Kommentar
08:12 Uhr, 22.07.2015

Was wir von China lernen können

Das chinesische Börsenspektakel hat es zu weltweiter Prominenz gebracht. Das ist gut, denn man kann daraus auch etwas lernen.

Chinesisches Kurzzeitgedächtnis

Die Geschichte kennt inzwischen fast jeder: der Shanghai Composite stieg innerhalb eines Jahres von 2.000 auf 5.100 Punkte. Über 150% Kursanstieg in 12 Monaten - das passiert nur selten. In etablierten Märkten sieht man so etwas so gut wie gar nicht. In Entwicklungsländern kommt es immer wieder einmal vor. Wenn es vorkommt, dann für gewöhnlich nur ein einziges Mal.

In Thailand stiegen Aktien von 1993 bis 1994 in rasantem Tempo an. Es war der klassische Verlauf einer Blasenbildung. Als die Blase platze verloren die Indizes nicht nur 85%, es brauchte auch 20 Jahre bis die alten Hochs wieder erreicht wurden. So etwas ist normal. Sind Aktien hoffnungslos überbewertet und platzt eine solche Blase, dann kann es sehr lange dauern, bis die alten Hochs wieder erreicht werden. Das konnte man auch in den USA bei Technologiewerten beobachten. Dort brauchte es 15 Jahre, bis der Nasdaq ein neues Allzeithoch erreichte.

Die meisten Märkte haben ein relativ langes Gedächtnis. Einzelne Sektoren werden immer wieder überbewertet. So war es z.B. im 3D Druckbereich. Unternehmen wurden teils zum Hundertfachen ihres Umsatzes gehandelt. Das macht keinen Sinn, egal wie optimistisch und blind man vor Begeisterung ist. Die Quittung wurde präsentiert. Die Aktien des Sektors gaben nach Platzen der Blase 80 bis 90% nach.

Während Einzelsektoren schnell in einen Hype geraten können dauert es bei Gesamtmärkten oft länger bis nach horrenden Verlusten Anleger wieder vollkommen blind und um jeden Preis kaufen. In China hat der Markt ein sehr kurzes Gedächtnis. Hier kam es innerhalb von 8 Jahren zu zwei ausgereiften Blasen. Grafik 1 zeigt den Shanghai Composite von 1997 bis heute. Ohne große Diagnose sieht man auf den ersten Blick, was Sache ist.

Chinesischen Anlegern ist es schwer gefallen die Sache so klar zu sehen. Das lag auch daran, dass die Staatspropaganda („Kauft Aktien!“) bei vielen offene Türen einrannte. Schüler eröffneten Depots ebenso wie der Supermarktverkäufer und Hausmeister. Im Gegensatz zu damals wurden nicht nur einfach Aktien, sondern Aktien auf Kredit gekauft. Anleger waren mit zu hohen Hebeln unterwegs.

Das ganze äußerte sich nicht nur in einem fulminanten Anstieg, sondern auch in einem beeindruckenden Crash. Ein Minus von 30% innerhalb eines Handelsmonats schafft nicht jeder Index. Wenn man ein Auge zudrückt, dann wurde das bei Dax und Dow Jones im September 2008 geschafft. Im Gegensatz zum chinesischen Aktiencrash stand damals jedoch das Weltfinanzsystem vor dem Abgrund. Da kann man einen Monatsverlust von 30% sehr gut rechtfertigen.

In China gab es auch Gründe, weshalb man Aktien verkaufen konnte. Fundamental war der Markt mit einem KGV von jenseits der 60er Marke massiv überbewertet. Gestört hat das niemanden. Der Stein kam einfach ins Rollen. So wie die Herde erst blind kaufte, verkaufte sie dann, unterstützt von neuer Regulierung, die die Spekulation eindämmen sollte.

Inzwischen hat sich die Lage wieder entspannt. Der Shanghai Composite scheint einen soliden Boden auszubilden. Gelungen ist das durch Stützungskäufe von Brokern und staatsverwandten Institutionen, ebenso wie durch das Aussetzen von teils über 50% aller Aktien (Grafik 2). Der Boden scheint gefunden worden zu sein und Aktien bewegen sich auf einem relativ dynamischen Erholungsweg. Genau dort setzt die Lehrstunde für unsere Märkte nun an.


Nachhilfestunde für Notenbanken

Mit allen Tricks, die die chinesische Notenbank und die Regierung zur Verfügung hatten wurden die Kurse stabilisiert. Ziel der Eingriffe war nicht nur die Stabilisierung der Kurse, sondern auch einen Teil der Verluste wieder wettzumachen. Um das zu erreichen werden Eingriffe noch auf Wochen notwendig sein.

Im Idealfall bewegt sich der Markt etwas weniger dynamisch nach oben als vor dem Crash. Ein Anstieg um 20 oder 50% innerhalb weniger Wochen ist nicht gesund und würde zwangsläufig zu neuen Problemen führen. Ohnehin ist der bisherige Anstieg – auch nach dem Crash – nicht wirklich gesund gewesen. Aktien sind noch immer überbewertet. Der Markt hat ein KGV von über 40. Das sind normalerweise keine Kaufkurse.
Der Markt befindet sich fundamental in einer massiven Überbewertung. Der Kurs des Shanghai Composite müsste sich mindestens noch einmal halbieren, um ansatzweise attraktiv zu wirken. Aber auch dann ist fraglich, ob man ein Schnäppchen macht. So wie in den vergangenen Wochen in den Markt eingegriffen wurde braucht man schon eine hohe Rendite, um für das politische Risiko kompensiert zu werden. Immerhin muss man damit rechnen, dass man Aktien wochenlang nicht handeln kann, wenn das so angeordnet wird.
Kurz gesagt: der Markt wurde nun stabilisiert, aber nicht auf einem sinnvollen Niveau, sondern in einem Beriech, den man als überbewertet ansehen muss. Erreicht wurde das durch die Notenbank, die anderen Institutionen Kredit gab, um Aktien zu kaufen. Damit griff die Notenbank nicht selbst durch Stützungskäufe ein, unterm Strich laufen die Aktionen jedoch genau darauf hinaus.

Ein massiver Eingriff der Notenbank ist auch bei uns nicht unbekannt. Die US Zentralbank und die EZB kaufen zwar keine Aktien, dafür aber Anleihen. Durch diesen direkten Eingriff verzerren sie den Markt. Die zusätzliche Nachfrage nach Staatsanleihen und anderen Kreditmarktpapieren sorgt für unnatürlich hohe Kurse. Damit spiegeln die Kurse von Anleihen nicht mehr das Zinsumfeld und das tatsächliche Risiko wider. Anleihen sind überbewertet. Der gesamte Markt befindet sich in einer Blase.

Ein solcher Zustand wird früher oder später korrigiert. In China ging das relativ schnell. In den USA versucht die US Notenbank einen massiven Abverkauf mit folgenden Marktverwerfungen zu verhindern, indem sie die Zinswende seit über 2 Jahren vorsichtig plant, ankündigt und letztlich den Markt bei jedem Schritt an die Hand nimmt. Derzeit scheint das zu funktionieren.

In Europa und Japan steht das Experiment der Normalisierung noch aus. Kommt die Normalisierung und sind Anleger der Meinung, dass eine Überbewertung korrigiert werden muss, dann kommt es zu Marktverwerfungen wie es gerade in China der Fall war. Eine Marktverwerfung darf es jedoch nicht geben. Dazu ist die Lage immer noch zu fragil. Die Folge: die Notenbank muss wieder eingreifen. Sie manipuliert dann die Kurse nicht von einem Niveau, welches als negative Übertreibung anzusehen ist, sondern von einem Niveau aus, welches bereits ein Extrem aufweist (Überbewertung).

Der Zustand der Überbewertung wird künstlich beibehalten, um eine Marktverwerfung zu verhindern. Genau das geschieht gerade in China und könnte uns auch blühen. So etwas löst natürlich das Problem nicht. In China haben sich die Kurse stabilisiert, aber deswegen sind Aktien noch immer kein Kauf. Eigentlich sollte man, wenn man als Anleger einen gewissen Verstand hat, die Gelegenheit nutzen und verkaufen, um aus einem überbewerteten Markt herauszukommen.

Die einzige Wahl, die eine Notenbank dann hat, um den Markt vor dem Zusammenbruch zu bewahren, ist immer weiter zu intervenieren und die Kurse (egal ob Anleihen oder Aktien) künstlich hoch zu halten. Das ist natürlich unsinnig. Der Markt soll ja den fairen Preis festlegen und wenn dieser 50% tiefer liegt, dann ist das eben so. Aus lauter Angst, dass dadurch die Wirtschaft in Schieflage geraten könnte, wird so ein ganz natürlicher Prozess nicht zugelassen. Will eine Notenbank so etwas verhindern, dann muss sie einen immer höheren Prozentsatz der Assets aufkaufen, um die Kurse zu halten. Das Risiko wandert dann vom Markt zur Notenbank. Am Ende dieses Prozesses ist der Markt letztlich abgeschafft.
In China wird der Markt nun auf einem Niveau gehalten, welches jenseits einer fairen Bewertung liegt. Die Kurse sind nun zwar stabil, aber einen Markt mit einem KGV von 40 oder 60 kann man nicht kaufen, wenn man bei Sinnen ist. Die Notenbank misst dem Markt eine Überbewertung zu und hält ihn dort. Als Anleger kann man damit nichts mehr anfangen. Der Markt ist vollkommen uninteressant.

Die Notenbank ihrerseits muss die Kurse dort so lange halten bis sie fair sind. Bei Aktien kommt das durch jahrelanges Gewinnwachstum der Unternehmen zustande. Das KGV sinkt dann mit der Zeit. Sinkt es z.B. nach 10 Jahren zurück auf 20, dann kann sich die Notenbank zurückziehen ohne große Verwerfungen befürchten zu müssen. Bis dahin aber liegt der Markt de facto brach. Er spiegelt weder Risiko noch den Zustand der Unternehmen wider.

In den USA sieht man wie lange die Normalisierung auf dem Zinsmarkt braucht. Nach der Manipulation der Notenbank musste das Vertrauen des Marktes in die Wirtschaft so weit wiederhergestellt werden, dass bei einer Zinsanhebung keine Verwerfungen mehr befürchtet werden müssen. Es ist noch nicht sicher, ob die Normalisierung gelingen wird. Man kann nur sagen, dass der Weg dorthin bereits ein sehr langer war. Man darf auch nicht vergessen, dass im Anleihen im Gegensatz zu Aktien nicht mit der Zeit näher an ihren fairen Wert heranrücken, wenn sie einmal überbewertet sind.

Letztlich schaffen die Notenbanken ganze Märkte ab, indem sie die Kurse manipulieren. Anleger suchen sich andere Märkte, in denen es dann wegen der viel zu hohen Mittelzuflüsse zu Schieflagen kommt. Es mag zwar vordergründig auf dem Aktien- oder Anleihenmarkt Ruhe herrschen, doch das Risiko ist nur von einem auf den anderen Markt verschoben.

Die Lehre? Notenbanken schaffen den freien Markt ab. Das beseitigt keine Probleme, es verlagert sie nur. In China sieht man das alles im Vergleich zur Fed und EZB im Zeitraffer. Wie bzw. ob die Notenbank da wieder heraus kommt wird auch für uns Implikationen haben.

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4 Kommentare

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  • nairolf
    nairolf

    die überschrift passt irgendwie nicht zum artikel.
    sie suggeriert, als wenn china als vorbild anzusehen wäre.

    der artikel sagt dagegen etwas anderes aus.
    nicht wir, gemeint sind unsere notenbanken, sollten von china lernen,
    sondern unsere lehren daraus ziehen.

    letzteres kommt im artikel erst sehr spät zum ausdruck.
    oder sollte die widersprüchliche überschrift zum lesen animieren/provozieren??

    14:05 Uhr, 22.07. 2015
  • Netrebkaluti
    Netrebkaluti

    Mal ein bisschen aufpassen mit dem Wort "Entwicklungsländer", das könnte schnell mal Europa bedeuten!! China ist im übrigen keins.Auch Thailand nicht!!

    10:11 Uhr, 22.07. 2015
  • fehu001
    fehu001

    Respekt vor dem, was die Chinesen gemacht haben. Den Märkten (angeblich) freie Hand zu lassen, kann der schleichenden Katastrophe führen, die wir in Deutschland erleben.

    Ausgerechnet bei der Staatsaktie Telekom hat man es zugelassen, dass viele Privatanlger nachhaltig und so schlimm verschreckt wurden, dass deutsche Aktien inzwischen fast nur in den Händen von Ausländern liegen.

    08:39 Uhr, 22.07. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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