Kommentar

Warum der Markt so rasant fällt...

Hinter dem Ausverkauf an den Aktienmärkten steckt nicht nur die Coronavirus-Krise. Systematische Strategien, der vermehrte Einsatz von Optionen und gefürchtete Margin Calls tragen wohl auch dazu bei, dass die Kursverluste übertrieben groß ausfallen.

Erwähnte Instrumente

  • S&P 500 - WKN: A0AET0 - ISIN: US78378X1072 - Kurs: 2.978,76 Pkt (CME)
  • DAX - WKN: 846900 - ISIN: DE0008469008 - Kurs: 11.890,66 Pkt (XETRA)

Die Aktienmärkte erleben aktuell einen Ausverkauf von historischen Dimensionen. Der marktbreite US-Index S&P 500 benötigte nur sechs Tage, um von einem Rekordhoch in eine Korrektur (im US-Sprachgebrauch ein Verlust von mindestens 10 Prozent im Vergleich zum vorherigen Hoch) zurückzufallen. Das war der schnellste Rückfall des S&P 500 in eine Korrektur jemals, wie die Deutsche Bank in einem Research-Bericht feststellt.

Auch erfahrene Börsianer sind überrascht von der Geschwindigkeit des Kurssturzes. Zwar ist es durchaus denkbar, dass das Coronavirus die Welt auch eine schwere Wirtschaftskrise stürzt. Weltweite Lieferketten (von denen viele in Ostasien beginnen) könnten unterbrochen werden. Doch diese Gefahr reicht kaum aus, um die Geschwindigkeit des jüngsten Kurssturzes zu erklären.

S&P-500-Chart
Statischer Chart
Live-Chart
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Tatsächlich gibt es Hinweise, dass auch Faktoren, die mit der Funktionsweise der Märkte und dem Verhalten von Spekulanten zusammenhängen, zum jüngsten Kurssturz beigetragen haben.

Zum einen hat der Einsatz von sogenannten Risk-Parity-Strategien in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Diese Strategien basieren darauf, dass die Aufteilung des Kapitals auf unterschiedliche Anlageklassen anhand des Risikos bzw. der Volatilität bestimmt wird. In guten Börsenphasen, wenn die Volatilität niedrig ist und die Kurse steigen, investieren die Risk-Parity-Anleger einen größeren Teil ihres Kapitals in Aktien, sie kaufen also dann Aktien, wenn die Kurse ohnehin steigen. In schwachen Börsenphasen, wenn die Volatilität steigt und die Kurse sinken, wird dann wieder in weniger riskante Anlageklassen wie Anleihen umgeschichtet. Das führt dazu, dass die Risk-Parity-Anleger durch ihre Transaktionen Kursveränderungen noch verstärken. Steigen die Kurse, wird gekauft, fallen die Kurse, wird verkauft. Das verstärkt sowohl die Kursgewinne in den guten Börsenphasen als auch die Kursverluste in den schlechten Phasen. Einer der Anbieter, der eine solche Strategie auch für Privatanleger umsetzt, ist etwa der führende deutsche Robo-Advisor Scalable Capital. Hier kann der Aktienanteil im Portfolio in Krisenphasen wie 2008/2009 nur wenige Prozent betragen, in guten Börsenphasen aber bei über 80 Prozent liegen. Was für den einzelnen Anleger durchaus positiv sein kann, ist möglicherweise für den Markt insgesamt schädlich, weil Schwankungen noch verstärkt werden.

DAX-Chart
Statischer Chart
Live-Chart
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Ein zweiter Faktor, der den jüngsten Abverkauf verstärkt haben könnte, ist der vermehrte Einsatz von Optionen. Optionen haben den Vorteil, dass sie mit geringem Kapitaleinsatz die Spekulation auf Kursveränderungen erlauben. Sie haben aber auch Nachteile, etwa unbegrenzte Verlustrisiken für die Gegenseite bei den Optionsgeschäften, die sogenannten Stillhalter. In vielen Fällen treten die professionellen Optionshändler an der Wall Street als Stillhalter auf. Da diese Optionshalter selbst aber nicht das Risiko von Kursveränderungen (und potenziell unbegrenzten Kursverlusten) tragen wollen und können, sichern sie sich häufig mit Futures (ebenfalls Terminkontrakten) oder durch den Verkauf von Aktien gegen Kursveränderungen ab. Dies wird als Delta-Hedging bezeichnet. Das kann aber ebenfalls problematisch für den Gesamtmarkt sein. Haben Optionshändler viele Optionen verkauft, dann haben sie dadurch eine sogenannte Short-Gamma-Positionierung. Das bedeutet, dass sie bei Kursverlusten mehr Futures oder Aktien verkaufen müssen, um weiterhin gegen Kursveränderungen eins zu eins abgesichert zu sein. Steigen die Kurse, müssen sie hingegen mehr Future-Kontrakte oder Aktien erwerben. Wie bei den Risk-Parity-Strategien führt auch die Short-Gamma-Positionierungt der Optionshändler an der Wall Street dazu, dass Kursveränderungen noch verstärt werden. Eine stark ausgeprägte Short-Gamma-Positionierung bei den Optionshändlern dürfte auch in den vergangenen Tagen zu den starken Kursveränderungen beigetragen haben, wie das "Wall Street Journal" berichtet.

Risk-Parity-Strategien und die Short-Gamma-Positionierung der Optionshändler führen also dazu, dass Kursveränderungen, die an den Märkten ohnehin auftreten, noch verstärkt werden. Die Märkten weisen eine positive Rückkopplung auf, sind also gewissermaßen in einer Feedback-Schleife gefangen: Je mehr die Märkte fallen, desto mehr müssen Risk-Parity-Anleger und Optionshändler verkaufen, je mehr sie steigen, desto mehr müssen sie zukaufen. Das kann Kursveränderungen deutlich verstärken.

Noch ein dritter Faktor dürfte allerdings den jüngsten Abverkauf verstärkt haben: Wie eigentlich schon immer spekulieren viele Marktteilnehmer nicht nur mit ihrem eigenen Geld, sondern auch mit geliehenem Geld, also mit "Hebel" bzw. Leverage. Das erhöht nicht nur die Kursgewinne der Spekulanten, wenn sie richtig liegen, sondern auch ihre Verluste, wenn sie falsch liegen. Kommt es dann zu unvorhergesehenen Entwicklungen, wie aktuell beim Coronavirus, dann müssen die gehebelten Anleger oftmals rasant ihre Positionen zurückfahren, um einen gefürchteten Margin Call zu vermeiden. Unter dem Margin Call versteht man die Aufforderung des Kreditgebers an den Spekulanten, mehr Geld nachzuschießen, wenn er seine Position behalten will. Treten bei den gehebelten Anlegern dann plötzlich Verluste auf, kommt es zum sogenannten "forced selling". Die Marktteilnehmer verkaufen nicht, weil sie verkaufen wollen, sondern weil sie verkaufen müssen. Diese Phänomen kann bei privaten Spekulanten, aber durchaus auch bei milliardenschweren Hedgefonds auftreten, wenn sie vom Markt auf dem falschen Fuß erwischt werden. Der Hebel, der in guten Zeiten die Gewinne des Spekulanten erhöht hat, wirkt jetzt gegen den Spekulanten. Er muss dringend Geld nachschießen oder seine Positionen verkaufen, um den Offenbarungseid zu vermeiden.

Dass die Kursverluste sich oftmals in den letzten beiden Handelsstunden an der Wall Street noch verstärken, ist kein Zufall. Rund zwei Stunden vor Handelsende, also gegen 20 Uhr MEZ, verschicken viele US-Broker ihre Margin Calls an die Kunden. Wer sich mit geliehenem Geld verspekuliert hat, was in diesen Tagen wohl bei vielen Marktteilnehmern der Fall sein dürfte, muss dann Geld nachschießen oder seine Positionen zurückfahren, um noch innerhalb des ihm eingeräumten Limits zu bleiben. Auch das Spekulieren auf Kredit kann Kursveränderungen also tendenziell verstärken.

Die genannten Effekte bedeuten nicht, dass der Ausverkauf an den Märkten immer weitergehen muss. Ganz im Gegenteil: Deutet sich ein Rebound an, so können die genannten Effekte durchaus auch wieder in die andere Richtung ihre Wirkung entfalten. Kursgewinne können dann stärker ausfallen, als es eigentlich angemessen wäre.


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Über den Experten

Oliver Baron
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Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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