Kommentar
18:49 Uhr, 05.09.2011

Wie lange haben die Griechen noch den Euro?

Griechenland leidet. Es schrumpft vor sich hin, die Menschen dort sind nicht glücklich und haben staatlich verordnete Minderwertigkeitskomplexe, die anderen Europäer sind nicht happy mit ihrer Zahlmeister-Rolle, kurzum keiner ist zufrieden mit der Situation. Es hätte nicht so kommen müssen!

Denken Sie zurück an den Start der akuten Hellas-Krise im Frühjahr 2010. Hätte man den viel und zu Unrecht gescholtenen Markt ungestört sein Werk verrichten lassen und die Staaten hätten nicht interveniert, was WÄRE passiert?

Griechenland wäre zahlungsunfähig gewesen. Vielleicht wäre die Drachme wieder eingeführt worden, es hätte sicher ein Tohuwabohu gegeben. Aber inzwischen wären 1 ½ Jahre vorbei, der Staub hätte sich längst gelegt, Griechenland hätte seine Banken rekapitalisiert und neu angefangen.

Was IST passiert? Griechenland IST zahlungsunfähig, wird aber künstlich am Leben gehalten. Es gibt trotzdem ein Tohuwabohu, immer mehr Staub wird aufgewirbelt, und die griechischen Banken sind mehr oder weniger tot. Mit Notkrediten hält die griechische Zentralbank die Institute scheinlebendig. Jeder, der ein bisschen nachdenkt, zieht sein Geld von den griechischen Konten ab. Das Vertrauen ist unwiederbringlich verloren.

Es gibt für Griechenland jetzt nur noch einen gangbaren Weg: So schnell wie nur irgend möglich raus aus dem Euro und den Staatsbankrott erklären. Banken schließen, verstaatlichen und rekapitalisieren, unmittelbar die neue Währung einführen (Vorbereitungen dazu müssen schon seit einem Jahr mindestens laufen, wenn die Herren in Athen ein wenig Verstand haben).

Deswegen wird es sicherlich nicht über Nacht grandios laufen im Land, zumal das Schuldenproblem nicht weg ist. Aber Athen wäre dann wieder Herr der Lage und könnte offen mit den Gläubigern über einen echten Schuldenverzicht und einen langen Zahlungsaufschub verhandeln. Das „neue“ Griechenland würde an den Kapitalmärkten natürlich erst mal geächtet, das ging Argentinien ab 2002 nicht anders, als man dreist seine Gläubiger enteignete. Aber da die eigene Zentralbank dann wieder voll handlungsfähig wäre und kein Vasall der EZB mehr, wäre das nicht annähernd so schlimm wie jetzt.

Es ist vom Timing her nicht verwunderlich, dass sich jetzt immer Politiker herauswagen und Griechenland offen zum Euro-Austritt auffordern. Zuletzt Wolfgang Bosbach und Hermann Otto Solms, nachdem klar war dass Athen weder die geforderten Sparziele einhalten noch das geplante Defizit oder die geplante Wirtschaftsleistung erreichen wird. Wie denn auch, wenn die Menschen in Lethargie leben und das Ende herbeisehnen?

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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