Kommentar
13:17 Uhr, 28.08.2018

Wie Hessen das Geld seiner Bürger verzockt

Hemmungsloses Zocken ohne Sinn und Verstand befällt nicht nur manchen Privatanleger, sondern kann auch einen Finanzminister überkommen. Dumm nur, wenn der Finanzminister dann gleich mit dem Geld seiner Bürger zockt.

Es ist ein Skandal allererster Güte, den die "Welt am Sonntag" in ihrer jüngsten Ausgabe aufgedeckt hat: Das Bundesland Hessen hat mit gigantischen Beträgen auf steigende Zinsen gewettet und dadurch inzwischen Buchverluste von mehr als drei Milliarden Euro angehäuft.

Das Ziel des hessischen Finanzministers Thomas Schäfer (CDU) war - aus Sicht des Jahres 2011 - durchaus nachvollziehbar. Schäfer wollte nach seinem Amtsantritt im August 2010 das damals historisch niedrige Zinsniveau für die Zukunft sichern. Aus diesem Grund erwarb Hessen im Jahr 2011 Finanzderivate, mit denen das Bundesland auf steigende Zinsen wettete.

Die Rechnung des Finanzministers sah ungefähr so aus: Steigen die Zinsen, so muss Hessen für die Refinanzierung seiner Schulden durch die Ausgabe neuer Anleihen am Markt höhere Zinsen zahlen. Um diese höheren Kosten auszugleichen, wurden die Derivate erworben. Steigen die Zinsen, so gewinnen die Finanzderivate an Wert, wodurch die höheren Refinanzierungskosten ausgeglichen werden.

Absicherungsgeschäfte auf das Zinsniveau sind für deutsche Bundesländer nicht unüblich und auch Hessen hatte schon vor der Amtszeit von Thomas Schäfer versucht, durch Finanzderivate die Zinsbelastung zu verringern. Unter Thomas Schäfer wurden die Zinswetten aber deutlich ausgebaut. So hatten die Derivategeschäfte im Jahr 2009 nur einen Anteil von 24,7 Prozent an den hessischen Schulden. Im Jahr 2018 waren es bereits 52,2 Prozent.

Wären die Zinsen gestiegen, so hätte Hessen dem Markt tatsächlich ein Schnippchen geschlagen und sich so das historisch niedrige Zinsniveau aus dem Jahr 2011 gleich für 40 Jahre (so lange die Laufzeit der Derivate) gesichert. Dumm nur, dass die Zinsen seit dem Jahr 2011, als die Derivatewetten vereinbart wurden, nicht etwa gestiegen, sondern weiter gefallen sind. Zum einen senkte die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins immer weiter und zum anderen sanken auch die langfristigen Zinsen deutlich.

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Durch die nicht steigenden, sondern seit dem Jahr 2011 weiter gefallenen Zinsen sitzt das Land jetzt auf Milliardenverlusten: Allein für die ersten zehn im Jahr 2013 fällig gewordenen Papiere muss Hessen einen Verlust von 375 Millionen Euro verbuchen. Dieses Geld ist weg, auch falls die Zinsen doch noch steigen sollten. Noch schlimmer allerdings: Bei den noch laufenden Papieren steht inzwischen ein Buchverlust von 3,2 Milliarden Euro zu Buche!

Dabei dürfte Hessen nur die Spitze des Eisbergs sein. Denn ganze 12 Bundesländer setzen Zinssicherungsgeschäfte ein - und haben dadurch in den vergangenen Jahren mutmaßlich zwei- oder dreistellige Millionenverluste verbucht. Nur Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen verzichten nach Recherchen der "Welt am Sonntag" auf diese Instrumente.

Hessens Finanzminister Schäfer versucht, die Derivategeschäfte damit zu rechtfertigen, dass man eben nur versucht habe, das günstige Zinsniveau zu sichern. "Wer Zinsen sichert, wettet nicht", sagte Schäfer laut Medienberichten. Damit verkennt der Finanzminister allerdings die Funktionsweise der Derivate. Absicherung gegen steigende Zinsen und Wetten auf steigende Zinsen sind nämlich im konkreten Fall völlig identisch. Die Zeche darf der hessische Bürger zahlen. Ihm hat der Finanzminister voraussichtlich Milliardenverluste eingebrockt.


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16 Kommentare

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  • netzadler
    netzadler

    hätte der depp seine Pension im Feuer, wäre diese Entscheidung so sicher nicht gefallen.

    Dieser ganze mist und die Schlagzeilen, die er produziert hat viel damit zu tun, dass sich das Volk aus Hilflosigkeit und Ohnmacht immer weiter radikalisiert.

    Die Entwicklungen zeigen, dass die Politik nicht die Intelligenz besitzt, diesen negativen Trend zu stoppen, geschweige denn umzukehren. Der Laden namens demokratie wird auseinanderliegen.

    Leider sind in dieser weltgemengelange autokratische Systeme effektiver, der Mensch scheint für eine starke demokratie leider immer noch ungeeignet.

    18:34 Uhr, 28.08. 2018
  • molybdenum
    molybdenum

    Die Zinsersparnis hätte es auch ohne das Geschäft gegeben, das ist richtig. Aber anders herum, was wäre wenn man KEINE Zinssicherungen betreiben würde und die Zinsen tatsächlich steigen? statt 1% wäre die Zinslast auf einmal z.B. 2, 3 oder gar 4% und damit um ein vielfaches höher (vereinfacht dargestellt). Deshalb finde ich das man nicht von Zocken reden kann. Es gab zu dem Zeitpunkt genau 2 Alternativen, nämlich nichts tun und den variablen Kredit beibehalten (das wäre mit dem Wissen von heute besser gewesen, ok...) oder einen Festsatzkredit, dann wäre aber exakt die gleiche Belastung enstanden wie beim Derivat.

    Also ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie man von Zocken sprechen kann. Zu mal Herr Schäfer nicht zu 100% die Zinsen festgeschrieben hat sondern nur um ~25% (von ~25 auf ~50%). Also im Prinzip hatte das Land Hessen vorher ein größeres Zinsänderungsrisiko als aktuell.

    ganz vereinfacht kann man sagen Herr Schäfer hat sich von einer Spekulativen Position (nämlich 24,7% feste Zinslast / 75% variabel) hin zu einer neutralen Position (50/50) bewegt, wenn die Zinsen um 1% steigen steigt für Hessen der Zinsaufwand nur um 0,5% (stark vereinfacht ausgedrückt), das hat nichts mit zocken zu tun und ist gängige Praxis. Außerdem hat man mehr planungssicherheit, wenn man seine Zinsbelastung im Vorfeld kennt. Mal ganz davin abgesehen, dass es m. M. nach nicht dumm ist die aktuellen Zinsen für 40 Jahre zu sichern. Klar es war nicht der perfekte Zeitpunkt, aber wer trifft diesen schon und vielleicht sieht die Welt in 5 oder 10 Jahren anders aus und man ist froh über die bestehende Zinssicherung. Ich persönlich glaube zwar nicht an stark steigende Zinsen, aber ich dachte früher auch, dass es keine negativen Zinsen geben wird...

    16:08 Uhr, 28.08. 2018
    2 Antworten anzeigen
  • shark
    shark

    Der Minister hat,ungeachtet seiner Qualifikation, die Verantwortung zu tragen

    Im übrigen brauchen wir eine Amtshaftung die nicht nur bei Vorsatz zur persönlichen Haftung führt

    Target 2,Zinssicherungsgeschäft,Schiffsfinazierungen usw-wo der Staat am Markt agiert ist das Desaster nicht weit .

    In Deutschland landen Schwarzfahrer im Knast-andere vezocken Mrd € Beträge und "sonnen sich im Erfolg."

    "Schuster bleib bei deinen Leisten" kann ich nur sagen -es ist kein Zufall was hier abläuft !!

    14:20 Uhr, 28.08. 2018
  • molybdenum
    molybdenum

    Ich kann weder Kingmidas noch dem Redakteur zustimmen. Herr Schäfer hat meiner Meinung nach alles richtig gemacht. Die Zukunft kann keiner von uns vorhersehen und die Hälfte seiner Darlehen zinslich abzusichern ist mehr als richtig. Wer von euch finanziert ein Haus zu 100% variabel? Richtig, niemand... das ist exakt das gleiche, man kennt seine Verbindlichkeiten, weiß nicht wie hoch die Zinsen steigen werden oder ob sie vielleicht sogar fallen - damit man planen kann macht man aber dennoch einen Festzins. Das das ganze jetzt mit Derivaten (ich nehme mal an es sind normale Payer Swaps) geschieht ändert nichts an der Tatsache, außer das in den Bilanzen ggf Drohverlustrückstellungen gebildet werden müssen, wenn kein Grundgeschäftsbezug besteht. Den Verlust hätte das Land Hessen genauso bei Festsatzkrediten gehabt, es hätte dann nur niemanden interessiert... oder hat von euch jemand schonmal einen Artikel darüber gelesen wie bescheuert ein Finanzminister oder Vorstand eines Dax-Unternehmens ist, weil er einen Festsatzkredit abgeschlossen hat und die Zinsen danach fielen? was wollt ihr also eigentlich...? Nebenbei: Wenn im Jahr 2018 52,2% zinsgesichert sind, heißt das im Umkehrschluss ~48% sind variabel, wo Hessen zu 100% an fallenden Zinsen partizipiert hat und noch partizipieren wird. Wenn ich mir den 40-Jahres-swapsatz und den 3-Monats-euribor ansehe fällt mir auf, dass in dem im Artikel genannten Zeitraum der 40-jahres-swapsatz um ca. 1% gefallen ist, der 3-Monats-euribor sogar mehr als 1 %, in Summe hat das Land Hessen also weniger Zinsbelastung als vor 2011. "Die Zeche darf der hessische Bürger zahlen. Ihm hat der Finanzminister voraussichtlich Milliardenverluste eingebrockt." Diese Aussage ist meiner Meinung nach völlig fehl am Platz. Ich bitte hierfür um eine Begründung, gerne mit konkreten Zahlen, dann können wir darüber diskutieren.

    14:18 Uhr, 28.08. 2018
    1 Antwort anzeigen
  • kingmidas
    kingmidas

    Wen wundert es? Nur in Deutschland können absolute Dilettanten Positionen wie die eines Finanzministers bekommen, weil das System so aufgebaut ist, dass jeder Dilettant jeden Posten kriegen kann. Da wird mal die Familienministerin mal eben Verteidigungsministerin, ein Politikwissenschaftler und Rechtsanwalt Finanzminister usw usw. Ausbildung, Berufserfahrung? Wer braucht sowas? Ist ja nur der Posten des Finanzministers. Komisch nur wenn sich jemand mit nicht genügend Qualifikation auf einen Posten in der Finanzbranche bewirbt, landet seine Bewerbung sofort im Müll. Aber in der Politik nicht, Fair oder?

    Ein Finanzminister sollte nur jemand sein dürfen, der sein Leben lang sein Geld am Finanzmarkt verdient hat mit entsprechender Reputation und ein Verteidigungsminister sollte nur jemand sein, der Erfahrung als Soldat, General etc. hat.

    Aber da es unser dummes System zulässt, dass sich die Parteien die Posten gegenseitig zu schieben wie es gerade passt, ohne das auch nur einer Ahnung hat von der Position die er besetzt, wird es solche Milliardenverluste immer geben. Die Leute störts ja nicht, solange Fussball im TV läuft und das Internet funktioniert ist alles paletti. Aber Stunden und Tage lang sich das sinnlos Maul über Özil und Trump zerreißen, dafür haben die Menschen in unserem Land zeit und genau dafür gibts so eine Quittung wie diese.

    13:48 Uhr, 28.08. 2018
    2 Antworten anzeigen

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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