Kommentar
12:27 Uhr, 07.05.2007

Amerika niest – und Europa ist immun

Das Sprichwort „Wenn Amerika niest, holt sich Europa einen Schnupfen“ hat sich in all den Jahren immer wieder als wahr erwiesen. Daher mag ein wirtschaftlicher Aufschwung in Europa in einer Zeit der Konjunkturabschwächung in den USA verwunderlich scheinen. Aber der deutsche ifo-Geschäftsklimaindex weist darauf hin, dass die europäische Konjunktur in den kommenden Monaten eher noch an Fahrt zunehmen wird.

Teilweise lässt sich diese Entwicklung durch eine Zeitverzögerung erklären. Es dauert eine gewisse Zeit, bis eine nachlassende Nachfrage in den USA ihre Auswirkungen auf die Konjunktur in der Eurozone voll entfaltet, da die Firmen ihre Erwartungen und Investitionspläne entsprechend anpassen. Doch mittlerweile ist es zwölf Monate her, dass sich das Wachstum in den USA abschwächte und unter Trend sank. Daher wird es mit jedem Tag, an dem die Wirtschaft in Europa floriert, umso schwieriger, die alte Formel „Niesen – Schnupfen“ zu rechtfertigen.

Die Lösung für dieses Rätsel ist in den Handelsdaten der Eurozone zu finden. Obwohl die Erholung weiterhin von der Exportnachfrage abhängt, haben sich die Quellen dieses Bedarfs in den vergangenen Jahren radikal geändert.

Im Jahr 2001 betrug das Handelsvolumen mit den europäischen Schwellenländern und ganz Asien mit Ausnahme von Japan zusammen gerade einmal das 1,6-Fache des Handels mit den USA.

Nach 2003 jedoch wurden die Exporte sowohl nach Asien wie auch nach Osteuropa wichtiger als der Handel mit den USA. Die jüngsten Daten zeigen, dass die Exporte der Eurozone in die europäischen Schwellenmärkte – einschließlich Russlands und der Türkei – und Asien jetzt 2,6-mal so hoch sind wie in die USA. Diese Regionen verzeichnen ein großes Wachstum und umfassen viele Länder, in denen das rasche Tempo der Industrialisierung die Nachfrage nach Investitionsgütern in die Höhe trieb. Ein Bedarf, den die europäischen und insbesondere die deutschen Exporteure sehr gut decken können.

So hat sich die Eurozone besser denn je für weltweites Wachstum und weniger oder zumindest weniger direkt für Wachstum in den USA aufgestellt.

Und das Wachstum bleibt in fast allen Regionen außerhalb der USA relativ robust. Daher sind wir weiterhin zuversichtlich, dass die Europäer durch ihre zunehmende Ausrichtung auf nichtamerikanische Bedarfsquellen für eine weiche Landung der USA gewappnet sind und weiter über dem Trend wachsen können. Tatsächlich gehen wir bei unserer zentralen Wirtschaftsprognose davon aus, dass die USA eine weiche Landung erleben werden, bevor das Wachstum 2008 wieder anziehen wird.

Ganz anders sähe die Geschichte allerdings bei einer harten Landung der USA bzw. einer Rezession aus. Nach wie vor sind die USA die weltweit größte Einzelquelle für den Endbedarf. Daher ist ein Niesen der USA eine Sache, doch eine regelrechte Grippe würde sich ziemlich sicher als fatal für die Erholung in der Eurozone erweisen.

Steigende Zinssätze

Die Europäische Zentralbank (EZB) wird sich in den kommenden Monaten stark auf eine Eindämmung der Inflation konzentrieren. Die Wachstumsindikatoren sind heute so hoch wie zuletzt im Jahr 2000. Die damals erzielten hohen Wachstumsraten führten bis Ende 2001 zu einer Kerninflation von 2,5%, was damals für über ein Jahr so blieb.

Das wäre für die EZB ganz klar unannehmbar und sie wäre dann geneigt, die Zinssätze so weit zu erhöhen, bis diese sich spürbar auf das Bedarfswachstum auswirkten und die Inflation wieder unter den Richtwert von 2 % sinken würde.

Arbeitsmarktreformen in vielen europäischen Ländern weisen darauf hin, dass die Wirtschaft in der Lage sein dürfte, sich mit weniger Inflationsauswirkungen als vor fünf Jahren auf die höheren Wachstumsraten einzustellen. Allerdings bleibt dies reine Spekulation.

So gibt es bereits Anzeichen dafür, dass sich die höheren Zinssätze bereits auf die dafür anfälligeren Bereiche der Wirtschaft auswirken. Während die jährlichen Messungen von Geldangebot und Kreditwachstum neue zyklische Höhen erreichen, weisen die Daten der letzten Zeit auf eine spürbare Verlangsamung beim Kreditwachstum hin, besonders im Haushaltssektor. Eine größere Konzentration auf die Auswirkungen der strafferen Geldpolitik auf die Haushalte statt auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts insgesamt könnte immer noch die Leitzinsen bei 4,00 % belassen, was letztlich zum Höchstwert würde.

Insgesamt wird eine Kombination aus Wachstum über dem Trend und beunruhigenden Inflationsentwicklungen unserer Ansicht nach bedeuten, dass die EZB die Zinssätze bis September dieses Jahres noch zweimal bis zu einem Spitzenwert von 4,25 % erhöhen wird.

Quelle: Schroders

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2006 rund 184,2 Mrd. Euro.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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