Vorsätze zum neuen Jahr schnell vergessen – Ausblick auf die EZB-Politik
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Eigentlich wollte die EZB die Zinsen im Januar am liebsten unverändert lassen. Die seit der letzten EZB-Sitzung im Dezember veröffentlichten Konjunkturdaten haben aber alle guten Vorsätze zum neuen Jahr vergessen lassen. Die weitere Verschlechterung der Wirtschaftslage scheint die EZB überrumpelt zu haben. Eine Zinspause kommt jetzt wohl nicht mehr in Frage. Auch wenn der Markt derzeit eine Zinssenkung von 50 Basispunkten einpreist, ist eine Lockerung um 25 Basispunkte wohl wahrscheinlicher.
Das Szenario ist altbekannt: Am Silvesterabend fassen wir die allerbesten Vorsätze für das nächste Jahr: mehr Sport, weniger Essen, keine Zigaretten. Leider werden knapp 90 Prozent dieser guten Vorsätze innerhalb der ersten Wochen des neuen Jahres gebrochen. Und warum? Bei einer radikalen Umstellung unseres Lebenswandels nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip ist der Misserfolg vorprogrammiert. Bei der in dieser Woche anstehenden Ratssitzung der EZB wird sich zeigen, dass auch die EZB ihre guten Vorsätze zum neuen Jahr nicht halten kann.
Der Plan war klar. Nachdem die EZB die Zinsen in knapp zwei Monaten um 175 Basispunkte gesenkt hatte, signalisierte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet im Dezember den Märkten eine Zinspause. Zunächst wollte man erst einmal abwarten, inwieweit die Senkungen die Konjunktur beleben würden, bevor man die Zinsschraube weiter lockerte. Das unterstrich die EZB, indem sie gegen Ende des Jahres ankündigte, den Zinskorridor per 21. Januar wieder auf 200 Basispunkte auszuweiten. Damit verteuert sich die Mittelaufnahme bei der EZB wieder auf das vor dem 9. Oktober geltende Niveau. Mit diesem Schritt will die EZB erreichen, dass die Banken die ihnen zur Verfügung gestellte Liquidität an den Interbankenmarkt weitergeben und so zur Normalisierung der Geldmärkte beitragen, anstatt ihre Mittel weiter bei der EZB zu parken. Nun ist der Finanzsektor gefordert, die Zinssenkungen an die Wirtschaft weiterzugeben. Aller sorgfältigen Planung zum Trotz wird die EZB ihre guten Vorsätze am kommenden Donnerstag jedoch brechen. Aufgrund der markanten Verschlechterung der Konjunkturaussichten bleibt dem europäischen Währungshüter nämlich nichts anderes übrig als die Zinsen weiter zu senken.
Das vierte Quartal 2008 wurde bereits als aussichtslos abgeschrieben. Jetzt fragt sich nur noch, wie stark die Wirtschaft eigentlich geschrumpft ist. Scharfer Einbruch der Industrieproduktion, eine stark rückläufige Auslandsnachfrage und steigende Arbeitslosenraten sind die Vorboten der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Tatsächlich deuten alle Frühindikatoren auf eine weitere Verschärfung der Situation hin. Mit einer baldigen Trendwende ist nicht zu rechnen. Sowohl der Eurozone-PMI-Index als auch das Stimmungsbarometer der Europäischen Kommission fielen auf neue Tiefststände. Zudem hat sich die Auftragslage in Deutschland seit Dezember 2007 kontinuierlich verschlechtert. Gleichzeitig geht der Inflationsdruck rapide zurück. Im Dezember sank die Kerninflation erstmals seit August 2007 unter die Zwei-Prozent-Marke. Angesichts der anhaltend positiven Basiseffekte durch rückläufige Erdölpreise und sinkende Nachfrage wird die Inflation weiter zurückgehen und könnte im Sommer sogar unter null fallen. Gleichwohl scheint eine mögliche Deflation der EZB keine Sorgen zu bereiten. Zwar haben verschiedene Mitglieder des EZB-Rates sehr niedrige bzw. sogar negative Inflationsraten in Betracht gezogen. Für die zweite Jahreshälfte rechnen sie jedoch mit einem allmählichen Anstieg der Inflationsrate. Keine Panik.
Erfreulich ist indes, dass sich an den Finanzmärkten bereits eine positivere Entwicklung abzeichnet. Die Situation an den Geldmärkten entspannt sich zusehends und bisher gibt es in der Eurozone noch keine Hinweise auf eine echte Kreditklemme. Eine Lockerung der Geldpolitik könnte also wirklich zu einer weiteren Entspannung beitragen. Laut der jüngsten EZB-Zinsstatistiken für monetäre Finanzinstitute („MFI“) ist der gewichtete Durchschnittszinssatz für Darlehen an Unternehmen im November um etwa 50 Basispunkte gefallen. Das deutet darauf hin, dass die Zinssenkungen der europäischen Notenbank – zumindest teilweise – weitergegeben werden.
Die meisten guten Vorsätze zum neuen Jahr scheitern, weil sie entweder zu hoch gesteckt oder nicht klar genug definiert sind. Der EZB hätte eigentlich klar sein müssen, dass eine Verschnaufpause inmitten eines Sprints keine gute Idee ist. Bei diesem guten Vorsatz war der Misserfolg also vorprogrammiert. Auf der Ratssitzung in dieser Woche wird man eine weitere Zinssenkung beschließen. Den Verlautbarungen der EZB nach zu urteilen, dürfte sich der Zinslockerungskurs indes verlangsamen. Eine Senkung um 25 Basispunkte erscheint derzeit als der wahrscheinlichste Kompromiss zwischen den „Tauben“ und „Falken“ unter den Währungshütern. Eine Senkung um 50 Basispunkte ist jedoch nicht auszuschließen. Die EZB hinkt der Zinskurve, d. h. der Realwirtschaft, immer noch hinterher und eine aggressivere Lockerung ist vonnöten. Hier besteht das Risiko weiter darin, dass der geldpolitische Entscheidungsträger zu wenig anstatt zu viel tut.
Autor: Carsten Brzeski, Senior Economist der ING Belgium
Quelle: ING Investment Management
ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit annähernd 375 Milliarden Euro Assets under Management, vertreten in 37 Ländern mit mehr als 3.700 Mitarbeitern, ist ING Investment Management (ING IM) weltweit auf Platz 27 im Asset Management.
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