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10:00 Uhr, 09.11.2009

Verwirrung statt Sicherheit

Hannover (BoerseGo.de) - Seit dem Kollaps der amerikanischen Investment-Bank Lehman Brothers werden die Rufe nach einem Finanz-TÜV weltweit lauter. Einen Finanz-TÜV gibt es bereits seit einiger Zeit: Denn der TÜV Nord hat schon vor dem Höhepunkt der Krise für Kapitalanlageprodukte wie geschlossene Fonds Zertifikate vergeben.

Prüfsiegel und unabhängige Studien sollten für Anleger eine Orientierungshilfe in der immer komplexeren Welt der Finanzprodukte sein und Sicherheit vermitteln. Denn Prüfinstitute, die die verschiedenen Anlageformen auf Herz und Nieren prüfen, sind derzeit eher rar gesät. Momentan schreckt aber das TÜV-Nord-Siegel eher ab, eine gute Note dieser Prüfeinrichtung ist derzeit beinahe ein Schandfleck. Emittenten, die für geschlossene Fonds TÜV-Nord-Siegel mit einer guten Note erhalten haben, wird gerade wegen des positiven Ergebnisses misstraut. Wie ein Emittent auf Nachfrage sagte, sind die Umsätze für die Produkte mit TÜV-Nord-Siegel um deutlich mehr als die Hälfte zurückgegangen – und das obwohl die Produkte vorzeitig geschlossen werden mussten und eine höhere Rendite eingefahren haben, als erwartet. Das klingt auf den ersten Blick alles verwirrend. Der Grund für die Verwirrung sind zwei Studien, die beide vom gleichen Autor verfasst wurden.

Die Studie des Berliner Anlegerschutzinstituts DIAS mit dem Titel „TÜV Siegel für geschlossene Fonds“ erschien vor über einem Jahr. In dieser Studie wird die Aussagekraft dieses Siegels mehr als angezweifelt: „Die TÜV-Zertifikate sind nutzlos und sogar schädlich, sofern sie dubiosen Fondsangeboten das Prädikat „gut“ verleihen“, heißt es dort. Und an anderer Stelle steht in der Studie: „Traue keinem TÜV-Siegel für Geschlossene Fonds! Diese Siegel richten unter Umständen mehr Schaden beim Anleger an als dass sie Nutzen stiften.“ Die Studie wurde mit Blick auf die Hauptthesen fast eins zu eins von den Wirtschaftsteilen namhafter Zeitungen und Magazine übernommen.

Professor Karl Georg Loritz, der unter anderem 2006 auch als Experte eines Bundestagsausschusses zu Kapitalanlagerecht gehört wurde und Co-Autor von „Der geschlossene Immobilienfonds in Deutschland, Konstruktion und Zukunftsperspektiven aus juristischer und ökonomischer Sicht“ ist, wurde als Rechtsgutachter von der CIS Deutschland AG beauftragt, die TÜV-Nord-Zertifizierung zu prüfen. Die geschlossenen CIS-Fonds wurden von der DIAS-Studie ebenfalls stark kritisiert – wegen einer guten TÜV-Nord-Note. Anlass für die Studie war, dass der Emittent sich eine unabhängige Expertenmeinung über das TÜV-Gutachten einholen wollte, um auf dessen Basis den TÜV notfalls auch zu verklagen, wie mit der Sache vertraute Kreise berichten. Dass die CIS AG als Kunde nicht gegen den TÜV-Nord prozessiert, liegt offenbar am Ergebnis der Studie: „Die Studie der DIAS, die wohl den Presseartikeln mit zugrunde liegt, hat den Sachverhalt in wesentlichen Teilen nicht zutreffend zugrunde gelegt. Die Methoden halten wissenschaftlicher Nachprüfung nicht stand, zum Teil werden spekulative Aussagen an die Stelle von Fakten und logischen Schlussfolgerungen gesetzt. Die Studie ist deshalb leider sogar in den wesentlichen Aussagen nicht haltbar, ja unrichtig“, schreibt Loritz in seinem Fazit. Über das Verfahren der TÜV-Nord-Zertifizierung äußert er sich mit Blick auf die vorangegangene Kritik seitens der Medien und der DIAS-Studie überraschend positiv: „Mir ist kein Verfahren bekannt, das auch nur mit annähernd vergleichbarer Gründlichkeit die für das Investment wesentlichen „prüfbaren“ Fakten und Parameter untersuchen würde.“ Insgesamt seien die Vorwürfe, dass das TÜV-Siegel irreführend sei oder keinen Wert habe, nicht zu halten. Denn anders als bei anderen Untersuchungen dieser Art, geht die vom TÜV-Nord beauftragte Firma mit mehreren Experten zu den Fondsgesellschaften und prüft – ähnlich wie bei einer Steuerprüfung vor Ort – und erhält Einblick in vertrauliche Unterlagen. Am Ende entsteht ein 280-Seiten-Dokument. Das Verfahren wird in der Branche und auch von Loritz als aufwändig bezeichnet.

Mit dem Loritz-Rechtsgutachten müsste die Kritik um das TÜV-Nord-Siegel eigentlich entschärft sein oder zumindest hätte der Sachverhalt nun auch einmal von einer anderen Seite beleuchtet werden können und müssen. Das ist allerdings nicht der Fall. Zum einen wird das Loritz-Gutachten selbst von den Medien mehr oder weniger ignoriert. Zum anderen schießt Siepe mit einem neuen Gutachten nach, diesmal, wie vorhin schon kurz angerissen, für den Beraterverband AfW. Genauso, wie in der ersten Studie, stützt sich der Autor auch hier wieder stark auf Presseberichte – vor allem auf die Berichterstattung von Finanztest, für die er selbst als Autor Artikel verfasst. Zwar wird beim Kurzlebenslauf in beiden Studien erwähnt, dass Siepe für die Stiftung Warentest – dem Konkurrenten von TÜV Nord – arbeitet, aber auf eine Autorentätigkeit bei Finanztest wird nicht explizit hingewiesen. Genauso, wie bei der ersten Studie, wird auch diese von Medien aufgegriffen. Das „Manager Magazin“ zitiert in diesem Zusammenhang zum Beispiel Norman Wirth, den Vorstand des Beraterverbandes AfW, für den Siepe im Oktober dieses Jahres erneut eine Studie zum Thema TÜV-Siegel schreibt, mit folgenden Worten: „Das Maß aller Dinge bei der Prospektprüfung ist der IDW S4, der Prüfstandard der Wirtschaftsprüfer also. Der TÜV rückt mit seinen Aktivitäten in Konkurrenz dazu, bleibt inhaltlich aber weit dahinter zurück.“ In diesem Artikel vom 30. September wird allerdings nicht erwähnt, dass das IDW S4-Siegel eine Grundvoraussetzung für eine Überprüfung durch den TÜV Nord ist. Anders ausgedrückt – kein IDW S4, kein TÜV-Nord-Siegel. Ein Rechtsgutachten von Professor Karl Georg Loritz betont beim TÜV-Nord-Siegel sogar folgendes positiv heraus: „Wichtig ist ein Prüfpunkt, der im IDW S4-Gutachten nicht vorkommt. Es wird nämlich untersucht, ob der Konzeptansatz und die Konzeptumsetzung mit dem unternehmerischen Konzept, das insbesondere unter den Punkten 3. bis 5. geprüft wurde, übereinstimmen.“ Das sei insofern von zentraler Bedeutung, da bei manchen geschlossenen Fonds „in der Vergangenheit eine wesentliche Ursache des Scheiterns auch darin lag, dass das unternehmerische Vorhaben schlichtweg mit dem vorhandenen Management und den vorhandenen Strukturen nicht bewältigt werden konnte“, heißt es dort weiter.

Es stellt sich die Frage, warum die Kritik um den TÜV-Nord nicht abreißt. Siepe deutet die Antwort indirekt in seiner AfW-Studie an: „Die Politiker- und Gewerkschaftsseite hat als Antwort auf die Finanzkrise unter anderem einen ,Finanz-TÜV‘ für die Prüfung von Finanzprodukten gefordert. Die einen, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund, wollen die Prüfung bei der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleitungsaufsicht) ansiedeln, die anderen bei den Verbraucherzentralen und/oder Stiftung Warentest.“ Der TÜV-Nord wäre sicherlich auch ein ernstzunehmender Konkurrent in Sachen Finanz-TÜV, er heißt ja quasi so. Dass es um Wettbewerb gehen könnte, geht möglicherweise aus den Angaben eines vom TÜV Nord zertifizierten Emittenten hervor, der aber nicht namentlich genannt werden möchte: Seit dem Auftrag an den TÜV Nord hätten sich bei ihm anonyme Anrufe gehäuft, die ihm von diesem Siegel abgeraten hätten. Sollte das stimmen, stimmt das bedenklich. Skeptisch machen allerdings noch einige widersprüchlich klingende Fakten. In einem Dokument, dass der Redaktion BörseGo vorliegt, schreibt Siepe, dass die DIAS-Studie die allererste Studie sei, die er in seinem Leben gegen Entgelt erstellt habe. Denn in seiner Studie kritisiert Siepe unter anderem auch, dass die TÜV-Nord-Studien gegen Bezahlung verfasst worden seien. In der Studie kritisiert Siepe Fonds unter anderem dafür, dass sie auf die Zinsdifferenz zwischen Anlagenrenditen und Darlehenszins setzen, um die Hebelwirkung zu erzielen, und daher eine sehr hohe Fremdfinanzierung hätten. Siepe hat sicherlich damit Recht, dass eine solche Anlagestrategie sehr komplex ist. Allerdings ist Siepe auch der Autor des Buches „Geld verdienen auf Kredit“. In der Kurzbeschreibung bei Amazon steht über den Inhalt des Buches folgendes: „Mit klugen Finanzstrategien kann man ein Vermögen auf Kredit aufbauen. Doch Vorsicht! Auf die richtige Auswahl kommt es an. Werner Siepe zeigt, wie man mit Krediten die Rendite seiner Eigenmittel erhöht.“

Ob die Kritik an dem TÜV-Nord-Siegel tatsächlich berichtigt ist, müssen die Gerichte entscheiden. Denn wie Branchenkreise berichten, laufen derzeit mehrere Verfahren im Zusammenhang um die Berichterstattung. Unter anderem werden sich die Gerichte auch mit der Richtigkeit des Rechenweges, der angewandt wurde, um die Kosten der kritisierten Fonds zu entschlüsseln, beschäftigen müssen.

Den gesamten Artikel können Sie auch in der aktuellen Ausgabe von „ Mein Geld", die Sie ab heute am Kiosk finden, lesen.

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