Kommentar
09:01 Uhr, 23.07.2009

Zahlenmystik an der Wallstreet

Haben Sie sich auch die Augen gerieben, als Sie die neuesten Quartalsberichte von
den Wallstreet-Banken lasen? Am Donnerstag meldete JP Morgan Chase für das
zweite Quartal einen Gewinn von 2,72 Mrd. US-Dollar, 28 Cent pro Aktie. Das war
mehr als im Vorjahreszeitraum und als die Analysten erwarteten. Bereits am
vergangenen Dienstag hatte auch Goldman Sachs mit einem satten Quartalsgewinn
von 2,7 Mrd. US-Dollar aufgewartet. Da kam natürlich Freude auf. Die beiden
anderen Großen konnten nicht nachstehen. Die Bank of America verkündete einen
Überschuss von 2,42 Mrd. US-Dollar infolge eines Einnahmezuwachses um 60 %.
Selbst die verlustträchtige Citigroup konnte durch den Verkauf der Brokersparte (für
6,7 Mrd. US-Dollar) das Minus noch in einen Quartalsgewinn von 4,3 Mrd. US-Dollar
umdrehen.

Erinnern Sie sich noch an die Berichte vom vierten Quartal 2008? Es gab Verluste
über Verluste. Das US-Bankensystem schien todkrank. Ist hier ein Wunder
geschehen? Inzwischen haben die meisten Großen sogar die Staatshilfen
zurückgezahlt, um den lästigen Auflagen der US-Regierung bezüglich
eingeschränkter Bonuszahlungen zu entgehen.

Ist die Bankenkrise etwa schon vorbei?

Wenn Sie sich das Wettbewerberfeld anschauen, sehen Sie, wie es sich seit 2008
gelichtet hat. Berühmte Namen wie Bear Sternes, Merill Lynch oder Lehman Brothers
sind von der Bildfläche verschwunden. Die Übriggebliebenen konnten sich den
„Kuchen“ neu aufteilen und sich dabei stärker den lukrativen Stücken zuwenden.
Auch wenn der Kuchen kleiner geworden ist, so tobt der Wettbewerb nicht mehr in
gleicher Schärfe wie noch 2007.

Das bedeutet nicht, dass die Banken ihre Praktiken geändert hätten, dass sie sich
gewissermaßen vom Saulus zum Paulus gewandelt hätten. Nein, sie machen das,
was sie immer gemacht haben. Mit den gleichen Methoden. Schon wieder werden
Kredite gebündelt, verbrieft und mit besten Rating-Noten verkauft, um Risiken los zu
werden und weithin zu verteilen. Das Investmentbanking läuft wieder wie geschmiert,
auch wenn die Realwirtschaft am Stock geht. Mit fiktiven Gewinnen lassen sich prima
Geschäfte machen.

Doch wohin sind all die faulen Kredite verschwunden, die noch vor einem halben
Jahr die Bilanzen der großen US-Banken verhagelten? Nun, sie wanderten gegen
frische US-Dollars in die Tresore der FED. Mit Hunderten von Milliarden kaufte die
FED toxische Wertpapiere zum Nominalwert und gab den todkranken Banken
Kapitalinfusionen, natürlich mit dem Segen des US-Kongresses und zu Lasten des
Steuerzahlers. So hat sich die FED zur Bad Bank des US-Bankensystems
„entwickelt“. Es wäre interessant zu wissen, wie sich die toxische Wirkung der
aufgekauften Wertpapiere in der FED-Bilanz entfaltet. Ob dies je offenbart wird?
Hinzu kommt, dass den Banken bei der Bewertung ihrer Assets Erleichterungen
zuteil wurden. Was 2008 als Forderung noch anhand des marktgängigen Wertes zu
beurteilen war, darf heute höher bewertet werden, wodurch Finanzlöcher verkleinert
werden oder gar mehr Überschüsse darstellbar sind. Das ist jedoch alles nur
Kosmetik, um Anleger an das Krankenbett der Banken zu locken. Dabei lässt sich
nicht einmal ausschließen, dass die kranken Banken wieder genesen, wenn sie die
Energie (sprich: das Kapital) vieler Anleger einzufangen vermögen.

Wie weiter?

Wie schon gesagt, läuft das Bankgeschäft weiter wie bisher. Alle Schwüre, aus den
Fehlern der Vergangenheit, die zur Finanzmarktkrise führten, zu lernen, werden
schnell wieder vergessen sein. Niemand vermag den Großbanken wirklich auf Dauer
neue ethische Maßstäbe anzulegen.

So wird sich schon bald zeigen, dass die wirklichen Ursachen und Mechanismen der
Finanzkrise nicht behoben sind. Es mag den Hauptakteuren an der Wallstreet
gelingen, noch zwei oder drei Quartale lang Gewinne darzustellen, doch dann ist mit
neuen Verlustmeldungen zu rechnen. Wieder wird die FED als Bad Bank einspringen
müssen. So würde das Spiel endlos weiterlaufen, wenn der amerikanische
Steuerzahler dem keinen Riegel vorschiebt.

In welche Richtung die Ambitionen von Goldman Sachs beispielsweise gehen
könnten, wurde erst in der vergangenen Woche bei einer Anhörung des
Staatsanwaltes Joseph Facciponti vor Untersuchungsrichter Kevin Fox deutlich.
Dieser drang darauf, dass schnellstens die vermutlich entwendete Kopie der
superschnellen Goldman-Software wiederbeschafft werden müsse. Dabei enthüllte
er: „Wegen der Art und Weise, wie diese Software an den verschiedenen Märkten
und Börsen ankoppelt, hat die Bank (Goldman) auf die Möglichkeit verwiesen, dass
jemand, der sich mit dem Programm auskennt, es benutzen kann, um die
Finanzmärkte auf unfaire Weise zu manipulieren.“ Liegt es nicht nahe sich zu fragen,
ob Goldman Sachs die Software genau für diesen Zweck (für „positive“
Manipulationen) geschaffen hat? Letztlich geht das Ansinnen der Großbanken dahin,
Märkte und Anleger zu manipulieren, um daraus Profit zu schöpfen. Freiheit und
Wahrheit bleiben dabei auf der Strecke.

Es bleibt spannend
Gerhard Spannbauer

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