Kommentar
10:40 Uhr, 17.06.2022

Zwischen Inflationsängsten und Rezessionssorgen

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Ohne Zweifel, diese Woche mit überraschenden Zentralbankentscheidungen und unfassbaren Kursbewegungen an den Finanzmärkten wird in die Geschichtsbücher eingehen. Wohl die meisten Marktteilnehmer sehnen sich nach dem Wochenende, um Gelegenheit zu bekommen, ihre Gedanken zu sortieren. Gilt die Hauptsorge noch den hartnäckig hohen Inflationsraten, den daraus resultierenden Leitzinsanhebungen historischen Ausmaßes, oder blicken wir bereits weiter und preisen an den Märkten eine Art Weltrezession ein? Von der Agenda her müsste der heutige Wochenabschluss eigentlich relativ ruhig verlaufen, was fehlt, ist der Glaube, dass es auch wirklich so kommen wird. Die Aufarbeitung der Ereignisse erfordert heute eine XXL-Ausgabe der Impressionen.

Eine Dringlichkeitssitzung der EZB, eine Riesen-Zinsanhebung durch die Fed, eine faustdicke Überraschung durch die Nationalbank der Schweiz, eine fingerdicke Überraschung der Bank of England und schließlich eine standfeste Zentralbank in Japan – es gilt einiges aufzuarbeiten. Die Europäische Zentralbank sah sich nach ihrer Pressekonferenz am Donnerstag vergangener Woche mit einer nennenswerten Ausweitung der Renditedifferenzen innerhalb der Währungsunion konfrontiert. Ihre am Mittwoch kurzfristig einberufene Dringlichkeitssitzung endete zwar ohne greifbare Ergebnisse, aber mit der kraftvollen Zusicherung, einer Fragmentierung der Rentenmärkte entschlossen zu begegnen. Einige mutmaßliche Details des anvisierten „Anti-Fragmentierungs-Instruments (AFI)“ sind mittlerweile über Agenturen durchgesickert oder von Notenbankvertretern selbst angerissen worden. So solle dieses Instrument nach Äußerungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde dann zum Einsatz kommen, „wenn sich die Spreads von Anleihen über bestimmte Schwellenwerte hinaus ausweiten oder wenn Marktbewegungen eine bestimmte Geschwindigkeit überschreiten“. Wahrscheinlich würde die EZB in einem solchen Umfeld Anleihekäufe tätigen und die dabei in den Markt gegebene Liquidität über Verkäufe anderer Papiere aus ihren Beständen sterilisieren, berichtet Bloomberg. Reuters schreibt, der Einsatz des AFI könnte an bestimmte Bedingungen geknüpft sein. Ratsmitglied Fabio Panetta betonte, ein Instrument zur Stabilisierung der europäischen Anleihemärkte sei eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die EZB ihrem Inflationsmandat gerecht werden könne. Die bisherigen Verlautbarungen haben die Marktteilnehmer insofern überzeugt, als die Renditeaufschläge zwischen den einzelnen Staatsanleihemärkten in den vergangenen zwei Tagen deutlich zurückgegangen sind.

Die Federal Reserve hob am Mittwochabend den Leitzins dann doch tatsächlich um 75 Basispunkte auf 1,75 % an, was an den Aktienmärkten eine kurzzeitige Erleichterungs-Rallye auslöste. Innerhalb des Offenmarktausschusses herrscht nun Einstimmigkeit dahingehend, dass der Leitzins noch in diesem Jahr in den restriktiven Bereich von mehr als 3 % angehoben werden müsse. Ob hierzu weitere Schritte im Ausmaß von 75 Basispunkten eingesetzt würden, ließ Notenbankchef Jerome Powell offen. Die Geldmärkte sehen weiterhin Zinsanhebungen bis in den Bereich von 4 % im kommenden Jahr, vor diesem Hintergrund notieren die Treasury-Renditen im Bereich von aktuell 3,20-3,30 % relativ niedrig.

Die Schweizer Notenbank (SNB) überraschte wohl sämtliche Teilnehmer, als sie gestern Vormittag ihre erste Zinsanhebung seit 15 Jahren verkündete, und dies sogar gleich im Umfang von 50 Basispunkten auf nun ‑0,25 %. Devisenmarkteingriffe könnten in beide Richtungen erfolgen, so Notenbankchef Thomas Jordan. Erachtet die SNB den Außenwert des Franken also als zu niedrig, könnte sie diesen durch den Verkauf von Fremdwährungsanlagen aus ihren Beständen stützen. Und so waren es wohl auch Befürchtungen solcher Verkäufe, welche gestern zu den zwischenzeitlichen Kursverlusten an den Renten- wie auch an den Aktienmärkten beigetragen haben. Der Schweizer Franken legte gegenüber dem USD gestern fast drei Prozent zu, im Verhältnis zum Euro gewann die Währung gut 2 % und notiert aktuell bei Kursen um 1,0170. Anfang März war das Währungspaar kurzzeitig einmal unter die Parität gerutscht.

Die Bank of England (BoE) wiederum erfüllte die Markterwartungen einer Zinsanhebung um 25 Basispunkte auf 1,25 %. Drei der neun Ratsmitglieder votierten jedoch für Anhebung um 50 Basispunkte. Trotz der unübersehbaren und auch von der BoE selbst erwarteten Konjunkturabschwächung antizipieren die Geldmärkte in diesem Jahr weitere Zinsanhebungen im Ausmaß von 175 Basispunkten. Wir sind allerdings sehr skeptisch, ob eine solche Entwicklung tatsächlich eintreten wird.

Die Bank of Japan (BoJ) schließlich hielt heute früh an ihrer geldpolitischen Ausrichtung fest. Die BoJ ist weiterhin sehr expansiv positioniert und nimmt damit innerhalb der globalen Zentralbankwelt eine Sonderstellung ein. Die Folge ist eine anhaltende Schwäche des japanischen Yen. Mit Verlusten von mehr als 14 % ggü. dem USD beziehungsweise über 7 % ggü. dem EUR ist die japanische Währung mit Abstand die schwächste G10-Devise seit Jahresbeginn.

Die Aktienmärkte zeigten sich diese Woche lediglich unmittelbar nach der FOMC-Entscheidung von ihrer sonnigen Seite. Ansonsten gingen die Kurse teils kräftig zurück. Heute zeigen die Kurse zunächst nach oben, eine solche Bewegung war in den vergangenen Tagen jedoch häufig kein zuverlässiger Indikator für die Kursentwicklung im weiteren Tagesverlauf. An den Rentenmärkten sahen wir in dieser Woche Renditeausschläge, wie man sie normalerweise über ein ganzes Jahr prognostizieren würde. Gestern beispielsweise stieg die 2J UST-Rendite am Vormittag um bis zu 20 Basispunkte an, nur um bis zum Tagesschluss 10 Basispunkte unter ihr Vortagesniveau zu fallen. Eine vergleichbare Intraday-Bewegung hat es seit 1999 genau ein Mal gegeben – am 17. September 2008, zwei Tage nachdem die Lehman-Bank in den USA Gläubigerschutz beantragt hatte. Am Bundmarkt stieg die 5J Rendite im Soge der SNB-Verlautbarungen um bis zu 30 Basispunkte bis auf 1,75 % an, schloss am Nachmittag dann jedoch „nur“ rund 10 Basispunkte höher bei 1,55 %. Ähnlich die Bewegungen an den Devisenmärkten, wo neben dem Schweizer Franken besonders das Britische Pfund gegenüber den anderen G10-Währungen Boden gutmachen konnte. Im Rohstoffmarkt zog der europäische Benchmark-Kontrakt für Gas zunächst weiter an und weitete seine Kursaufschläge seit Montag in der Spitze auf bis zu 77 % aus. Im Tagesverlauf gab die Notierung jedoch deutlich von fast 150 EUR/MWh auf weniger als 120 EUR/MWh nach.

Schwache Aktien, fallende Renditen, ein schwächelnder US Dollar – das Marktbild des gestrigen Nachmittages war so, wie man es erwarten würde, wenn sich unter den Anlegern Rezessionsängste ausbreiten würden. Natürlich sind Konjunktursorgen aus vielerlei Gründen angebracht, aber sollen wir jetzt schon davon ausgehen, dass die Bedenken um die Konjunkturentwicklung einen stärkeren Einfluss auf das Marktgeschehen nehmen als die Sorgen um die Teuerungsraten und steigende Zinsen? Wir schätzen, dass über die kommenden Monate die Inflationssorgen noch die Oberhand behalten und Wachstumssorgen erst im Schlussquartal des Jahres dominant werden. Für die Rentenmärkte bedeutete dies vorübergehend weitere Renditeanstiege, was wiederum auf die Bewertungen (KGV) der Aktien durchschlagen und an den Devisenmärkten größere Kursausschläge in beide Richtungen auslösen würde. Zunächst gilt es jedoch, den heutigen Tag erfolgreich zu bestehen, bevor wir in ein normales und die amerikanischen Börsen in ein verlängertes Wochenende gehen…

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Der Beitrag Zwischen Inflationsängsten und Rezessionssorgen erschien zuerst auf onemarkets Blog (HypoVereinsbank - UniCredit Bank AG).

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