Wissensartikel
10:40 Uhr, 05.05.2014

Anlageprodukte und -Zertifikate

Mit dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers gerieten Zertifikate, die damals wertlos verfielen, in Verruf. Doch mittlerweile haben sich die Finanzinstrumente wegen ihrer ausgesprochenen Flexibilität ihren festen Platz in den Anlegerdepots zurückerobert.

Zertifikate gehören zu den Finanzinstrumenten, die als strukturierte Produkte bezeichnet werden: Sie beziehen sich auf einen oder mehrere Basiswerte und bestehen darüber hinaus zusätzlich noch aus einer derivativen Komponente.

Der Preis von Zertifikaten als börsennotierte Wertpapiere wird also aus den Kursen anderer Vermögenswerte abgeleitet. Bezugswerte für Zertifikate können Börsenindizes, Aktien, Rohstoffe und Anleihen sein. Anders als bei Wertpapieren wie Aktien, Anleihen oder Investmentfonds unterliegt die Preisberechnung bei Zertifikaten nicht dem ständigen Wechsel von Angebot und Nachfrage, sondern ist durch die Kursbewegung des jeweiligen Basiswertes (auch Underlying genannt) bestimmt. Im Allgemeinen gelten für Zertifikate genau definierte "Wenn-Dann"-Bestimmungen: Sie legen fest, inwieweit sich der Kursverlauf des Basiswertes auf den Geldertrag auswirkt, der dem Zertifikateanleger ausgezahlt wird.

Besonders wichtig in diesem Zusammenhang: In der Welt der Zertifikate gibt es eine Reihe von Produktlösungen, mit denen Zertifikatekäufer auch ohne nennenswerte Kursgewinne oder sogar bei Kursverlusten am Aktienmarkt hohe Renditen erzielen können. Damit weisen Zertifikate gegenüber anderen Anlageformen – etwa Aktien oder Investmentfonds – einen wesentlichen Vorteil auf: Letztere können nur in steigenden Märkten Gewinne erzielen; Zertifikate können hingegen alle Marktbewegungen abdecken.

Die Chancen von Zertifikaten variieren von Produkttyp zu Produkttyp. Das Spektrum reicht von der Chance auf eine überproportionale Beteiligung an den Kursgewinnen einer bestimmten Aktie bis zu der Möglichkeit bei moderatem Risiko eine steueroptimierte Rendite auf Anleiheniveau zu erzielen. Die weitreichende Flexibilität hat für viele Anleger ihren Charme: Aktuell sind in Deutschland nach Angaben des Deutsche Derivate Verbands (DDV) 1,2 Millionen Zertifikate auf dem Markt – so viele wie nie zuvor. Etwas mehr als 90 Milliarden Euro sind derzeit in den Papieren geparkt.

Ganz generell sind dem Sammelbegriff „Zertifikat“ sehr unterschiedliche Produktgruppen zugeordnet. So bezeichnen Zertifikate Investmentprodukte, deren Risikoprofil mit dem einer konventionellen Aktienanlage vergleichbar oder noch deutlich geringer ist. Mit dem Begriff „Zertifikate“ werden aber auch hochriskante Spekulationsinstrumente bezeichnet: Im Falle von renditeträchtigen Turbo-Zertifikaten besteht für Anleger die Gefahr des Totalverlusts des eingesetzten Kapitals.

Zu den wichtigsten Zertifikategruppen zählen Bonus-, Discount-, Index- und Express-Zertifikate.

  • Bonus-Zertifikate werden gerne auch als die „besseren“ Aktien bezeichnet, da sie dem Anleger eine Zusatzzahlung gewähren, wenn eine bestimmte vorab festgelegte, unterhalb des aktuellen Basiswert-Kurses festgelegte Barriere während der Laufzeit zu keinem Zeitpunkt berührt oder unterschritten wird. Der Investor kann deshalb je nach Ausstattung auch bei einem moderaten Kursrückgang einer Aktie oder eines Index noch eine attraktive Bonusrendite erzielen. Kommt es jedoch zum Schwellenereignis, geht der Bonusanspruch sofort verloren und das Zertifikat verhält sich in der Folgezeit nur noch ähnlich einer Direktanlage. Sie bieten Anlegern die Möglichkeit mit moderatem Risiko in eine Aktie oder einen Index zu investieren, ohne dabei das Renditepotenzial bei kräftigen Kursgewinnen des Basiswertes zu beschneiden. Mit Bonus-Zertifikaten können Anleger zusätzlich bei stagnierenden oder auch moderat fallenden Kursen eine ansprechende Rendite erzielen, die im Allgemeinen deutlich über dem derzeitigen Zinsniveau am Kapitalmarkt liegt.
  • Discount-Zertifikate haben in der Regel ein geringeres Anlagerisiko als Aktien oder Indexzertifikate. Warum? Anlegern wird beim Kauf ein Rabatt (Discount) auf den aktuellen Börsenkurs gewährt, wodurch das Investment ungeachtet der weiteren Kursentwicklung des Basiswertes immer etwas günstiger ausfällt als eine Direktanlage. Im Gegenzug ist die Partizipation aber nach oben auf einen vorab definierten Höchstkurs bzw. Cap begrenzt. Sollte das Underlying darüber hinaus ansteigen, kann der Anleger hier also nicht weiter davon profitieren. Je nach Wahl des Caps genügt bei Discount-Zertifikaten eine Seitwärts- bzw. moderate Abwärtsentwicklung des Basiswertes, um die maximale Rendite zu erzielen.
  • Aktienanleihen besitzen nahezu das gleiche Auszahlungs-Profil wie Discounter. Allerdings wird hier statt einem Einstiegs-Rabatt ein entsprechender, deutlich über dem risikolosen Zinsniveau liegender Fix-Kupon sicher ausgezahlt. Die hohe Verzinsung gibt es aber auch bei dieser Struktur nicht ohne ein entsprechendes Aktienmarkt-Risiko. Um das eingesetzte Kapital am Laufzeitende wieder vollständig zurückzuerhalten, darf der Basiswert bei Fälligkeit deshalb nicht unter dem meist in Höhe des Auflageniveaus festgelegten Basispreises notieren, da sonst am Ende nur noch ein zu den Emissionsbedingungen geschnürtes Aktien-Paket ins Anleger-Depot zurückgebucht wird.
  • Index-Zertifikate sollen Anlegern ermöglichen, mit einer einzigen Depotposition einen ganzen Markt abzubilden: Index-Zertifikate beziehen sich auf Börsenindizes wie den Dax oder Dow Jones. Ihre Wertentwicklung bildet damit die Entwicklung der im jeweiligen Index enthaltenen Aktien eins zu eins ab. Auf den Dax bezogen, wird das Anlagerisiko somit auf 30 Bluechips verteilt.
  • Mit Express-Zertifikaten haben Anleger die Chance, auch in Seitwärtsmärkten eine ansehnliche Rendite zu erzielen. Was diesen Produkt-Typ besonders auszeichnet ist seine Flexibilität. So wird ein Produkt bei der klassischen Variante bereits dann vorzeitig zurückgezahlt, wenn der Basiswert an einem Stichtag meist nach einem Jahr auf oder über dem Startniveau notiert. Als „Belohnung“ gibt es dann eine feste Express-Zahlung, die sich, sollte dieses Kriterium erst in einem späteren Jahr erfüllt sein, dann entsprechend erhöht. Spätestens am finalen Bewertungstag nach einigen Jahren genügt zumindest die Einhaltung einer deutlich unter dem Emissionsniveau fixierten Barriere, um zumindest noch den Nennbetrag oder bei optimierteren Abwandlungen auch noch die vollständige Rendite zurückerstattet zu bekommen.
  • Der besondere Vorteil eines asymmetrischen Chance-Risiko-Profils zeigt sich bei Outperformance- und Sprint-Zertifikaten, die anders als hochspekulative Turbo-Produkte nach oben einen gewissen Hebel bieten, im Verlustfalle aber nur ein einfaches Risiko nach unten verbriefen. Während Outperformer in der Regel ab einem bestimmten Basispreis eine überproportionale Partizipationsrate ohne Performance-Begrenzung gewähren, erfolgt der Hebel-Effekt bei Sprintern in einer fest vorgegebenen Kursspanne und ist deshalb auf einen bestimmten Höchstbetrag begrenzt.

Die Beispiele haben gezeigt: Das Zertifikate-Spektrum ist sehr vielfältig und zeichnet sich durch unterschiedlichste Produktkonstruktionen aus. Dabei handelt es sich oft um Spielarten der genannten wichtigsten Zertifikatearten. Daneben gibt es aber auch äußerst innovative, ausgeklügelte und komplexe Strukturen. Nicht zuletzt deshalb wurden nach der Lehman-Pleite im September 2008 strukturierte Produkte und Zertifikate mit dem Etikett „Teufelszeug“ versehen: Zertifikate der US-Bank, die auch in Deutschland private und institutionelle Käufer gefunden hatten, verloren nach dem Zusammenbruch des Instituts von einem Tag auf den anderen ihren Wert. Warum? Zertifikate sind – anders als zum Beispiel Fonds – sogenannte Inhaberschuldverschreibungen und gelten damit als Kredit, den Zertifikatekäufer den Emittenten gewähren. Im Gegensatz zu Fonds sind die in Zertifikaten gebundenen Gelder bei einer etwaigen Insolvenz des Emissionshauses nicht geschützt. Sie können also komplett verloren gehen. Anleger sollten deshalb stets die Bonität des Zertifikateemittenten im Blick haben.

Extremszenarien der möglichen Pleite eines Emittenten außen vorgelassen, bieten Zertifikate einträgliche Perspektiven: Mit etwas komplexeren Zertifikaten, als es einfache Index- oder Partizipationszertifikate sind, können sich Anleger auf fast jedes Marktszenario einstellen und auch in unübersichtlichen Marktphasen Verluste vermeiden. So können Investoren mit sogenannten „Reverse“-Produkten auch ganz gezielt auf fallende Kurse setzen. Die jeweilige Struktur beispielsweise bei Reverse-Bonus- oder Reverse-Express-Zertifikaten funktioniert dann genau spiegelverkehrt zu der entsprechenden Long-Variante.

Weil Anleger mit Zertifikaten solide und teils sogar hohe Renditen erzielen können, aber auch entsprechende Risiken bestehen, schreitet die Regulierung des Marktes immer weiter voran. Dabei poliert die Branche mit diversen Selbstverpflichtungen ebenso an ihrem Image, wie immer wieder neue gesetzliche Vorschriften zum Schutz des Anlegers beitragen sollen. So gilt z.B. ab dem 1. Mai 2014 eine neue gesetzliche Regelung: Banken sind verpflichtet, für jedes Zertifikat einen einmal börsentäglich ermittelten sogenannten „Issuer Estimated Value“ (IEV) festzulegen, einen Preis, der den tatsächlichen Wert des jeweiligen Zertifikats angeben soll. Stellen Anleger diesen Preis dem Verkaufspreis des Zertifikats gegenüber, können sie – nach Meinung des Gesetzgebers – einschätzen, mit welchem Aufschlag die Bank das Zertifikat verkauft. Kritiker monieren, dass es allerdings kein einheitliches Verfahren für die Berechnung des IEV gibt. Zertifikate-Emittenten bleibt also ein gewisser Spielraum – den die Emissionshäuser nutzen dürften.

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