Kommentar
10:36 Uhr, 02.09.2016

Viel Liquiditäts- und wenig Fundamentalhausse am deutschen Aktienmarkt

Die Weltkonjunktur läuft nur verhalten: Die Schwellenländer, allen voran China, befinden sich in der Phase der neuen Sachlichkeit. Die Konjunktur der Eurozone bleibt insgesamt gehemmt, weil Reform- und Wettbewerbsfähigkeit zu wünschen übrig lassen. Selbst die US-Industrie zeigt sich geschwächt. Dennoch betreibt die Fed Zinserhöhungsrhetorik.

Grundsätzlich sind das keine schlagenden fundamentalen Argumente für export- und industrielastige Aktien. Müssen wir uns also auf einen heißen Aktien-Herbst einstellen oder gibt es Ersatzargumente?


Die Konjunkturpolitik der EZB hat viel gemeinsam mit Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“
Das beispiellose Anleiheaufkaufprogramm der EZB und die mit ihm verbundene Rendite- und Kreditzinsdrückung zeigen konjunkturell keine Wirkung. Das Kreditwachstum in der Eurozone bleibt regelrecht erbärmlich.


Unter diesen Vorzeichen ist kein nachhaltiger Aufschwung außerhalb von Basiseffekten zu erwarten. Selbst weitere liquiditätspolitische Gedankenspiele wie der Aufkauf von Aktien werden keine Wende zum realwirtschaftlich Besseren bringen. Zu wenig Geldversorgung ist nicht das Problem, sondern zu wenig marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik in den einzelnen Euro-Staaten: Ohne Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit wird die private Wirtschaft den europäischen Standort nicht wieder neu entdecken.

Leider ist auch Deutschland keine lobenswerte Ausnahme. Die Reformpolitik einer „Agenda 2010“ wurde nicht fortgesetzt. Dabei war gerade sie ein erfolgreiches Instrument, den früheren kranken Wirtschaftsmann Europas - nämlich Deutschland - gesunden zu lassen. Sich auf den Lorbeeren der aktuell sicherlich noch guten deutschen Industriekultur auszuruhen, ist fatal. Und es ist nicht ausreichend, sich als der Einäugige unter den wirtschaftlich Blinden in der Eurozone zu betrachten. Europameister reicht nicht, Weltmeister müssen wir sein, denn in Amerika und Asien sitzt die eigentliche Industriekonkurrenz, die die industrielle Revolution 4.0, die Digitalisierung als große Chance begreift und bei Erfolg der deutschen Industriekultur ernsthaft Konkurrenz macht.


Rule Economic Britannia
Aber nicht nur in Übersee, sondern unmittelbar vor der deutschen Haustür besteht die Gefahr einer neuen industriellen Konkurrenz. Großbritannien schickt sich an, seine sehr einseitige Dienstleistungsorientierung zugunsten einer radikalen Reindustrialisierung aufzugeben. Das braucht sicherlich Zeit. Doch weiß die neue britische Regierung, dass sie nach Brexit wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand steht und einen Plan B verfolgen muss. Steuer-, Lohn- und Währungsdumping sollen zur Wiedergewinnung industrieller Stärke massiv eingesetzt werden. Und eine Wieder-Deregulierung des Londoner Finanzplatzes erscheint ebenso wahrscheinlich.

Brüssel und die Rest-EU sollten sich nicht der Illusion hingeben, Großbritannien wirtschafts- und industriepolitische Bedingungen diktieren zu können. London registriert - als diplomatische Weltmacht - sehr genau, dass Europas Politiker sich in vielen Fragen uneins sind. Zudem leidet Kontinental-Europa unter (finanz-)politischen Krisen wie die Hängepartie der spanischen Regierungsbildung, die zunehmende Stärke EU-kritischer Parteien und die Bankenkrise in Italien. London wird versuchen, diese Disharmonie im Zuge der Neuverhandlung der Beziehungen zur EU für sich zu nutzen, um insgesamt wieder ein attraktiver Industriestandort zu werden.

Einen Vorgeschmack auf eine zukünftig zunehmende Konkurrenzfähigkeit Großbritanniens liefert die im europäischen Vergleich einseitige Stimmungsverbesserung in britischen Industrieunternehmen, die den stärksten Zuwachs in der fast 25-jährigen Geschichte der Datenerhebungen erzielt. Interessanterweise ist die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe aktuell besser als vor der Brexit-Abstimmung. Auch wenn sicherlich die momentane Pfund-Schwäche und das Abebben des ersten Brexit-Schocks für die Klimaaufhellung mitverantwortlich sind, sollte der neue wirtschaftspolitische „Ruck“, der durch die britischen Unternehmen geht, nicht unterschätzt werden.


Die Schwellenländer sind wirtschaftlich nicht mehr das, was sie einmal waren
Sicherlich hat sich die schlechte Stimmung gegenüber Schwellenländern seit Mitte 2015 spürbar aufgehellt. Fiskal- und geldpolitische Stimulierungsmaßnahmen insbesondere in China haben die Gefahren eines hard landing Asiens eingedämmt. Die Aktienmärkte der Schwellenländer reagieren positiv: Nach knapp 30-prozentigen Kursgewinnen seit ihrem 6-Jahres-Tief im Januar - der MSCI Emerging Markets Index befindet sich klar im Bullenmarkt - steigt zwar das Risiko zwischenzeitlicher Kursrücksetzer durch Gewinnmitnahmen. Jedoch spricht die deutlich nachgelassene Volatilität für eine auch weiterhin geringe Risikoaversion.

Dennoch muss festgestellt werden, dass die Schwellenländer ihren langjährigen Nachfragesog nach westlichen und deutschen Produkten reduzieren werden, nicht zuletzt, da sie selbst als Anbieter im Außenhandel auftreten. Die neue Sachlichkeit in der chinesischen Volkswirtschaft zeigt sich im offiziellen als auch im vom Finanzdatenanbieter Caixin veröffentlichten Einkaufsmanagerindex. Sie dokumentieren vor dem Hintergrund eines schwierigen Übergangs von einer Export und Immobilien getriebenen hin zu einer nachhaltigen Konsum- und Dienstleistungswirtschaft eine Konjunkturstabilisierung in China lediglich auf niedrigem Niveau.

Es spricht wenig für nachhaltig steigende Ölpreise
Die Erwartung am Öl-Terminmarkt, dass es anlässlich des Treffens wichtiger Ölproduzenten Ende September in Algier zu einer Einigung auf Produktionsobergrenzen kommt, sind fundamental wenig gerechtfertigt.


Denn der verbissene Preiskampf um Anteile am Rohölmarkt vor allem zwischen Saudi-Arabien und dem Iran geht unvermindert weiter. Der Iran will seine bereits am Förderlimit liegende Produktion zum Zwecke der Finanzierung seiner Reindustrialisierung deutlich ausweiten. Auch Russland ist dringend auf Öleinnahmen angewiesen und versucht Preis- durch Umsatzeffekte zu kompensieren. Obwohl die Internationale Energieagentur von einer robusteren Ölnachfrage ausgeht, ist insgesamt eine nachhaltige Ölpreissteigerung unwahrscheinlich. Preisliche Abwärtsrisiken ergeben sich zusätzlich aus der Tatsache, dass bei Preisen um 50 US-Dollar immer mehr US-Fracking-Unternehmen ihre Gewinnschwelle erreichen und geschlossene Bohrlöcher wieder in Betrieb nehmen. Insgesamt ist das Aufwärtspotenzial beim Ölpreis bei 50 US-Dollar begrenzt.

Damit verlieren auch die Rohstoffländer an Kaufkraft zum Wohle der Weltkonjunktur.

Die Mär von der starken US-Konjunktur
Selbst die US-Konjunktur zeigt sich bei genauerer Betrachtung weniger robust als bislang von vielen Marktteilnehmern behauptet. So hat sich das Klima im Verarbeitenden Gewerbe Amerikas das zweite Mal in Folge sowohl im Gesamtindex, aber auch in der Neuauftrags- und Beschäftigungskomponente abgeschwächt. Mit Sommerloch allein lässt sich diese Entwicklung nicht erklären. Da stellt sich die Frage, mit welcher konjunkturellen Berechtigung man in den USA von Zinserhöhungen spricht.


GRAFIK DER WOCHE
ISM Index Verarbeitendes Gewerbe USA

Diese insgesamt verhaltenen Konjunkturdaten finden ihren Niederschlag in enttäuschenden Gewinnwachstumsraten in Europa, China und den USA.

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung - Geldpolitik als Killerargument
Vor diesem Hintergrund halten sich die fundamentalen Argumente insbesondere für typischerweise export- und industrielastige deutsche Aktien eigentlich in Grenzen. Unter normalen Bedingungen müssten Anleger dem Aktienmarkt gegenüber grundsätzlich skeptisch eingestellt sein. Anhaltend starke Aktienargumente kommen jedoch von der Geldpolitik. So zeichnet sich in der (sozial-)politisch angeschlagenen Eurozone eine Tendenz zur verstärkten Schuldenaufnahme ab. Deren problemlose Finanzierung wird die EZB durch ihre Ankaufprogramme übernehmen. Als Nebenprodukt bleibt der nachhaltige Ausfall des Zinsvermögens als attraktive Alternativanlageklasse erhalten. Den insofern bestehenden liquiditäts- und renditeorientierten Anlagenotstand müssen Vermögensverwalter und Kapitalsammelstellen auch durch Aktienengagements befriedigen. Dies spricht für einen DAX am Jahresende bei 11.300 Punkten.

Auch die aktuelle Schwankungsbreite beim DAX zeigt sich risikoentspannt. Der VDAX-New Volatility Index, der die mögliche Schwankungsbreite für die nächsten 30 Handelstage misst, liegt trotz durchaus vorhandener Risiken mit einem aktuellen Wert von knapp 19 auf historisch vergleichsweise sehr niedrigem Niveau.


Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Am Scheideweg
Charttechnisch warten im DAX auf dem Weg nach oben die nächsten Widerstände bei 10.635 und darüber bei 10.743 sowie 10.802 Punkten. Schließlich trifft der Index bei 11.154 auf die nächste nennenswerte Barriere. Auf dem Weg nach unten gibt der mittelfristige Abwärtstrend bei 10.406 und knapp darunter die Kurslücke zwischen 10.403 und 10.374 Punkten Halt, gefolgt von einer schwachen Unterstützung bei rund 10.340. Darunter liegt die starke Auffangzone zwischen 10.123 und 10.077 Punkten.

Im Euro Stoxx 50 wartet der erste Widerstand an der fallenden 200-Tage-Linie bei derzeit 3.017 Punkten. Darüber liegt eine Hürde bei 3.062, gefolgt von weiteren Barrieren bei 3.106 und 3.137 Punkten. Auf der Unterseite bietet der Bereich zwischen 2.970 und 2.950 kurzfristigen Halt. Eine stärkere Unterstützung verläuft schließlich bei rund 2.904 Punkten.

Der Wochenausblick für die KW 36 - Die EZB macht geldpolitisch weiter mobil
In den USA zeichnet der Konjunkturbericht der Fed (Beige Book) ein stabiles, aber nicht starkes US-Konjunkturbild. Für wenige Impulse sorgt der ISM Index für das US-Dienstleistungsgewerbe, der sich zum Vormonat unverändert präsentiert. Auch die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe liefern keine zinserhöhungsrelevanten Argumente.

Auf der Notenbanksitzung der EZB am 8. September wird Mario Draghi eine Neueinschätzung der Konjunktur- und Inflationslage vornehmen. Vor dem Hintergrund des Brexit und Euro-politischer Verunsicherungselemente mit ihren Kollateralschäden für die Wirtschaft der Eurozone wird die EZB vermutlich beide volkswirtschaftlichen Kerngrößen zurücknehmen. Dies böte ihr ein willkommenes Alibi, vorbeugend ihr Anleiheaufkaufprogramm über März 2017 hinaus zu verlängern und dann gezwungenermaßen - das Volumen aufkaufbarer Papiere wird immer knapper - die bislang geltende Einschränkung aufzuweichen, lediglich Anleihen mit Renditen oberhalb des Einlagenzinses zu erwerben.

Zinserhöhungen der Fed: Wollen will sie, aber kann sie auch können?
In einer immer globaleren Welt steht die amtierende US-Notenbankpräsidentin Janet Yellen in einer großen Verantwortung. Natürlich geht es bei ihrer Geldpolitik um den eigenen amerikanischen Herd. Doch beeinflusst sie auch massiv das Backen kleiner und großer Brötchen in den für die Weltwirtschaft bedeutenden Schwellenländern. Bei einer laschen Zinspolitik, bei der es in den USA renditeseitig nichts zu holen gibt, sitzt das amerikanische Anlegergeld auch für Investitionen außerhalb eigener Gefilde locker. Umgekehrt wirken steigende US-Leitzinsen - auch noch gepaart mit drohenden Währungsverlusten in Übersee - als Investitionsbremse.

Tatsächlich haben die Aktienmärkte der Schwellenländer - als Gradmesser der dortigen wirtschaftlichen Laune - mit Zeitverzögerung sehr negativ auf den massiven Zinserhöhungstrend der Fed von 2004 bis 2006 reagiert. Grundsätzlich ist Frau Yellen sprichwörtlich die Mutter aller Notenbanken, sie ist die wirklich mächtigste Frau der Welt.


Worte zerstören, wo sie nicht hingehören
Mit Zinserhöhungspolitik - auch verbaler Art - sollte man also nicht spielen. Ich weiß nicht, ob die machtvolle Frau Yellen das auch weiß. Bei ihrer Zinspolitik verweist sie immer auf „Data Dependency“, also die Abhängigkeit von Konjunkturdaten. Zunächst macht dies zwar Sinn: An was als an Arbeitsmarkt- oder Inflationsdaten soll man sich als Notenbanker denn sonst halten? Genau diesen Zusammenhang - wenn es regnet, wird man nass - hat sie auch auf dem Treffen der internationalen Notenbanker in Jackson Hole, Wyoming betont. Und demnach - so Yellen - hätten sich die Argumente für eine Zinserhöhung verstärkt. Doch das ist alles nichts Neues, alles nur alter Wein in neuen Schläuchen.

Denn wie oft schon wurde der nach Dezember 2015 nächste Zinserhöhungsschritt der Fed aufgrund vermeintlich guter Konjunktursignale genährt, dann aber angesichts nachfolgend schwächerer Daten wieder ausgespuckt? Immer!

Mit diesem Zinserhöhungs-Ping-Pong ist die Fed nicht mehr der Fixstern, der den Finanzmärkten Standfestigkeit verleiht. Vielmehr ist sie je nach Art des einzelnen Konjunkturdatums eine unverbindliche flüchtige Sternschnuppe, die einmal so und einmal so verunsichert.

In einer unsicheren Konjunkturwelt ist geldpolitische Vorsicht die Mutter der Porzellankiste
Überhaupt, wie konjunkturell gut sind z.B. die guten Arbeitsmarktdaten wirklich? In den USA spricht zwar so mancher von Vollbeschäftigung. Doch melden sich viele Arbeitslose gar nicht mehr offiziell als arbeitslos. Sie fallen also beschönigend aus der Statistik heraus. Und es kommt doch wohl auch auf die Qualität, nicht nur Quantität von Arbeitsplätzen an. Nach der Immobilienkrise sind stark zunehmende Jobs im schwankungsanfälligen Gastronomiegewerbe oder als „Schiffschaukelbremser“ auf der Kirmes im Gegensatz zu rareren Beschäftigungen in der einkommensstarken Industrie kein klarer Beweis für eine gesunde Beschäftigungssituation in Amerika.

Ohnehin, in unserer zusammengerückten Konjunkturwelt hängt alles mit allem zusammen. Schnell wird aus einer Mücke in einem Land ein weltweit alles zertrampelnder Elefant. Was ist, wenn Ölpreis und Industriemetalle wieder nachgeben und Rohstoffländern die kaufkräftige Luft ausgeht? Was ist, wenn die neue Wachstums-Sachlichkeit der Schwellenländer zu größeren Reibungsverlusten führt? Und was ist mit dem Einfluss geostrategischer Störpotenziale auf die Konsum- und Investitionslaune? Aus meiner Sicht hat das weltwirtschaftliche Deflationsgespenst immer noch nicht ausgespukt.

Muss man vor diesem wackeligen konjunkturellen Hintergrund jetzt ohne Not eine verunsichernde US-Leitzinserhöhungsdebatte führen? Wäre es nicht sinnvoller, zunächst einmal abzuwarten, wie sich die Realwirtschaft entwickelt? Das sind rhetorische Fragen!


Der fromme Wunsch der Fed nach geldpolitischer Normalisierung
Da gibt es aber noch einen weiteren Aspekt, der Frau Yellen unter den Nägeln brennt. Die US-Notenbank hat „Platz-Angst“. Seit 1981 sind die Anleiherenditen im Trend immer nur gefallen. Das erneute Bersten einer Anlageblase wie 2008 - diesmal an den Zinsmärkten - die die Fed durch ihre Geldpolitik selbst geschaffen hat, wäre der finale GAU für die Finanzmärkte.


Daher überlegt man sich bei der Fed, wie man die Luft aus der Anleiheblase ruhig, ganz langsam entweichen lassen kann, um den Druck abzubauen. Doch auch schon leichte Zinserhöhungen können Anleihen beeindrucken. Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel in guten und eben auch schlechten Zeiten. Im Extremfall kommt es zu einem Sommerschlussverkauf. Denn Vermögensverwalter und Kapitalsammelstellen sitzen bei Anleihen auf dicken und dicksten Buchgewinnen. Sie werden nicht zuschauen wie ihre Buchgewinne wie Eis in der Sonne dahin schmelzen, sondern sie vorbeugend abstoßen. Und dann heißt es, die Letzten beißen die Hunde. Alle wollen zeitgleich durch den Notausgang wie bei einem Feuer im Kino. Und der nachfolgende plötzliche Ausbruch auch von Kreditzinsen nach oben tut der weltkonjunkturellen Stimmung sicher nicht gut. Dieser Umkehrschub von zinslockerer Liquiditätshausse zu zinsrestriktiver -baisse wird nicht zuletzt die Aktienmärkte und damit die Konsumlaune heimsuchen.

Und aus den Emerging Markets wird das Anlagegeld schneller abgezogen als Hunde ihren frisch aufgefüllten Fressnapf leeren können. Aus Lieblingskindern der Weltkonjunktur werden Problemkinder.

Frau Yellen wäre gezwungen, die Zinsen wieder zu senken und den Aufkauf von Staatspapieren wieder sintflutartig aufzunehmen. Spätestens dann wäre die Reputation der Fed mit allen Kollateralschäden für die Finanzmärkte dahin.

Da gibt es aber noch einen weiteren Aspekt, der Frau Yellen unter den Nägeln brennt. Die US-Notenbank hat „Platz-Angst“. Seit 1981 sind die Anleiherenditen im Trend immer nur gefallen. Das erneute Bersten einer Anlageblase wie 2008 - diesmal an den Zinsmärkten - die die Fed durch ihre Geldpolitik selbst geschaffen hat, wäre der finale GAU für die Finanzmärkte.

Daher überlegt man sich bei der Fed, wie man die Luft aus der Anleiheblase ruhig, ganz langsam entweichen lassen kann, um den Druck abzubauen. Doch auch schon leichte Zinserhöhungen können Anleihen beeindrucken. Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel in guten und eben auch schlechten Zeiten. Im Extremfall kommt es zu einem Sommerschlussverkauf. Denn Vermögensverwalter und Kapitalsammelstellen sitzen bei Anleihen auf dicken und dicksten Buchgewinnen. Sie werden nicht zuschauen wie ihre Buchgewinne wie Eis in der Sonne dahin schmelzen, sondern sie vorbeugend abstoßen. Und dann heißt es, die Letzten beißen die Hunde. Alle wollen zeitgleich durch den Notausgang wie bei einem Feuer im Kino. Und der nachfolgende plötzliche Ausbruch auch von Kreditzinsen nach oben tut der weltkonjunkturellen Stimmung sicher nicht gut. Dieser Umkehrschub von zinslockerer Liquiditätshausse zu zinsrestriktiver -baisse wird nicht zuletzt die Aktienmärkte und damit die Konsumlaune heimsuchen.

Und aus den Emerging Markets wird das Anlagegeld schneller abgezogen als Hunde ihren frisch aufgefüllten Fressnapf leeren können. Aus Lieblingskindern der Weltkonjunktur werden Problemkinder.

Frau Yellen wäre gezwungen, die Zinsen wieder zu senken und den Aufkauf von Staatspapieren wieder sintflutartig aufzunehmen. Spätestens dann wäre die Reputation der Fed mit allen Kollateralschäden für die Finanzmärkte dahin.


Janet Yellens Tanz um das goldene Zins-Kalb muss enden
Die Fed muss sich vor Augen führen, dass sie durch ihr beherztes geldpolitisches Eingreifen seit 2008 die weltweiten Finanz- und Realmärkte zwar in eine stabile Seitenlage gebracht hat. Doch selbst diese ist gefährdet. Ihr Wischi-Waschi-Kurs eines an kurzatmigen Konjunkturdaten orientierten Zinszirkus, der die Finanzmärkte Kalt-Warm-Bädern aussetzt, ist zu unterlassen. Das gilt auch für Frau Yellens mitunter schwatzsüchtige, sich oft gegenseitig widersprechende Kollegen bei der Fed. Nicht jeder der einen Mund hat, ist gezwungen, ihn außer zur Nahrungsaufnahme zu öffnen.

Die Rückkehr zu normalen Leitzinsen ist eine Illusion, ja eine Lebenslüge der US-Geldpolitik. Selbst die große Fed kann heute nicht mehr völlig autonom schalten und walten. Die Anleiheblase, dieses Aneurysma wird von ihr konserviert werden müssen. Sollte die Fed im September oder Dezember die Leitzinsen zur vermeintlichen Dokumentation geldpolitischer Handlungsfähigkeit tatsächlich erhöhen, muss sie zügig klarmachen, dass der aktuelle Zinserhöhungszyklus der schwächste aller Zeiten sein wird. Ein Ende der antiautoritären Erziehung der Fed führt ansonsten zu pubertären Anfällen in Finanz- und Realwirtschaft. Alle geldpolitischen Aufbauarbeiten seit 2008 wären für die Katz gewesen.

Ich wünsche der weißhaarigen Frau Yellen weise geldpolitische Einsichten.

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