Wissensartikel
00:04 Uhr, 15.10.2020

"Newstrading erfordert viel Zeit und Erfahrung"

Über Newstrading und Fundamentalanalyse sprachen wir mit Bastian Galuschka.

Bastian Galuschka ist langjähriger Experte auf GodmodeTrader/Guidants und ist stv. Chefredakteur von GodmodeTrader.de

Tipp: Sie können Bastian Galuschka auch auf unserem Schwesterportal, der Tradingplattform Guidants folgen. Hier klicken!

Was ist Fundamentalanalyse und wie grenzt sie sich von der Technischen Analyse ab?

Bei der Fundamentalanalyse versucht man auf Basis von verschiedensten Bewertungsmethoden, einen fundamental fairen Wert für eine Aktie zu bestimmen. Fundamentalanalyse kann zunächst Makroanalyse sein. Hierbei geht es um das gesamtwirtschaftliche Bild. Wächst die Wirtschaft, schrumpft sie? Wie entwickelt sich das Zinsniveau? Wie entwickeln sich die Wechselkurse oder Rohstoffpreise? Also es geht vorrangig um die allgemeine Konjunkturentwicklung. Anschließend kann man eine Ebene tiefer gehen und beispielsweise bestimmte Branchen spezifisch analysieren. Ich spreche immer von Puzzlesteinen, die man versucht zusammenzufügen, um sich ein gutes Gesamtbild machen zu können. Fundamentalanalyse wird oft mit Unternehmensanalyse gleichgesetzt. Dazu aber mehr bei der nächsten Frage.

Die Abgrenzung zur Technischen Analyse ist einfach. Den Technischen Analysten interessiert ausschließlich der Kursverlauf eines Basiswerts und nicht das Drumherum oder das Warum. Überspitzt formuliert kann man sagen, dass es dem Technischen Analysten eigentlich egal ist, was er analysiert, die Methodik ist immer dieselbe. Das kann man als Vorteil sehen, es kann aber auch ein gravierender Nachteil sein. Denn es findet keine Risikoabstufung statt. Ob ein riskanter Smallcap, ein Index, Bitcoin oder Gold. Alles wird gleichgesetzt. Die reine Konzentration auf den Kursverlauf führt sogar so weit, dass ein Technischer Analyst nicht einmal berücksichtigt, wann ein Unternehmen Quartalszahlen veröffentlicht, eine Dividende ausschüttet oder eine Kapitalmaßnahme durchführt, weil er seiner Meinung nach alle notwendigen Informationen im Kurs findet und das Drumherum ausblendet. Letztere beiden Faktoren, Dividendenabschläge und Kapitalmaßnahmen, haben aber direkte Auswirkungen auf den Kurs, die ohne das nötige Hintergrundwissen bei Analysen nicht einfließen würden.

Der Fundamentalanalyst versucht dagegen die Hintergründe, die Auslöser für Bewegungen zu erörtern. Ein Technischer Analyst würde wohl zu einem Fundi sagen: „Warum machst du es dir so schwer?“ Und der Fundamentalanalyst zum Chartie: „Warum machst du es dir so einfach?“

Wie geht ein fundamentalanalytisch orientierter Analyst vor, um den fairen Wert einer Aktie zu ermitteln?

Darüber wurden schon dicke Bücher geschrieben, daher kann ich das Thema nur kurz anreißen und beschreiben, wie ich vorgehe. Vorrangig zählen für mich Faktoren wie die Umsatz- und Gewinnentwicklung eines Unternehmens, die Profitabilität, der Cashflow und natürlich die Bilanz. Anhand von Kennziffern wie beispielsweise dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), dem Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) oder dem Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) kann man sich bereits einen ersten Überblick verschaffen, wie die jeweilige Aktie bewertet ist. Bei Wachstumsaktien finde ich auch das PEG, also das Price/Earnings-to-Growth-Ratio hilfreich, das anzeigt, welchen Preis der Anleger in Relation zum Gewinnwachstum bezahlt.

Auch schaue ich mir an, wie vergleichbare Aktien aus dem Branchenumfeld bewertet sind. Qualitative Kriterien wie die Managementqualität spielen ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle, gerade bei Smallcaps. Versprechen Verantwortliche regelmäßig das Blaue vom Himmel, halten es aber nicht, sollte man in jedem Fall einen Risikoabschlag bei der fairen Bewertung vornehmen.

Die Vollprofis ermitteln den fairen Unternehmenswert oftmals mittels Diskontierung der zukünftigen Cashflows. Diese Discounted-Cashflow-Methodik ist mit extremen Unsicherheiten verbunden, denn die zukünftigen Cashflows müssen erst einmal geschätzt werden. Schlussendlich erhält der Analyst, egal welche Methodik er am Ende anwendet, einen fairen Wert und gleicht diesen mit dem aktuellen Aktienkurs ab. Der Fundamentalanalyst geht am Ende davon, aus dass sich der Aktienkurs dem von ihm ermittelten fairen Wert angleichen wird.

Wie kann man Fundamentalanalyse und Technische Analyse im Trading kombinieren?

Persönlich kann ich die oftmals vorherrschende Rivalität zwischen Technischen Analysten und Fundamentalanalysten nicht wirklich nachvollziehen. Meist liegt es an völlig verschiedenen Anlagehorizonten. Wenn ich ausschließlich kurzfristig agiere und eine Umkehrkerze im Stundenchart einer Aktie trade, ist es klar, dass die Gewinnentwicklung des Unternehmens in diesem Fall keine Rolle spielen wird. Je größer dagegen der Zeithorizont ist, desto mehr spielen fundamentale Aspekte eine Rolle und setzen sich schlussendlich auch durch. Legt man beispielsweise die Gewinnentwicklung der Unternehmen im S&P 500 über den Kursverlauf des Index, sieht man diese Parallelen.

Nun muss man dennoch berücksichtigen, dass der Markt oft länger irrational in die ein oder andere Richtung verlaufen kann, als es dem ein oder anderen Anleger lieb ist. Eines der extremsten Beispiele hierfür ist die Kursexplosion der VW-Aktie auf über 1.000 EUR im Jahr 2008. Dieser fundamental völlig irrationale Move zerstörte die Existenz einiger Shortseller, einige Monate später war der Spuk dagegen vorbei und die Aktie notierte wieder unter 200 EUR. Die Shorties hatten also eigentlich Recht mit ihrer fundamentalen Einschätzung einer extremen Überbewertung der VW-Aktie zum damaligen Zeitpunkt, ihr Timing war allerdings schlecht.

Die technische Analyse kann genau hierbei helfen, das Timing für einen Ein- oder Ausstieg zu verbessern. Denn solange der Markt nicht die Meinung des Anlegers teilt, ob eine Aktie über- oder unterbewertet ist, muss man auch nichts überstürzen. Diese Erfahrung muss aber jeder selbst erst einmal machen. Es gibt meiner Ansicht nach nichts Schlimmeres, als ein Depot mit Aktien gefüllt zu haben, die der Anleger vielleicht interessant findet, die die Hausse am Gesamtmarkt aber nicht oder nur zum Teil mitmachen. In diesem Fall kann man sich den Rechercheaufwand sparen und fährt mit einem passiven Produkt wie einem ETF beispielsweise besser.

Also schlussendlich geht es mir bei der Kombination von beiden Ansätzen um ein möglichst gutes Ergebnis. Beide Methoden haben Vor- und Nachteile, beide Methoden sind mit Unsicherheiten behaftet. Indem ich sie kombiniere, versuche ich die Fehlerquote möglichst gering zu halten. Ich treffe eine Vorauswahl an aus meiner Sicht fundamental interessanten Aktien und gleiche das Analyseergebnis mit der technischen Analyse ab. Das gelingt freilich mal besser, mal schlechter.

Newstrader richten ihre Anlageentscheidungen je nach Nachrichtenlage aus. Worauf muss man bei der Einschätzung der Nachrichtenlage besonders achten?

News werden oft belächelt, weil viele Marktteilnehmer ihre Bedeutung nicht einordnen können oder wollen. Über die Jahre hinweg entwickelt man aber ein gewisses Gespür, welche per Ad-Hoc- oder Pressemitteilung gemeldeten fundamentalen Veränderungen auch eine deutliche Veränderung beim Aktienkurs nach sich ziehen können. Ich spreche in diesem Fall immer von Neubewertungsszenarien.

Am wichtigsten erscheint mir folgender Aspekt: Es zählen für den Kursverlauf beispielsweise im Falle einer Veröffentlichung von Quartalszahlen nicht die absoluten oder prozentualen Veränderungen im Bericht. Es zählt für die Kursentwicklung allen voran, wo der Marktkonsens bislang lag und ob dieser über- oder unterschritten wurde. Die Markterwartungen spielen eine große Rolle. Das wird oftmals nicht verstanden. Große Abweichungen vom Konsens ermöglichen neue Berechnungen der Analysten und somit auch neue faire Werte für Aktien. Dadurch entsteht neues negatives oder positives Kurspotenzial und somit auch neues negatives oder positives Interesse an der Aktie. Dass diese „Überraschungen“ bei wenig im Fokus stehenden Nebenwerten öfter auftreten, als beispielweise bei DAX-Aktien, die von einer ganzen Schar an Analysten regelmäßig gecovert werden, sollte klar sein.

Und beim Punkt der Markterwartungen kann man durchaus auch den Kursverlauf der Aktie vor den News miteinschließen. Wenn eine Aktie vor einer Nachricht über Tage hinweg wie ein Stein gefallen ist, reicht meist schon ein positiver Aspekt und es kommt zu einer Gegenbewegung. Andersherum muss ein Unternehmen, dessen Aktie sich beispielsweise verdoppelt hat, weiter extrem positiv überraschen, um diese Bewegung auch fundamental zu untermauern und mittel- bis langfristig zu festigen.

Der übliche Ablauf gestaltet sich so: Ein Unternehmen meldet starke Zahlen oder erhöht die Prognose. => Die Aktie steigt. => Analysten erhöhen ihre Ziele auf Basis eines neu ermittelten fairen Wertes. => Die Aktie nimmt das Neubewertungsszenario auf und nähert sich diesem neuen fairen Wert an.

Nicht jede Nachricht hat das Zeug dazu, eine neue Trendbewegung einzuleiten und ein Neubewertungsszenario auszulösen. Man benötigt viel Erfahrung und auch viel Zeit, wenn man als Newstrader agieren möchte.

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