Kommentar
13:58 Uhr, 12.02.2016

Angst ist ein schlechter Ratgeber, auch an den Aktienmärkten

Viele Anleger sehen in der Stimmungsverschlechterung an den Finanzmärkten bereits Vorboten einer systemischen Krise wie 2008. Diese strahlt offenbar kräftig auf die realwirtschaftliche Stimmung aus. So stellt das ifo Institut eine spürbare Abkühlung der Weltwirtschaft fest: Setzt man die Einschätzung der globalen Geschäftslage und -erwartungen für das I. Quartal 2016 zueinander in Beziehung, befindet sich die Weltkonjunktur vor allem angesichts der eingetrübten Erwartungen in der Rezession. Bei näherer Betrachtung kam es in den USA und Europa zu einer merklichen Wirtschaftseintrübung.


Wenn die Weltkonjunktur leidet, leiden auch deutsche Aktien
Die schlechte weltwirtschaftliche Stimmung bekommen insbesondere konjunkturzyklische Aktien, z.B. aus dem Mittelstandsindex MDAX zu spüren.


Risikovermeidung scheint momentan oberstes Anlegergebot zu sein. Der DAX bewegt sich seit seinem Zwischenhoch Ende November in einem Bärenmarkt. Als vermeintlich sichere Anlagehäfen fungieren deutsche Staatsanleihen. Dabei ist das Sicherheitsbedürfnis so stark ausgeprägt, dass sie sogar negative Renditen bis zur Laufzeit von acht Jahren in Kauf nehmen. Der Bund Future hat erneut Allzeithochs erklommen. Die Verunsicherung zeigt sich auch darin, dass der von der Liquiditätspolitik der EZB eingeleitete Gleichlauf steigender Aktien- und Anleihekurse seit 2009 beendet ist.

Euro-Krisensymptome 2.0 
Für zusätzliche Irritationen an den Finanzmärkten sorgen die nun offen zutage tretenden Folgen des Ölpreisverfalls. Schätzungen zufolge ist ein Drittel der Energieanleihen der US-Fracking-Industrie akut ausfallbedroht. Entsprechende Abschreibungen in der europäischen Finanzindustrie, die hier auch kräftig investiert haben, werden sich nicht verhindern lassen. Das verleiht dem altbekannten Euro-Krisensymptom „Bankenkrise“ neue Nahrung. Und wo von Bankenkrise gesprochen wird, sind auch skeptische Blicke auf Staatsanleihen der Euro-Peripherie nicht weit. Insbesondere Staatsfonds aus den Rohstoffländern, deren Verlusttoleranz mit Blick auf schwache Energieeinnahmen ohnehin begrenzt ist, fahren vorsichtshalber ihre Positionen in Staatsanleihen zurück. Die neuerlichen Finanzprobleme von Griechenland, aber auch Portugal wirken dabei als Verkaufskatalysator. Die hohen Buchgewinne wollen die Vermögensverwalter der Staatsfonds nicht riskieren. Im Gegenteil, realisierte Kursgewinne sollen bei der Sanierung ihrer angeschlagenen Staatshaushalte bzw. bei der Stützung ihrer Volkswirtschaften helfen. Ein deutlicher Anstieg bei 10-jährigen Staatsanleiherenditen in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland ist tatsächlich unverkennbar.

Breitere Dimension der US-Konjunkturschwäche
Auch die Stabilität der US-Wirtschaft ist ins Wanken geraten. Es mehren sich die Bedenken, dass die seit Oktober 2015 rezessive Stimmung in der US-Industrie - als Folge der Schwäche am US-Energiesektor und psychologisch angefacht durch die Leitzinswende der Fed - sogar auf den gesamtwirtschaftlich wesentlich bedeutenderen Dienstleistungssektor übergreifen könnte. Diese breitere Dimension der US-Konjunkturskepsis schlägt sich in einem verschärften Abwärtsdruck an den US-Aktienmärkten nieder.

US-Notenbank: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt

US-Notenbankpräsidentin Yellen ist ein gebranntes Kind. Als Direktoriumsmitglied der Fed hat sie die Immobilienkrise und ihre fatalen Folgen „hautnah“ miterlebt. Im Rahmen ihrer halbjährlichen Befragung vor dem US-Kongress hat sie bereits eingeräumt, dass die aktuellen Verwerfungen an den Finanzmärkten die US-Konjunkturstimmung weiter eintrüben könnten. Und als „außenpolitische“ US-Notenbankpräsidentin wird sie nicht müde, darauf hinzuweisen, dass auch das angeschlagene weltkonjunkturelle Umfeld Risiken für die US-Exportwirtschaft birgt.

Ihre neue „taubenhafte“ Rhetorik ist auch deshalb bemerkenswert, weil sie die Möglichkeit negativer Leitzinsen in den USA - zumindest als theoretische Planungsgröße - nicht mehr ausschließt. Da Notenbankpräsidenten und -präsidentinnen ihre Worte sehr vorsichtig wählen, sind ihre Ausführungen noch beachtlicher. An dieser Stelle sei an die erneut aufgeflammte Diskussion über die Bargeldabschaffung erinnert, die zwingende Bedingung für die flächendeckende Einführung von Negativzinsen ist.

Übersetzt auf die zukünftige Zinspolitik der Fed heißt dies insgesamt, dass die nächste Leitzinserhöhung erst Ende des Jahres erfolgen wird, wobei es allerdings ein großes sogenanntes „downside risk“ gibt, dass die Zinswende bereits am Ende ist.

Mit der Stärke des japanischen Yens bzw. des Euros unterstreichen die Devisenmärkte diese Einschätzung deutlich.

Aktuelle Marktlage - Wer Angst an den Finanzmärkten zulässt, spielt mit dem fundamentalen Feuer
Zinslosigkeit, Risikoaversion, Deflationsängste und geopolitische Konflikte sind starke Argumente für die aktuelle Renaissance von Edelmetallen. Tatsächlich zeigt der seit Anfang 2013 festzustellende Abbau physisch gehaltener Goldbestände seit Anfang 2016 eine Trendwende.


Sobald sich die Wogen an den Finanzmärkten glätten, wird sich der Goldpreis wieder normalisieren. Und dennoch war, ist und bleibt Gold in einer Finanzwelt, die kein Stabilitätspolitisches Leitplankensystem mehr hat, ein wichtiger Bestandteil im Anlageklassenmix. Hierbei geht es jedoch mehr um langfristigen Vermögenserhalt, weniger um kurzfristige Renditeerwirtschaftung. Angesichts einer aus den Grundfesten gehobenen Finanzwelt werden wir irgendwann einen Preis zahlen müssen. Und dann kommen die goldenen Zeiten der Goldbesitzer.

In der Zwischenzeit wären die Notenbanken schlichtweg dumm, wenn sie eine nachhaltige Bankenkrise mit all den hässlichen Nebenwirkungen wie Staatsschuldenkrisen, Investitionsflauten, Deflation und Rezession zuließen. Angesichts eines bereits faktisch bestehenden Nullzins-Szenarios würden ihnen ansonsten bei einer auch nur annähernd wie 2008 ablaufenden Krisen die kompensierenden Zinssenkungshebel fehlen. De facto sind die Notenbanken am Ende mit ihrem Zins-Latein.

In puncto Konjunkturförderung besitzen die Notenbanken nicht mehr ihre frühere Durchschlagskraft. Aber bei der psychologischen Stabilisierung der Finanzmärkte sind sie noch Herr des Verfahrens und müssen es auch sein, damit eine nachhaltig schlechte Finanzstimmung die tatsächlich deutlich bessere fundamentale Lage, z.B. in China, nicht zerstört. Wer Angst an den Finanzmärkten zulässt, spielt mit dem fundamentalen Feuer.

Dringend geboten ist aber ein konzertiertes, aufeinander abgestimmtes Vorgehen der großen internationalen Notenbanken. Nicht jede Notenbank darf autonom die geldpolitische Schwächung bzw. Manipulation ihrer Landeswährung betreiben. Wenn alle ihre Währungen schwächen wollen, wird dies niemandem gelingen. Es ist ein Nullsummenspiel, das nur zu noch größerer Liquiditätsschwemme und damit zu noch mehr Fehlallokationen und Blasenbildungen bei Anlageklassen führt, die der permanenten Gefahr ausgesetzt sind, bei der kleinsten Verunsicherung zu platzen.

Das alte EWS-System mit eingeschränkten Bandbreiten sollte auch auf die großen Weltwährungen Anwendung finden. Volatilitäten, wie sie zurzeit zu beobachten sind, erschweren nicht nur die Kalkulation für Export- und Importfirmen, sondern führen auch zu plötzlichen und dramatischen Portfolioumschichtungen bzw. Kapitalfluchten. Die damit ausgelösten Stimmungsschwankungen haben wiederum negative Auswirkungen auf die reale Wirtschaft.

Anlegerstimmung und Charttechnik - Überverkaufte Aktienmärkte bieten Chancen
Die markant schwache Aktienstimmung ist als Kontraindikator anzusehen. Die extrem überverkauften Märkte bieten in den nächsten Wochen Einstiegschancen.


Aktienrückkaufprogramme haben sich in den vergangenen Jahren regelmäßig als solide Aktienstütze erwiesen. US-Unternehmen nutzen die rekordniedrigen Zinsen für Fremdkapital finanzierte Aktienrückkäufe, um sich von höheren Dividendenrenditen freizukaufen. Das ist sozusagen eine Dividendenverhinderungsstrategie. Auch in diesem Jahr dürften sie das aktuell niedrige Kursniveau als willkommenen Anlass für weitere Rückkäufe nutzen. Das geschätzte Aufkaufvolumen von rund 450 Mrd. US-Dollar liegt dabei klar über dem Durchschnitt der letzten vier Jahre.

Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Wunden lecken
Charttechnisch liegt im DAX die erste Unterstützung bei 8.740 Punkten. Weitere Haltelinien folgen bei 8.500 und am Tief des Jahres 2014 bei 8.355. Erkämpft sich der DAX die Marke von 9.300 Punkten zurück, liegen darüber weitere Widerstände bei 9.325, 9.563 und schließlich 9.905 Punkten.

Wird im Euro Stoxx 50 die Unterstützung bei 2.789 Punkten deutlich durchbrochen, warten die nächsten Auffanglinien zwischen 2.700 und 2.650 sowie zwischen 2.550 und 2.500 Punkten. Auf der Oberseite liegt der erste Widerstandsbereich zwischen 2.850 und 2.870. Darüber verlaufen weitere Barrieren bei 2.950, 2.990 und 3.137 Punkten.



Der Wochenausblick für die KW 7 - Nach der Neujahrspause spielt Aktien-China wieder mit
Nach der Neujahrspause wird in Asien wieder normal gehandelt. Das gibt Chinas (Geld-)Politik Gelegenheit, endlich die Stabilisierung des Aktienmarkts in Angriff zu nehmen, die auch zu einer Beschwichtigung der chinesischen Konjunktursorgen führte.

Unabhängig davon können in China wieder steigende Export- und Importzahlen im Januar für ein Abschwellen der Konjunkturängste sorgen. Dagegen wird Japan mit einer Schrumpfung seiner Wirtschaftsleistung im IV. Quartal 2015 und einem Exporteinbruch im Januar rezessive Signale aussenden.

In den USA bleibt der Immobiliensektor gemäß Daten zu Baubeginnen und -genehmigungen und die Industrieproduktion im Januar zwar stabil, doch können sie die volkswirtschaftlichen Zweifel nicht ausräumen. Entsprechend wird das Protokoll der letzten Sitzung der Fed auf Signale in puncto Aussetzung weiterer Leitzinserhöhungen oder gar deren Ende untersucht.

In Deutschland bleibt die Wirtschaftsstimmung laut ZEW Konjunkturerwartungen angeschlagen.

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