Kommentar
14:18 Uhr, 18.07.2017

Zins-Irrsinn geht in die nächste Runde

Der erste Ratenkredit mit negativen Zinsen ist da: Wer sich 1.000 Euro leiht, muss nur noch 994 Euro zurückzahlen. Wird es Geld für alle bald vom Himmel regnen?

Wer dachte, die Zeit der außerordentlich niedrigen Zinsen gehe langsam aber sicher zu Ende, könnte sich getäuscht haben: Auch wenn die US-Notenbank bereits langsam die Zinsen wieder anhebt und auch die Europäische Zentralbank (EZB) langsam aber sicher den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik einleiten dürfte, kommt die Zeit der Negativzinsen in der Realwirtschaft wohl erst so langsam wirklich an.

Nachdem bereits verschiedene Banken negative Guthabenzinsen für vermögende Kunden eingeführt haben, gibt es nun auch den ersten Kredit für Privatpersonen mit negativen Zinsen: Wer sich 1.000 Euro leiht, muss bei einem seit gestern bestehenden Angebot nur noch 994 Euro zurückzahlen. Das Angebot stammt vom Vergleichsplattform Smava, der Kredit kommt von der Fidor Bank. Es handelt sich um einen Ratenkredit mit einer Laufzeit von 36 Monaten und einem effektiven Jahreszins von minus 0,4 Prozent. Die Kreditsumme ist auf 1.000 Euro pro Person beschränkt.

Natürlich handelt es sich um ein Lockangebot und einen Marketing-Gag: Das Vergleichsportal und die Fidor Bank wollen Kunden gewinnen, und sie erwarten wohl, dass sie in Zukunft pro Kunde eben mehr verdienen werden, die sie ihm nun "schenken".

Trotzdem: Das Beispiel könnte Schule machen, auch wenn die Zeichen derzeit wieder auf Zinsanhebungen stehen. Spätestens bei der nächsten Rezession dürften die Zentralbanken wieder verbreitet zum Instrument der Negativzinsen greifen. Gut möglich, dass die Zinsen dann noch viel stärker sinken müssen als in der letzten Krise - auch in der Realwirtschaft! Denn Zinsen führen zu einem Gewöhnungseffekt in der Wirtschaft. Niedrige Zinsen erlauben fremdkapitalfinanzierte Investitionen, die sich sonst nicht lohnen würden. Ist ein Großteil der Wirtschaft von solchen Investitionen abhängig, ist durchaus auch ein dauerhaft negatives Zinsniveau vorstellbar.

Aber das Zinsniveau ist nicht nur von den Notenbanken abhängig, sondern sinkt schon seit Jahrzehnten. Verantwortlich dafür ist wohl auch das geringere Wachstumspotenzial der westlichen Volkswirtschaften.

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Investoren und Spekulanten nutzen das Instrument niedriger oder negativer Zinsen schon seit Jahrhunderten, um ihr Vermögen zu mehren. Der "König der Inflation" aus der Weimarer Republik hat es getan, genau so wie US-Starinvestor Warren Buffett, der schon seit Jahrzehnten von Negativzinsen profitiert.

Entscheidend ist ohnehin nicht der nominale Zinssatz, sondern der Realzins, sprich Zinssatz minus Inflationsrate. Negative Realzinsen gab es aber schon immer. In der Deutschland waren negative Realzinsen in den vergangenen Jahrzehnten jedenfalls nicht unüblich.

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2 Kommentare

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  • Schuby
    Schuby

    hab den mal versucht mit top Eingaben zu bekommen....., am Ende gabs Angebote um die 3,3 %.

    Also echt fürn Po :-P

    21:52 Uhr, 18.07.2017
  • Newton1642
    Newton1642

    Sehr richtig! Der reale Zins war bis vor vor kurzem trotz hohen Nominalzinsen von teilweise über 10 Prozent negativ wegen noch höherer Inflation und höheren Steuern. Seit einiger Zeit ist der Realzins Dank der Null- bis Ein-Prozent-Politik von FED und EUB 0 oder sogar positiv. Der Grund liegt auf der Hand . Das reale Wirtschaftswachstum wird in den entwickelten Volkswirtschaften immer niedriger. Dies ist logisch erklärbar und lässt sich durch eine einfache Formel zeigen. Die USA driften aktuell sogar wieder Richtung Rezession. Reales und realwirtschaftljches Wachstum lässt sich nur noch durch gewaltige, kreditfinanzierte Investitionen erreichen. Selbst in China muss für 1 Prozent Wachstum immer mehr investiert werden. Das Problem dabei ist, dass die Investitionen nur noch auf Pump geschehen. Klar: bei den niedrigen Zinsen macht das kurzfristig betrachtet ökonomisch Sinn. Aber auch hier fehlt jegliches Verhältnis. Financial Engineering ist absolut in Mode.

    Die Verschuldung steigt und steigt und Steig, und damit auch die Zinslast. Bei positiven Realzinsen liegt es auf der Hand, wer sich freut

    18:08 Uhr, 18.07.2017

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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