Insgesamt sind die Bewertungen von Hochzinsanleihen unserer Auffassung nach bereits so sehr eskaliert, dass sich für Investoren mit einem längeren Anlagehorizont wieder attraktive Chancen ergeben.

Investment-Grade-Anleihen

Auch am Markt für Investment-Grade-Bonds (d. h. Anleihen von Unternehmen mit hoher Bonität) bestehen Verwerfungen. Auf Basis aktueller Bewertungen preist der europäische Investment-Grade-Markt ein Szenario ein, bei dem 35 Prozent dieses Universums binnen drei Jahren auf High Yield herabgestuft wird. (Im Dezember waren es sogar 40 Prozent). Das setzt voraus, dass die Märkte bereits fest von einer Depression ausgehen. Nur so lässt sich erklären, dass positive bzw. überdurchschnittliche Erträge bei diesen Wertpapieren über einen Zweijahreshorizont durchaus nicht als ausgemachte Sache gelten. Selbst bei einer Depression wären hohe negative Renditen dennoch unwahrscheinlich. Dies gilt umso mehr, als die Regierungen seit der Lehman-Pleite im September 2008 mit allem Nachdruck ihre Bereitschaft zur Unterstützung des Bankensystems demonstriert haben. (Der Investment-Grade-Index besteht zu 50 Prozent aus Finanzwerten)

Anleihen von den Emerging Markets

Auch Schwellenländeranleihen stehen unter Druck, vor allem weil der Kapitalstrom aus den Industrieländern versiegt ist bzw. auf die westlichen Märkte und nach Japan fließt. Dadurch geraten zahlreiche Währungen der Emerging Markets zunehmend unter Druck.

Die Verwerfungen bei Emerging-Markets-Anleihen sind weniger ausgeprägt als bei Unternehmensanleihen. Unserer Einschätzung nach besteht bei einer weiteren Verschärfung der weltwirtschaftlichen Situation hier ein deutlicheres Abwärtsrisiko als an den meisten anderen Fixed-Income-Märkten. Langfristig werden die soliden Rahmendaten, die viele Emerging Markets aufweisen, und ihr Wachstumspotenzial jedoch intakt bleiben.

Staatsanleihen

Von der Vermögensflucht aus risikoreichen Anlagen in 2008 profitierte vor allem der Staatsanleihensektor. Entsprechend sackten die Renditen im vierten Quartal ab. Vor dem Hintergrund anhaltender Risikoaversion, weiterer Leitzinssenkungen und rückläufiger Inflationsraten dürften die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen in den kommenden Monaten noch weiter fallen. Sofern sich in der zweiten Jahreshälfte eine leichte Erholung abzeichnet, könnten die Zinsen wieder etwas zulegen.

Quelle: ING Investment Management

ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit annähernd 375 Milliarden Euro Assets under Management, vertreten in 37 Ländern mit mehr als 3.700 Mitarbeitern, ist ING Investment Management (ING IM) weltweit auf Platz 27 im Asset Management.

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