Analyse
14:59 Uhr, 14.03.2008

Warum die Emerging Markets den Sturm überstehen werden

Externe Quelle: Deutsche Bank
Autor: Markus Jaeger
Die Volatilität an den internationalen Finanzmärkten hat in den letzten Monaten stark zugenommen. Die US-Wirtschaft durchläuft eine scharfe Wachstumsverlangsamung, und es besteht sogar das Risiko einer Rezession. In diesem Kontext kommt häufig die Frage auf, ob die Emerging Markets-Länder in eine Krise schlittern. Wir halten ein solches Krisenszenario aus folgenden Gründen nicht für wahrscheinlich:

1. Die internationale Zahlungsfähigkeit der Schwellenländer hat sich stark verbessert. Seit mehreren Jahren verzeichnete Leisungsbilanzüberschüsse und stabile Kapitalzuflüsse haben den Emerging Markets ermöglicht, ihre Bilanzen zu bereinigen. Die Regierungen haben ihre Auslandsverschuldung vorzeitig bedient und mit bisher unbekanntem Tempo ausländische Vermögenswerte akkumuliert, was zu einer deutlichen Verbesserung der Bonitätseinstufung geführt hat. Die Kennziffern zur internationalen Zahlungsfähigkeit liegen weit über dem Niveau der neunziger Jahre und der ersten Jahre des 21. Jahrhunderts. Nach unseren Schätzungen dürften die Emerging Markets zusammengenommen (definiert als die 25 größten Schwellenländer) seit dem Jahr 2007 eine Nettogläubigerposition gegenüber dem Ausland einnehmen - und dies ist nicht allein auf den starken Anstieg chinesischer Vermögenswerte zurückzuführen.

2. Externe Liquidität weiterhin reichlich vorhanden. Die Emerging Markets verfügen zusammengenommen weiterhin über einen Leistungsbilanzüberschuss, und die Nettokapitalzuflüsse werden auch in diesem Jahr nahezu auf Rekordniveaus bleiben. Durch die Unsicherheiten über die US-Konjunktur und die weitere Entwicklung an den Finanzmärkten sowie das anhaltend hohe Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern werden die Emerging Markets auch in Zukunft attraktiv für ausländische Investoren sein. Die verbesserte externe Liquiditätsposition verschafft den Emerging Markets einen beträchtlichen Puffer gegenüber externen Schocks wie z. B. Exporteinbußen oder einem Rückgang von Portfoliozuflüssen.

3. Das globale Umfeld ist weiterhin günstig. Obwohl sich die US-Konjunktur abgeschwächt hat, bleiben die Rohstoffpreise im historischen Vergleich hoch, insbesondere für Energie und Metalle. Die anhaltend hohe Rohstoffnachfrage aus den Emerging Markets und insbesondere aus China dürften die Rohstoffpreise weiterhin unterstützen. Die steigenden Energiepreise haben auch Auswirkungen auf die "weichen" Rohstoffe wie Mais und Zucker, die für Treibstoffe pflanzlicher Herkunft verwendet werden. Außerdem wird der starke Zinsrückgang in den USA in der letzten Zeit den Preisen von Vermögenswerten der Schwellenländer Unterstützung verleihen. Die zunehmende Risikoaversion an den US-Finanzmärkten griff auch auf die Emerging Markets über, so dass sich die Spreads ausweiteten. Aber der starke Rückgang des US-Zinsniveaus hat in vielen Fällen einen Preisanstieg von Vermögenswerten der Emerging Markets und geringere Finanzierungskosten zur Folge. Zudem bleiben die internationalen Wachstumsaussichten respektabel, obwohl sich die US-Wirtschaft deutlich verlangsamen könnte. Da das Wachstum in den Emerging Markets in vielen Fällen wesentliche Impulse von der Inlandsnachfrage erhält, sind die aufstrebenden Volkswirtschaften heute viel weniger anfällig für eine Abkühlung der US-Konjunktur als in der Vergangenheit. Die Tatsache, dass das Wirtschaftswachstum mit einem größeren binnen- und außenwirtschaftlichen Gleichgewicht verbunden ist, gibt den Schwellenländern die Flexibilität, der Abschwächung der Auslandsnachfrage mit innenpolitischen Maßnahmen entgegenzuwirken.

4. Aufgrund der verbesserten Wirtschaftspolitik hat sich die Abhängigkeit vieler Emerging Markets-Länder von der Auslandsnachfrage verringert. Die Verbesserung der internationalen Zahlungsfähigkeit und Liquidität haben zur Folge, dass die Emerging Markets weniger abhängig von Kapitalzuflüssen sind. Dies hat ihnen auch ermöglicht, ihre "fear of floating" zu überwinden und flexiblere Wechselkurssysteme einzuführen. Zwar haben einige Länder ihre relativ unflexiblen Wechselkursregime aufrechterhalten, aber das Risiko von Zahlungsbilanzkrisen und anderen Finanzkrisen wird durch die Nettogläubigerposition gegenüber dem Ausland, häufig in Kombination mit Kapitalverkehrsbeschränkungen, deutlich gemildert. In der Vergangenheit führten fixe Wechselkurse und die starke Abhängigkeit von Kapitalzuflüssen, die typischerweise zur Finanzierung von Leistungsbilanzdefiziten verwendet wurden, bei einem Vertrauensverlust der Investoren in das betreffende Land zu Währungskrisen - die die Regierungen zwangen, mit einer Straffung der Geldpolitik zu reagieren - sowie einer Abschwächung der Binnennachfrage und des Wirtschaftswachstums. Heute können viele Emerging Markets auf eine solche Situation mit einer Währungsabwertung und in vielen Fallen mit Zinssenkungen reagieren. Außerdem ermöglicht die allgemeine Verbesserung der Budgetsituation und des Schuldenstandes den Schwellenländern, einen antizyklischen Kurs zu verfolgen bzw. in einem Umfeld der Wachstumsabschwächung nicht zu einer prozyklisch wirkenden (d.h. restriktiven) Politik gezwungen zu sein. Wir vertreten deshalb eine relativ optimistische Einschätzung in Bezug auf die Wachstumsperspektiven der Emerging Markets, auch wenn der Abschwung der Weltwirtschaft stärker ausfallen sollte als wir derzeit erwarten.

Last but not least haben viele Länder den Schritt zu einer glaubwürdigen, stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik vollzogen. Die günstige internationale Wirtschaftslage hat den Übergang zu einer stabilitätsgerechten Politik sicherlich erleichtert. In den großen Emerging Markets besteht jetzt jedoch offensichtlich Konsens zugunsten einer nachhaltigen Politik, die auf Inflationsbekämpfung, internationale Zahlungsfähigkeit und eine tragfähige öffentliche Verschuldung ausgerichtet ist. Im Rahmen dieser Strategie werden eine niedrige Inflationsrate, haushaltspolitische Anpassungen und die Akkumulierung ausländischer Vermögenswerte als Eckpfeiler der Wirtschaftspolitik anerkannt. Die Volkswirtschaften Asiens trafen nach der Krise von 1997 die Entscheidung, eine vorsichtigere Politik zu verfolgen. Mexiko ging nach 1994/95 und Brasilien nach 2002 zu einem vorsichtigeren Kurs über. Einige Länder in Lateinamerika verfolgen zwar weiterhin einen Policy Mix, der mit makroökonomischer Stabilität auf lange Sicht nicht vereinbar ist. Aber für die Emerging Markets insgesamt bleibt der ökonomische Populismus begrenzt.

Die großen Emerging Markets sind in der Lage, sogar einen starken externen Schock zu überstehen. Natürlich sind nicht alle Emerging Markets in einer gleichermaßen robusten Position, externe Schocks gut zu verkraften. Einige osteuropäische Länder weisen hohe Leistungsbilanzdefizite und ein starkes inländisches Kreditwachstum auf; kennzeichnend sind außerdem steigende Aktienkurse und Hauspreise sowie in einigen Fallen ein überbewerteter Wechselkurs. Diese Kombination hat sich häufig als gefährliche Konstellation herausgestellt. Aber die systemisch wichtigen Emerging Markets wie China, Brasilien, Russland, Indien, Korea and Mexiko sind gut aufgestellt, auch einer starken Verschlechterung der weltwirtschaftlichen Bedingungen zu begegnen. Natürlich geben die USA in der Weltwirtschaft weiterhin den Ton an, aber die Emerging Markets-Länder sind heute stärker und agiler wenn es darum geht, einem aufziehenden Sturm zu widerstehen.

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Über den Experten

Alexander Paulus
Alexander Paulus
Technischer Analyst und Trader

Alexander Paulus kam zunächst über Börsenspiele in der Schule mit der Börse in Kontakt. 1997 kaufte er sich seine erste Aktie. Nach einigen Glückstreffern schmolz aber in der Asienkrise 1998 der Depotbestand auf Null. Da ihm das nicht noch einmal passieren sollte, beschäftigte er sich mit der klassischen Charttechnik und veröffentlichte seine Analysen in verschiedenen Foren. Über eine Zwischenstation kam er im April 2004 zur stock3 AG (damals BörseGo AG) und veröffentlicht seitdem seine Analysen auf stock3.com (ehemals GodmodeTrader.de)

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