Kommentar
10:53 Uhr, 27.11.2008

Vorschnelles Abstoßen von Aktien könnte sich jetzt als falsch erweisen

Erfahrungsgemäß gehen Bärenmärkte stets mit Phasen rückläufiger Unternehmensgewinne einher. Den Hintergrund bilden dabei oftmals Rezessionen bzw. steigende Inflation und eine straffere Geldpolitik.

Der ersten Phase eines Bärenmarktes ist kaum etwas Positives abzugewinnen: Die Aktienkurse purzeln, die Gewinne sinken und das konjunkturelle Umfeld verschlechtert sich zusehends. Die globalen Aktienmärkte befinden sich derzeit wohl in diesem Stadium.

In der zweiten Phase eines Bärenmarktes setzt sich der Abwärtskurs der Unternehmensgewinne fort. Dieser Trend kann bis zu zwei Jahre anhalten. Allerdings ändert sich die Situation allmählich in dieser Phase und der Abwärtstrend verlangsamt sich. In diesem Stadium zeichnet sich auch eine zunehmende geldpolitische Lockerung ab. Sofern die Aktienbewertungen bereits auf ein Niveau gesunken sind, das frische Impulse bietet, ist diese zweite Phase in der Regel günstiger für Aktien als die erste. Es kann sogar zu Kursanstiegen kommen.

Traditionell setzt circa drei Monate, nachdem die Erträge die Talsohle erreicht haben, Erholung an den Aktienmärkten ein. Damit es auch wirklich zu einem nachhaltigen Aufschwung (Bullenmarkt) kommen kann, müssen Investoren entsprechend optimistisch gestimmt sein. Dazu bedarf es zumindest einiger positiver Anzeichen, wie beispielsweise eines Hinweises auf sinkende Inflationsraten. Nur dann können Aktienkurse bei gleichzeitig rückläufigen Unternehmenserträgen steigen. Auch ein Rückgang der Erdölpreise und das Lockern der Zinsschraube hebt in der Regel die Stimmung an den Märkten. Im gegenwärtigen Umfeld würde ein Hinweis auf eine Stabilisierung der Häuserpreise in den USA sicherlich Erleichterung für die internationalen Aktienmärkte bedeuten. Bislang zeichnen sich jedoch noch keine positiven Signale am US-Wohnimmobilienmarkt ab, obwohl wir uns wahrscheinlich schon in der zweiten Phase – oder zumindest kurz davor – befinden. Es ist sogar durchaus möglich, dass die Aktienmärkte im Oktober bereits auf ihren tiefsten Stand gefallen sind oder jedenfalls noch in diesem Jahr die Talsohle erreichen werden. Die Ertragsentwicklung dürfte sich gegen Ende 2009 ihrem Tiefstpunkt nähern.

Verkaufen wäre unklug

Bis sich ein nachhaltiger Bullenmarkt abzeichnet, wird es also noch eine Weile dauern. Andererseits hat es den Anschein, als hätten die Aktienmärkte das Gröbste bereits hinter sich. In jedem Fall ist die aktuelle Situation außerordentlich komplex. Diesmal muss die Weltkonjunktur nicht nur mit einer Rezession fertig werden, sondern auch mit einer Finanzkrise. Nichtsdestotrotz gibt es auch Positives zu vermelden (wenn dies auch von Investoren leicht übersehen wird). Die Inflationsentwicklung hat ihren Höhepunkt bereits hinter sich, der Ölpreis fällt stetig, die Zentralbanken lockern ihre Geldpolitik und Regierungen setzen weltweit entschlossene finanzpolitische Maßnahmen um.

Auf kurze Sicht ist es wichtig, dass die Interbankensätze weiter zurückgehen und die Banken wieder über die nötige Flexibilität zur Kreditvergabe an Verbraucher und Unternehmen verfügen. Ohne ein funktionierendes Finanzsystem würde auch die aktuelle geldpolitische Lockerung wenig Wirkung zeigen und eine lang anhaltende Rezession wäre unausweichlich. Das ist allerdings nicht unser Basisszenario.

Zehn Handelstage können einen Unterschied ausmachen

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Quelle: Thomson Datastream

Zentralbanken und Regierungen werden weiterhin geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems sicherzustellen. Die Weltwirtschaft wird einer Rezession jedoch nicht entrinnen können. Entsprechend indizieren die Aktienbewertungen bereits eine schwere weltweite Rezession. In einigen Fällen sind die Bewertungen sogar so stark gefallen, dass sie faktisch eine Depression der Weltwirtschaft einpreisen. Dies ist insbesondere auf den risikoreicheren Segmenten des Anleihemarktes, wie Unternehmensanleihen und High-Yield- Credits, der Fall. Angesichts des Umfangs der geld- und finanzpolitischen Maßnahmen erwarten wir indes keine Wirtschaftskrise. Ein weiterer Positivfaktor ist zudem, dass die Unternehmensbilanzen dank Rekordgewinnen in den Vorjahren weiterhin solide sind.

Bis auf weiteres sollten die Aktienmärkte innerhalb einer breiten Range notieren. Dabei werden die Abwärtskorrekturen der Ertragserwartungen das Aufwärtspotenzial begrenzen, während die niedrigen Bewertungen gleichzeitig das Abwärtsrisiko deckeln. Nach dem jüngsten Kurssturz befinden wir uns derzeit wohl in der unteren Hälfte dieser Trading Range.

Fazit

Summa summarum wäre es in der aktuellen Marktphase unklug, Aktienportfolios abzustoßen. Zudem ist klar, dass es tatsächlich nur einige wenige Handelstage sind, die die Wertentwicklung maßgeblich beeinflussen. Sofern Aktieninvestoren jetzt abspringen, laufen sie Gefahr, den Zug zu verpassen.

Quelle: ING Investment Management

ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit annähernd 375 Milliarden Euro Assets under Management, vertreten in 37 Ländern mit mehr als 3.700 Mitarbeitern, ist ING Investment Management (ING IM) weltweit auf Platz 27 im Asset Management.

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