Kommentar
20:15 Uhr, 18.02.2016

Angst vor der Krise oder reale Krise?

Der Markt arbeitet an einem Ende der Korrektur. Doch was, wenn die neu gewonnene Zuversicht vollkommen fehlgeleitet ist?

Keiner weiß ganz genau, wieso der Markt so schnell und brutal korrigierte. Die Kursverluste erinnerten teilweise an 2008. Insbesondere Bankaktien wurden panikartig verkauft. Die Aktien der Deutschen Bank verloren 40 % innerhalb von 6 Wochen. Das letzte Mal, als das geschah, befanden wir uns im Sommercrash des Jahres 2011. Damals war die Eurokrise gerade dabei sich zuzuspitzen und die USA hatten die Zahlungsunfähigkeit nur knapp abgewendet.

Deutlichere Einbußen mussten Bankaktien in den letzten Jahrzehnten nur während der Finanzkrise verzeichnen. Die Aktie der Deutschen Bank verlor in den 4 Wochen nach der Pleite von Lehman Brothers 50 %. Die Deutsche Bank ist nicht die einzige Firma, die abgestraft wurde. Die Papiere von Goldman Sachs verloren ein Fünftel. Das war genauso viel wie 2011. Nur 2008 war es schlimmer, als die Aktie ebenfalls innerhalb von 6 Wochen 50 % einbüßte. Der Bank HSBC ging es in den letzten Wochen so schlecht wie 2008 nicht mehr. Der Kursrutsch 2011 war weniger stark ausgeprägt als jener zu Jahresbeginn.

Wenn Aktien – egal welchen Sektors – innerhalb kurzer Zeit bis zu 40 % ihres Wertes einbüßen, dann ist das ein ganz eindeutiges Zeichen von Panik. Anders kann man das nicht beschreiben. Was aber hat Anleger dazu veranlasst, Bankaktien zu jedem Preis zu verkaufen?
Grundsätzlich sind Banken heute deutlich stärker kapitalisiert als 2008. Eine stärkere Kapitalisierung bedeutet jedoch nicht, dass Banken nicht trotzdem in Schieflage geraten können. Ein gutes Beispiel sind die griechischen Problembanken. Ihnen wurde im letzten EZB Stresstest eine ausreichend hohe Kapitalisierung bescheinigt. Im vergangenen Jahr wurde dann ein zusätzlicher Kapitalbedarf von 15 Mrd. festgestellt. So schnell kann es gehen...

Das dachten sich vermutlich auch Anleger in den letzten Wochen. Wenn etwas richtig schiefgeht, dann meistens sehr schnell. Reflexartig wurden Aktien verkauft. Keiner wollte so etwas wie 2008 noch einmal erleben. Das ist nachvollziehbar, doch es zeigt auch, wie nervös Anleger nach wie vor sind. Die Finanzkrise steckt den Marktteilnehmern nach wie vor tief in den Knochen.

Mit der Realität hatten die Panikverkäufe wenig zu tun. Selbst wenn die Kapitalisierung der Banken für den Ernstfall noch immer nicht ausreicht, können sie eine Rezession überstehen. Nicht jeder Abschwung muss gleich enden wie 2008. Die Wahrscheinlichkeit für so etwas ist gering. Man kann alle 100 Jahre mit einem solchen Desaster rechnen.

All das zählte nicht. Jeder malte sich gleich ein Horrorszenario aus. Woher dieser Impuls kam ist nicht klar, denn nach wie vor befinden sich die meisten Länder in einem soliden wirtschaftlichen Aufschwung. Trotzdem wurde und wird teilweise auch noch von einer erneuten, globalen Finanzkrise fantasiert.

Dass die Angst vor einer globalen Krise besteht zeigen Bankaktien weltweit. Alle Finanzinstitute werden in einen Topf geworfen. Europäische Banken wurden jedoch am stärksten abgestraft. Den Grund dafür findet man in den Renditen von Staatsanleihen. Trotz des Anleihenkaufprogramms der EZB stiegen die Renditen einiger Krisenländer zuletzt sehr schnell an. Vor allem Portugal sticht ins Auge. Die Renditen haben sich seit den Tiefs im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt.

Die Angst vor der Eurokrise und der globalen Finanzkrise ist Anlegern ins Gesicht geschrieben. Aber wieso ist das so? Stehen die Zentralbanken nicht bereit, um umgehend den Markt zu unterstützen?

Geht es nach der Korrektur der vergangenen Wochen, dann drängt sich der Verdacht auf, dass niemand mehr an die Zentralbanken glaubt. Es sieht nach einem Vertrauensverlust aus. Vertrauensverlust von Anlegern ist das schlimmste, was überhaupt geschehen kann. Ein Selloff kann sich erstaunlich lange selbst nähren und selbst wenn mit der Realwirtschaft alles in Ordnung ist, kann eine zu langanhaltende Unruhe auf dem Finanzmarkt die Realwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen.
In den USA sind die Zinsen zwar nach wie vor niedrig, doch das täuscht über die angespannte Lage hinweg. Kredite sind schon seit vielen Monaten nicht mehr so günstig zu haben wie noch vor einem Jahr. Die homöopathische Zinserhöhung erweckt den Anschein einer lediglich symbolischen Straffung der Geldpolitik. In Wirklichkeit sind die Bedingungen deutlich schwieriger geworden. Erkennen kann man das an den Zinsspreads von Unternehmensanleihen zu Staatsanleihen. Die Spreads sind für viele Anleihen so hoch wie seit 2009 nicht mehr. Das bedeutet, dass der Markt unter Stress steht und dass sich die Finanzierungsbedingungen drastisch verschärft haben. Von einer gemächlichen Straffung der Geldpolitik kann man nicht sprechen.

Die US Notenbank wird das hoffentlich erkennen. Letztlich geht es nicht darum, wo der Leitzins steht, sondern darum, wie einfach Unternehmen und Konsumenten an Geld gelangen können. Derzeit ist die Lage so schlecht wie seit 2009 nicht mehr. Eigentlich müsste die Notenbank also lockern, doch das wird sie wahrscheinlich nicht tun.

Meiner ganz persönlichen Meinung nach hat der Markt davor Angst, dass sich die Finanzierungsbedingungen weiter verschärfen und die US-Notenbank untätig zusieht. Reagiert die Notenbank nicht rechtzeitig oder hebt die Zinsen gar weiter an, dann ist auch ein realwirtschaftlicher Abschwung nicht mehr aufzuhalten. Aus der Angst vor einer Krise wird dann eine reale Krise.

Ich denke nicht, dass der Markt das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Notenbanken bereits jetzt verloren hat (wird aber noch kommen). Viele Analysten sehen in den aktuellen Turbulenzen genau einen solchen Vertrauensverlust, bei dem der Markt nicht mehr daran glaubt, dass die Notenbanken überhaupt noch etwas bewirken können. Ist das Vertrauen in die Instrumente der Notenbanken erschöpft, dann wird es hässlich.

Einen solchen Vertrauensverlust kann ich noch nicht erkennen. Vielmehr scheint das Vertrauen in den „Fed-Put“ verloren zu gehen. Die ursprünglich als Greenspan- und dann Bernanke-Put bezeichnete Absicherung durch die Notenbanken scheint es zumindest in den USA nicht mehr zu geben. 20 Jahre lang konnten sich Anleger auf rasche Eingriffe der Notenbank verlassen. Janet Yellen bricht gerade mit dieser Tradition und zerstört den Fed-Put. Kann der Markt nicht ohne diese Absicherung leben, dann muss Yellen den Put wohl wiederbeleben.

Einige US Notenbanker arbeiten bereits an der Wiederbelebung des Puts. Der eigentlich als Befürworter einer strafferen Geldpolitik bekannte James Bullard (Chef der Notenbank St. Louis) sprach sich nun gegen weitere Zinsanhebungen aus. Die Fed wird also so langsam weich. Hoffen wir, dass sie nicht zu weich wird und ihre Politik umkehrt, denn wenn die Normalisierung der Geldpolitik jetzt nicht gelingt, dann wird sie auch nicht mehr gelingen.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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