Kommentar
00:00 Uhr, 06.02.2009

Warten auf den Aufschwung - Wie geht es weiter ?

Wenn die Holländer Nabelschau betreiben, dann findet diese häufig in calvinistischen Dimensionen statt. Johannes Calvin (1509-1564) war ein Reformator französischer Abstammung und Begründer des Calvinismus, der vor allem in den Niederlanden Fuß fasste. Heutzutage führt man eine Vielzahl „typisch holländischer“ Wesenszüge auf das calvinistische Erbe zurück, von denen die (Selbst-) Beherrschung wohl die bekannteste ist. Wir gelten als nüchternes, arbeitsames Volk. Angeblich fällt es uns nicht leicht, ohne Schuldgefühle die Früchte unserer Arbeit zu genießen. Tatsächlich haben wir den Wirtschafts-Boom der letzten Jahre aber ebenso wie die Bürger anderer Länder in vollen Zügen ausgekostet.

Calvin glaubte an die Vorherbestimmung des menschlichen Schicksals. Insofern erscheint es geradezu als eine Ironie des Schicksals, dass die Welt nunmehr – genau 500 Jahre nach seiner Geburt – die Konsequenzen für all die Jahre des Überkonsums und eines – zumindest im finanziellen Sinne – nachgerade zügellosen Lebensstils tragen muss. Wir treten jetzt in eine Phase ein, in der Zurückhaltung wiederum eine wichtige Rolle spielen wird. Dabei könnte der Schuldenabbau bei Verbrauchern und Banken potenziell die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg einleiten. Die Finanzmärkte kommen der Entwicklung bereits zuvor: So preisen die Aktienmärkte Ertragsrückgänge von nahezu 50 Prozent ein (gerechnet vom Höhepunkt der Boomphase bis zum Tiefstpunkt der Rezession). Das wäre der schärfste Einbruch seit Kriegsende. Gleichzeitig preisen die Unternehmensanleihemärkte einen Anstieg der Ausfallraten auf das höchste Niveau seit der Großen Depression von 1929 ein.

Investoren stützen ihre Anlageentscheidungen im Allgemeinen auf zwei unterschiedliche Wirtschaftsszenarien. Das gebräuchlichste Szenario prognostiziert eine zaghafte Erholung für 2010, wenn die beispiellosen Konjunkturprogramme und geldpolitischen Maßnahmen rund um den Globus Wirkung zeigen. Nach diesem Szenario würde es an den Aktienmärkten ab Ende 2009, Anfang 2010 wieder aufwärts gehen. Das zweite Szenario malt ein sehr viel düsteres Bild und gilt als weniger wahrscheinlich. Bei diesem Szenario wird es mehrere Jahre dauern, bis der Schuldenabbauprozess abgeschlossen ist. Die positiven Impulse der Konjunkturprogramme werden von den verschärften Kreditvergabekriterien der Banken und der Zurückhaltung der Verbraucher zunichte gemacht, die in unsicheren Zeiten und bei Angst um den Arbeitsplatz lieber sparen als ausgeben. Im ersten Szenario gilt das Deflationsrisiko lediglich als vorübergehende Erscheinung, während das zweite Szenario von einer anhaltenden deflationären Entwicklung ausgeht. Denn schließlich wirkt der Druck neuen Geldes nur dann inflationär, wenn die Verbraucher es auch wirklich ausgeben.

Wie sich die Situation letztendlich entwickeln wird, lässt sich nicht vorhersagen. Wir meinen, dass eine reelle Chance besteht, dass sich binnen eines Jahres die ersten Erfolge der Konjunkturprogramme abzeichnen werden. Andererseits wäre es sicherlich unklug, die Gefahren des zweiten Szenarios – sozusagen die japanische Krankheit auf globaler Ebene – zu ignorieren. Eines ist so gut wie sicher: Bei beiden Szenarien werden wir eine Reihe so genannter Bärenmarkt-Rallys erleben, ausgelöst durch besser als erwartet ausgefallene Wirtschaftsdaten und angeführt von Zyklikern und Finanzwerten. Diese Rallys können von heftigen Fluktuationen begleitet sein und kurzzeitig einen Aufwärtstrend um 20 bis 30 Prozent bieten. Solange die Renditen von Unternehmensanleihen jedoch nicht fallen und die Nachfragesituation sich nicht bessert, werden derartige Rallys kurzlebig bleiben.

Gewinne bei Bärenmarkt-Rallys sind zwar möglich, aber das Timing ist schwierig. Hier muss man die markttechnischen Faktoren und Stimmungsindikatoren im Auge behalten und nur in von Panik geprägten überverkauften Märkten kaufen. Alternativ kann man auch abwarten, bis die echte Erholung schließlich eintritt. Dann verpasst man allerdings den starken Kursanstieg von 20 bis 30 Prozent, der in der Regel kurz vor den ersten Hinweisen auf eine nachhaltige Erholung stattfindet. Dieses Risiko kann durch Halten von High-Yield-Unternehmensanleihefonds bzw. hochrentierlichen Aktienfonds gemildert werden. Diese Anlageformen bieten praktisch das gleiche Kurspotenzial wie der Aktienmarkt insgesamt, sind aber mit einem geringeren Kursrisiko verbunden. Zudem bieten sie während des Wartens auf den Aufschwung auskömmliche Erträge. Denn schließlich wird Geduld sich in diesem Marktumfeld als Tugend erweisen.

Autor: Ad van Tiggelen, Senior Strategist bei ING Investment Management

ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit annähernd 375 Milliarden Euro Assets under Management, vertreten in 37 Ländern mit mehr als 3.700 Mitarbeitern, ist ING Investment Management (ING IM) weltweit auf Platz 27 im Asset Management.

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