Kommentar
19:13 Uhr, 07.09.2012

Wie lange kann Deutschland das noch erdraghin?

Mario Draghi ist ein Mann der Tat. Er erfüllt voll die Erwartungen, die seine Befürworter in ihn gesetzt haben und bestätigt ebenso die Befürchtungen, die seine Widersacher seit dem Tag seiner Nominierung als EZB-Chef hegen. Mario Draghi ist ein Gelddrucker!

OMT – Outright Monetary Transactions nennt die Europäische Zentralbank ihr neues, unlimitiertes Kaufprogramm für Staatsanleihen mit Laufzeiten von ein bis drei Jahren. Der Italiener Draghi, offenbar nicht gerade ein Stabilitätsfanatiker, betont neuerdings häufiger, dass Anleihekäufe durch die Zentralbank keine verbotene Staatsfinanzierung gemäß Art. 123 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union darstellen. Erstens werden diese ja nicht am Primärmarkt getätigt (die EZB gibt also keine direkten Kredite, sondern kauft Anleihen an der Börse, also am Sekundärmarkt). Außerdem beginnt Staatsfinanzierung nach Lesart von Draghi erst ab Laufzeiten von 15 Jahren.

Der eine oder andere sah das früher anders (incl. Draghi selber, der noch vor Monaten vor einer Ausweitung der Käufe warnte), heute steht Jens Weidmann mit seiner konträren Ansicht alleine da. Bei der jüngsten Entscheidung für das Kaufprogramm gab es nur eine Gegenstimme im EZB-Rat: Weidmann. Die Gerüchte, dass der Bundesbankchef kürzlich aus Protest gegen die EZB-Politik zurücktreten wollte, dürften realistisch sein. Sein Vorgänger Axel Weber, der 2010 als heißester Anwärter für die Nachfolge des damaligen EZB-Vorsitzenden Trichet gehandelt wurde, warf sein Amt wohl aus ähnlichen Motiven, die Weidmann heute keine Ruhe lassen, im Februar 2011 hin (gepaart mit der Tatsache, dass es der Kanzerlin an Entschlossenheit hinsichtlich der Förderung seiner Nominierung mangelte) . Spätestens seit diesem Zeitpunkt werden die Karten in der EZB neu gemischt, und sicherlich nicht zu Gunsten Deutschlands. Welche Rolle die Kanzlerin dabei spielt, ob sie nur pro forma zu Weidmann steht und insgeheim froh ist, dass Draghi die Geldschleusen öffnet? Ich weiß es nicht. Sie steht öffentlich sowohl hinter Weidmann als auch Draghi, was für Schizophrenie spricht. Sie hat natürlich auch Angst, dass Weidmann den Weber macht.

Haben Sie sich eigentlich gewundert, dass der Euro nach der EZB-Entscheidung zur Rally ansetzte? Zunächst ist das nämlich unlogisch: Ein massives Anleihenkaufprogramm bedeutet schließlich die Ausweitung der Geldmenge. Isoliert betrachtet, sollte das den Wechselkurs sicher nicht stützen.
Aber Sie müssen es so sehen: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Euro überhaupt überlebt, steigt durch das beherzte Eingreifen der Zentralbank immens! Überlegen Sie mal in Ruhe, was die wahrscheinliche Konsequenz wäre, wenn die EZB nicht eingreift, der Rettungsschirm ESM nicht kommt und die Renditen dramatisch nach oben schnellen. Vermutlich würde ein Staat nach dem anderen in die Pleite gehen und den Euroraum verlassen, so wie es mindestens Griechenland, Irland und Portugal ohne Rettungspakete wohl schon längst getan hätten. Und am Ende gäbe es womöglich keinen Euro mehr. Also ist alles, was den Euro erhält, zunächst mal gut für den Kurs. Auch wenn die möglichen Auswirkungen der unlimitierten Käufe auf die Geldbasis dramatisch sein könnten.

Was der Euroraum eigentlich bräuchte, jetzt mehr denn je angesichts der deutschen Isolation, ist der Austritt des stärksten Mitglieds, nämlich Deutschland. Die Finnen und die Holländer würden vermutlich sofort mitziehen. Aus rationalen Erwägungen heraus wäre das die beste Lösung, die aber politisch (noch) so vollkommen undenkbar ist, dass man ihr immer noch keine vernünftige Wahrscheinlichkeit zubilligen kann. Ich sehe als realistische Verwirklichungs-Option derzeit nur einen radikalen Stopp des ESM durch das Bundesverfassungsgericht nächste Woche, und selbst dann würde Deutschland es nicht von sich aus wagen. Die anderen Staaten, allen voran Frankreich, müssten es schon selber vorschlagen...

Apropos ESM – die Bedingungen für den Kauf von Anleihen durch die EZB sehen vor, dass die Krisenstaaten einen Antrag beim ESM / EFSF stellen und sich den darin formulierten Bedingungen unterwerfen müssen. Doch was passiert, wenn der ESM gar nicht kommt? Fragen über Fragen.

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3. Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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