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Kommentar
10:17 Uhr, 12.03.2021

Vor nichts müssen Aktien weniger Angst haben als vor der EZB

Auf ihrer Sitzung hat die EZB ihre Inflationsprognosen erhöht, Restriktionen bleiben aber aus. Denn das Wachstum der Eurozone fällt verhalten aus. Ohnehin wird die Inflation nach Auslaufen der konjunkturellen Nachholeffekte ab 2022 wieder nachgeben. Auch sind der EZB wegen der Überschuldung Europas die Hände gebunden.

Schon die zuletzt gestiegenen Anleiherenditen bereiten der EZB Sorge. D.h., Notenbank und Aktien bleiben ziemlich beste Freunde.

Zunächst fällt die Eurozone in die Rezession zurück

Laut EZB ist die Erholung der Euro-Konjunktur Winter-Lockdown- und Impfdebakel-bedingt ins Stottern geraten. Dabei kann die robuste Entwicklung der Industrie die Moll-Stimmung im Dienstleistungssektor nicht kompensieren. Ein Double Dip - Rückfall in die Rezession - mit Unternehmenspleiten und höherer Arbeitslosigkeit wird sich trotz staatlicher Auffangleistungen im I. Quartal 2021 nicht verhindern lassen. Zwar rechnet die EZB in diesem Jahr mit einem Wachstum von 4,0 und 2022 mit 4,1 Prozent. Dafür sind aber vor allem Nachholeffekte verantwortlich.

Die EZB schaut über den Inflationsberg hinweg

Vor diesem schwachen Konjunkturhintergrund misst die EZB dem jüngsten Inflationsanstieg keine besondere Bedeutung bei. Schon gar nicht sieht sie die Gefahr einer nachhaltigen Inflationierung aufgrund einer sich selbst verstärkenden Spirale aus steigenden Löhnen und Preisen. Im Gegenteil, sie geht von einem Rückgang der Inflation nach Abebben der Nachholeffekte aus. Trotz Anhebung für 2021 (1,5 nach zuvor 1,0 Prozent) und 2022 (1,2 nach zuvor 1,1 Prozent) bleibt ihr Inflationsausblick nüchtern. 2023 geht sie weiter von unveränderten Preissteigerungen von 1,4 Prozent aus.

Die EZB will die Leitzinsen so lange auf ihrem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau belassen, bis sich eine Preissteigerung von durchschnittlich zwei Prozent einstellt. „Durchschnittlich“ heißt dabei, dass nach langem Unterschreiten auch ein vorübergehendes Überschießen oberhalb von zwei Prozent zu keiner Restriktion führt, sondern toleriert wird. Damit sind vor 2024, wenn überhaupt, Zinssteigerungen ausgeschlossen.

Und so vollzieht die Rendite 10-jähriger deutscher Staatsanleihen den Auftrieb der Inflationserwartungen trotz historisch engem Gleichlauf nicht eins zu eins nach.

EZB - Das Allheilmittel gegen jeden europäischen Schmerz

Schon den jüngsten, wenn auch vergleichsweise geringen Renditeanstieg bei Staatsanleihen der Eurozone betrachtet die EZB mit Argwohn. Deswegen wird die EZB im Rahmen des PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) im nächsten Quartal zunächst deutlich mehr Anleihen aufkaufen (sog. front-loading), nachdem sie sich zu Jahresbeginn vergleichsweise zurückgehalten hat. Dabei gestaltet sie die Ankäufe flexibel. Verstärkt kommen die Staatspapiere aus dem Euro-Süden in den Genuss von mehr Liquidität.

Auch betont Notenbankchefin Lagarde klar, dass die EZB am PEPP mindestens bis Ende März 2022 festhält und dieses sogar ausweiten könne, um „die günstigen Finanzierungsbedingungen aufrechtzuerhalten und so dem negativen Schock der Pandemie auf die Inflationsentwicklung entgegenzuwirken“.

Mit festgenagelten Leitzinsen und gedrückten Renditen betreibt sie zumindest indirekte Zinskurvenkontrolle. Dabei sind inoffiziell Zinsen, die unterhalb der Preissteigerung liegen, auch deshalb erwünscht, weil sie die Weginflationierung von Staatsschulden erlauben.

Grafik der Woche

Mit der Aufrechterhaltung eines zinsgünstigen Liquiditätsangebots kann die fiskalische Nachfrage nach neuen Konjunkturprogrammen befriedigen werden. Tatsächlich fordert EU-Wirtschaftskommissar Gentiloni bereits eine Änderung des Euro-Stabilitätspaktes, um eine höhere Verschuldung der EU-Mitgliedsstaaten zugunsten öffentlicher Investitionen zu ermöglichen. Jetzt propagiert auch das Bundesfinanzministerium höhere gemeinsame Investitionen. Gegen eine Erhöhung der Schulden, die eins zu eins der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Wirtschaftsstandorte dienen, ist nichts einzuwenden. Allerdings sind gemeinsame Investitionsprojekte kritisch zu sehen. Schon die deutsch-französische Zusammenarbeit bei Rüstungsprojekten erforderte langwierige Abstimmungsprozesse. Und bei noch mehr Staaten gilt: „Viele Köche verderben den Brei“.

Grundsätzlich sollte man die Einzelstaaten nicht aus ihrer nationalen Verpflichtung entlassen und die Allgemeinheit dafür gemeinschaftlich haften lassen. Jeder muss zunächst seine eigenen Hausaufgaben machen. Es mag nicht Mainstream sein, aber ohne Leistungsprinzip im eigenen Vorgarten wird Europa insgesamt nicht aus der wirtschaftlichen Underperformance im Vergleich zu Amerika und Asien entkommen.

Mit dem Aufkauf von nationalen Staatsanleihen, perspektivisch auch bei Gemeinschaftsanleihen, betreibt die EZB unverhohlen Staatsfinanzierung. Insgesamt wird das Zweckbündnis zwischen EZB und Finanzpolitik noch enger. Es ist zu bezweifeln, ob sich jemals wieder stabile geldpolitische Zustände einstellen werden.

In puncto Staatsfinanzierung stellt die EZB mittlerweile sogar die US-Notenbank in den Schatten. Ihre Bilanzsumme ist auf über 60 Prozent der Wirtschaftsleistung angewachsen im Vergleich zu 36 Prozent bei der Fed.

Mit ihren Renditedrückungen will sich die EZB auch das Problem eines (T)Euros vom Hals halten. Tatsächlich setzt man an den Terminmärkten auf Euro-Schwäche gegenüber US-Dollar.

Marktlage - Substanzwerte mit Frühlingsgefühlen

Das klassische volkswirtschaftliche Verlaufsmuster, wonach auf Inflation Zinssteigerungen folgen, wird von der EZB entkräftet. Zinsangst ist daher vor allem ein Phantomschmerz. Angesichts der Wirtschaftserholung in den USA haben sich die Renditen von US-Anleihen zwar von coronalen Tiefständen entfernt. Ähnlich wie bei der EZB spricht aber auch hier fortgesetzte geldpolitische Happy Hour gegen deutliche Renditeerhöhungen. Die Aktienmärkte verlieren ihr wichtigstes Argument, die Liquiditätshausse, nicht.

Übrigens, von der weiterhin um 300 Dollar pro Woche höheren Arbeitslosenunterstützung und neuen Konsum-Schecks über 1.400 Dollar für berechtigte Amerikaner könnten laut Umfrage der Deutschen Bank insgesamt 170 Mrd. Dollar ihren Weg an die Aktienmärkte finden.

An den Aktienbörsen zeigt sich aber auch immer mehr fundamentaler Optimismus. Die von der Investment-Beratungsfirma Sentix ermittelten Konjunkturerwartungen für die kommenden sechs Monate hellen sich weiter über alle Weltregionen auf. Den Schwellenländern Asiens mit Schwerpunkt China, den USA und dem konjunkturzyklischen und exportorientierten Deutschland werden dabei die besten Perspektiven bescheinigt.

Diese Entwicklung spiegelt sich im Gewinnwachstum der USA und Deutschland wider. Und die asiatischen Schwellenländer präsentieren sich so stark wie zuletzt Ende 2018. Selbst die Gewinnaussichten europäischer Unternehmen schließen allmählich auf.

Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund zeigt sich aktuell eine Outperformance deutscher und europäischer Blue-Chips gegenüber der Konkurrenz aus Amerika und Asien. Denn die Technologiewerte in Amerika und Asien sind nicht mehr einzigartig. Die „Old Economy“ aus Europa und insbesondere Deutschland kehrt zurück. Bemerkenswert ist die relative Stärke des amerikanischen Mittelstandsindex Russell 2000, dem die Konjunkturprogramme Bidens besonders zugutekommen.

In der Tat findet eine gewisse Umschichtung von Wachstumstiteln in zyklische Substanzwerte statt. Dabei liegt der Fokus auf Sektoren mit konjunkturellem Nachholbedarf und Corona-Verlierern wie Industrie- und Rohstoffwerten, Reise- und Freizeitaktien sowie Banken, während teure Corona-Gewinner u.a. aus dem Technologiebereich zeitweise Federn lassen müssen. Value ist wieder gefragt.

Diese Umschichtung könnte Ende des Monats einen weiteren Schub erhalten, wenn viele Aktienfonds zum Quartalswechsel routinemäßig ihre Allokation anpassen. Vor allem Momentum-Fonds werden nach festen Regeln verwaltet und investieren in Titel, die sich zuletzt überdurchschnittlich gut entwickelt haben. Und das sind vor allem Zykliker und Substanzwerte, deren Anteil in den Fonds von rund 40 auf mehr als 60 Prozent ansteigen kann. Dagegen könnte der von Gesundheits- und Technologietitel um bis zu zehn Prozentpunkte sinken.

Sentiment und Charttechnik DAX - Frühling mit zwischenzeitlichen Rückfällen in den Winter

Der DAX ist nach wochenlanger Stagnation nach oben ausgebrochen. Dass er das neu erklommene Terrain verteidigt, stimmt zuversichtlich.

Da der Anteil der Optimisten abzüglich des Anteils der Pessimisten am US-Aktienmarkt so hoch ist wie zuletzt Ende 2017, müssen jedoch zwischenzeitliche Kursrücksetzer und mehr Schwankungsanfälligkeit einkalkuliert werden.

Im DAX liegen auf dem Weg nach oben die nächsten Widerstände bei 14.562, 14.600 sowie 14.658 Punkten. Darüber liegen weitere Barrieren bei 14.735, 14.785, 14.875 sowie 15.120 und 15.130. Bei Rücksetzern liegen erste Unterstützungen bei 14.516 und 14.307.

Disclaimer beachten!

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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