Kommentar
10:16 Uhr, 26.08.2022

Warum Europa vor einer Dauerkrise steht

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wird die Abhängigkeit von Erdgas kaum verringern. Europa droht eine schwere Dauerkrise, die viele Jahre anhalten könnte.

Die Gas- und Strompreise in Europa eilen von Rekordhoch zu Rekordhoch. Der Kontrakt für Januar 2023 des europaweit maßgeblichen Erdgas-Futures TTF in den Niederlanden kletterte am Donnerstag auf ein neues Allzeithoch von 95,94 Dollar pro MMBtu. Zum Vergleich: Anfang 2021 stand der selbe Kontrakt noch bei unter 7 Dollar pro MMBtu. Innerhalb von weniger als zwei Jahren hat sich der Preis mehr als verdreizehnfacht. Auch die Börsenpreise für Strom in Europa haben sich mehr als verzehnfacht.

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Der Grund für den massiven Preisanstieg ist keineswegs nur im Ukraine-Krieg und auch nicht nur in anderen kurzfristigen Effekten wie dem Herunterfahren der französischen Atomkraftwerke zu suchen. Das erkennt man schon daran, dass sich der Gaspreis am Spotmarkt bereits zwischen Anfang 2020 und Ende 2021 mehr als verdreifacht hat.

Durch die stark gestiegenen Energiepreise droht eine schwere Wirtschaftskrise und eine Verarmung großer Bevölkerungsteile, und zwar nicht vorübergehend, sondern dauerhaft. Die Politik spricht gerne davon, dass Gas vor allem als "Brückentechnologie" auf dem Weg zu einer ganz auf den Erneuerbaren Energien basierenden Stromversorgung dienen soll. Naiverweise könnte man meinen, dass die aktuellen Probleme deshalb spätestens in ein paar Jahren überwunden werden dürften, wenn der Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter voran geschritten sein wird. Die Realität sieht aber leider anders aus: Die Abhängigkeit von Erdgas dürfte auch bis zum Jahr 2030 kaum sinken.

Nach einer Modellierung der Internationalen Energieagentur IEA aus dem Oktober 2021 dürfte der jährliche Verbrauch an Erdgas zur Stromerzeugung bis zum 2030 in Europa nur um rund 10 Prozent abnehmen. Der wöchentliche Spitzenverbrauch an Gas zur Stromerzeugung dürfte aber sogar um 15 Prozent zulegen. Verantwortlich dafür ist, dass Erdgas immer dann verstärkt zum Einsatz kommt, wenn Lastspitzen im Stromnetz abgefangen werden müssen und andere Kraftwerke nicht genügend Energie liefern. Gaskraftwerke können im Gegensatz zu vielen anderen Kraftwerken relativ einfach hochgefahren werden, wenn der Bedarf gerade besonders hoch ist.

Die stark variable Stromerzeugung vieler Erneuerbaren Energien wird die Abhängigkeit von Erdgas tendenziell noch erhöhen. Wind- und Solarenergie liefern schlicht keinen Strom, wenn der Wind nicht weht bzw. die Sonne nicht scheint. Gefürchtet sind besonders die kalten "Dunkelflauten", wie sie gehäuft im Winter auftreten. Weder Solar- noch Windenergieanlagen liefern dann Strom. Erdgas wird dann nicht nur zur Stromerzeugung, sondern auch zum Heizen benötigt. Da Deutschland auch aus der Atomenergie aussteigt und Kohle eine miserable Klimabilanz aufweist, ist Gas schlicht alternativlos. Weil die Dimensionen so groß sind, wird sich daran auch den kommenden Jahren nur wenig ändern, trotz des Baus von LNG-Terminals und der Vision des "grünen Wasserstoffs".

Bleiben die russischen Erdgaslieferungen längerfristig auf dem aktuellen Niveau oder sinken gar auf null, droht Europa eine schwere Dauerkrise, die viele Jahre anhalten könnte. Wegen des aktuell relativ hohen Füllstandes der Gasspeicher könnte der Winter 2022/2023 sogar noch relativ glimpflich verlaufen, wenn die Witterung mitspielt. Das eigentliche Problem besteht darin, dass die politischen Entscheidungsträger bisher auch kein Konzept haben, wie die Krise in den Folgejahren überwunden werden soll.

Europa ist auf eine Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen angewiesen. Die Politik lässt bisher jegliche Konzepte vermissen, mit denen die aktuelle Krise tatsächlich überwunden werden kann. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien kann zumindest bis zum Jahr 2030 und wahrscheinlich auch noch für längere Zeit danach nur ein Teil der Lösung sein. Sollte kein Weg gefunden werden, weiterhin eine bezahlbare Energieversorgung in Europa zu gewährleisten, drohen nicht nur schwere wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Verwerfungen.


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  • kantate
    kantate

    ..wenn es im kommenden Winter dann in den Wohnungen kühler ist, als auf der Strasse, werden die Leute dem Spuck hoffentlich ein Ende setzen.

    09:43 Uhr, 27.08. 2022
  • Bi9_Boss
    Bi9_Boss

    MKgeld - es gibt aber ein klimaverträgliches Treibhausgasbudget und ein nicht mehr klimaverträgliches.
    Und die neusten Windräder werden mittlerweile ohne SF6 gebaut.

    13:32 Uhr, 26.08. 2022
  • mkgeld
    mkgeld

    Der ganze Begriff "erneuerbare Energie" ist eine Lüge denn sowas gibt es einfach nicht. Gerade durch Windenergie werden riesige Mengen von Beton und Material benötigt was nach 20 bis 25 Jahren reif für den Abriss oder die Sprengung ist. Zudem werden absolute Klimakiller wie SF6 Gas freigesetzt was sich gar nicht abbaut oder erst in 3200 Jahren. Die Menschen müssen eben erst mit dem Kopf gegen eine Wand laufen oder mehrfach bzw. ums nackte überleben kämpfen bevor sie wieder vernünftige Politik einfordern. OK CO2 Abgabe hört sich eben besser an als Steuererhöhung.

    12:16 Uhr, 26.08. 2022
  • angola_murksel
    angola_murksel

    @Dreamtrader

    die Fragen, die Sie sehr konkret gestellt haben, können Sie sich mit etwas Mühe auch selbst beantworten. Es stellen sich noch viel mehr Fragen, wie bspw. die demographische Katastrophe bewältigt werden soll ( auch dazu gibt es Zahlen über Zahlen, die jedem zugänglich sind ), die zunehmende Ernährungskrise basierend auf Wetterextremen und verfehlter Landwirtschaftspolitik, daraus resultierend eine weitere Migrationskrise usw. - der perfekte Sturm. Ein jeder ist gefordert Eins und Eins selbst zusammen zu zählen und für sich die richtigen Schlüsse zu ziehen. Eines sollte nur klar sein: für auch nur wenigstens halbwegs geistreiche Lösungen ist es zu spät. Nichts wird gut.

    11:05 Uhr, 26.08. 2022
  • Dreamtrader
    Dreamtrader

    Das liest sich fast wie eine Analyse. Schön wäre es wenn wann dazu auch Zahlen hätte die das Ganze belegen. Wie ist der Ist-Stand des Anteils der erneuerbaren am Stromverbrauch der privaten und der industriellen Verbrauchern? Wie groß ist der erwartete Ausbau? Wie kann Gas ersetzt werden und wäre das möglich? Wie viel kann Wasserstoff am Gasverbrauch ersetzen und wieviel beim Speichern von solarem Strom übernehmen? Wieviel grüner Strom kann schon nächstes Jahr importiert werden? Warum kommt der Ausbau von Phtovoltaikanlagen auf privaten Häusern nicht stärker voran? Wie groß ist der Ölverbrauch im Vergleich? Es scheint so als kennen Sie die Antwort darauf.

    10:44 Uhr, 26.08. 2022

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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