Kommentar
15:38 Uhr, 24.04.2009

Vereinigtes Königreich: Rasante Talfahrt geht weiter

1. Zum dritten Male hintereinander wurden die Bankvolkswirte bei der Veröffentlichung der ersten entstehungsseitigen Schätzung für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vereinigten Königreich negativ überrascht. Denn die Talfahrt des BIP verlief im ersten Quartal dieses Jahres noch rasanter als im Schlussquartal 2008. Im ersten Quartal schrumpfte das BIP nämlich um 1,9 % qoq (Bloomberg: -1,5 % qoq / DekaBank: -1,4 % qoq). Das Resultat des Vorjahres wurde um 4,1 % unterschritten. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres war das BIP „nur“ um 1,6 % qoq (-2,0 % yoy) zurückgegangen. Wir wurden insbesondere wegen der kräftigeren Abwärtsbewegung im Dienstleistungsgewerbe, die im Gegensatz zu der moderaten Erholung des entsprechenden Einkaufsmanagerindex stand, auf dem falschen Fuß erwischt.

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2. Im Dienstleistungssektor hat sich die Abwärtsbewegung beschleunigt. Denn die Ausbringung ging im ersten Quartal um 1,2 % qoq (-0,7 yoy) zurück. Im vierten Quartal war ein Rückgang um 0,8 % qoq zu verzeichnen gewesen. Im Bereich Transport und Telekommunikation kam es mit -2,9 % qoq (Q4: -1,0 % qoq) zu einem deutlichen Einbruch der Wirtschaftsleistung. Überdurchschnittlich schlecht schnitten mit -1,8 % qoq (Q4: -0,5 % qoq) auch die Anbieter von unternehmensnahen Dienstleistungen und die Finanzdienstleister ab. Der Staat hielt dagegen und dehnte die Ausbringung um 0,5 % qoq (Q4: -0,3 % qoq) aus.

3. Im produzierenden Gewerbe ohne Bau nahm die Erzeugung um 5,5 % qoq und damit noch schneller als im vierten Quartal 2008 (-4,5 % qoq) ab. Verantwortlich dafür zeichnete die enttäuschende Entwicklung im verarbeitenden Gewerbe. Dort verringerte sich die Ausbringung sogar um 6,2 % qoq (Q4: -4,9 % qoq). In 13 von 14 Teilbereichen ging es abwärts, besonders deutlich im Transportgütergewerbe und bei den Herstellern von Maschinen und Ausrüstungen. Bei den Versorgern insgesamt verlief die Entwicklung im Berichtsquartal durchschnittlich (Strom und Gas abwärts, Wasser aufwärts): Die Erzeugung sank um 1,9 % qoq (Q4: -1,3 % qoq). Im Bergbau einschl. Öl- und Gasgewinnung lief es im ersten Quartal mit -3,4 % qoq ähnlich schlecht wie zuletzt (Q4: -3,2 % qoq).

4. Im Baugewerbe ist die Datenbasis zu diesem frühen Zeitpunkt bekanntlich noch recht dünn. Das Statistikamt geht davon aus, dass dort die Erzeugung im Berichtsquartal mit -2,4 % qoq weniger deutlich als zuvor gesunken ist (Q4: -4,9 % qoq). Das lag an neuen Wohnungsbauten und Infrastrukturmaßnahmen.

5. Die Beschleunigung der Abwärtsentwicklung im Berichtsquartal nicht nur im produzierenden Gewerbe ohne Bau, sondern auch noch im Dienstleistungsgewerbe kam doch überraschend. Immerhin war der Einkaufsmanagerindex für das Dienstleistungsgewerbe zuletzt vier Mal in Folge angestiegen und hatte sich dabei von durchschnittlich 40,9 Punkten in Q4/2008 auf 43,7 Punkte in Q1/2009 verbessert. Die Hoffnung auf einen Ausweg aus der Rezession in diesem Jahr gründet weniger auf freundlicheren Stimmungsindikatoren, sondern auf dem Glauben an die von der Notenbank und dem britischen Staat in die Wege geleiteten Maßnahmen. So hatte die Notenbank den Leitzins auf zuletzt 0,5 % abgesenkt. Auf dem letzten Treffen des Zentralbankrates wurde sich einstimmig für die planmäßige Fortsetzung der quantitativen Lockerung ausgesprochen. Das bedeutet den Erwerb von Wertpapieren im Umfang von 75 Mrd. Pfund bis Mai dieses Jahres. Im Rahmen der durch das Finanzministerium bewilligten Mittel stehen der Bank of England 150 Mrd. Pfund zur quantitativen Lockerung zur Verfügung.

6. Die britische Regierung hatte Mitte dieser Woche das neue Budget vorgestellt. Sie erwartet für 2009 einen Rückgang des BIP um 3½ %. Man kann davon ausgehen, dass dem Schatzkanzler dabei die heute veröffentlichten Daten bekannt waren. Die Regierung setzt mit dieser Prognose also auf eine alsbaldige Erholung in der zweiten Jahreshälfte. Durch Fiskalmaßnahmen wird sie nach eigenen Angaben einen expansiven Impuls setzen, der im Fiskaljahr 2009-10 rund 4 % des BIP ausmacht. Deshalb erwartet sie bereits für das Jahr 2010 ein Wachstum des BIP um 1¼ %. Die Regierung benötigt also eine noch höhere Neuverschuldung als bisher angegeben. Für das (krumme) Fiskaljahr 2008-2009 beziffert sie das Budgetdefizit auf 6,3 % des BIP. Für das Fiskaljahr 2009-2010 (2010-2011) wird ein Fehlbetrag von 12,4 % (11,9 %) erwartet. Ab April 2010 will die Regierung dann Besserverdienende stärker zur Kasse bitten, um zumindest einen (kleinen) Teil des Geldes zurückzuholen. Nun rächt sich, dass die Regierung es in dem Jahrzehnte währenden konjunkturellen Boom versäumt hat zu sparen. So leistete man sich selbst in den Jahren 2003 bis 2007, als das Wachstum bei 2,7 % p.a. lag, durchschnittlich jedes Jahr ein Defizit in Höhe von 3,2 % des BIP. Die Staatsverschuldung wird sich in den kommenden Jahren in Richtung 80 % des BIP beinahe verdoppeln (2006: 42%). Dies engt den Manövrierspielraum für den Staat in den kommenden Jahren spürbar ein.

7. Wir hatten jüngst unsere Prognose für das BIP im laufenden Jahr von -2,7 % auf -3,4 % revidiert. Durch die negative Überraschung von heute werden wir unsere Prognose für 2009 Richtung -4 % nach unten anpassen.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von mehr als 135 Mrd. Euro und über fünf Millionen betreuten Depots gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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