Kommentar
14:59 Uhr, 07.03.2007

Unzerstörbare Yen-Carry-Trades? - Japans Währung explodiert

Die Devisenwelt ist in Angst und Aufruhr: Binnen sechs Handelstagen legte der Yen gegenüber dem US-Dollar in der Spitze um 4,8%, zum Euro um 5,5% und im Vergleich zum Neuseeland-Dollar um 9,2% zu. Ebenfalls unter Abgabedruck standen andere Hochzinswährungen wie der südafrikanische Rand oder die türkische Lira. Aktuell ist die japanische Valuta etwas zurückgekommen, jedoch stellen sich die Anleger vielerorts die Frage: War das bereits der „Big Bang“ oder nur der Anfang vom Ende?

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Carry-Trades: Was verbirgt sich hinter dem Begriff, der frei übersetzt so viel heißt wie „übertragendes Geschäft“? Im Prinzip besteht ein Carry-Trade aus der Kombination eines kurzfristigen Kredits mit einer langfristigen Anlage. Ein Beispiel: Ein japanischer Investor besorgt sich bei seiner Bank ein kurzlaufendes Yen-Darlehen, im Fachjargon auch Übernacht-Kredit genannt, zu einem sehr günstigen Zins von einem Prozent p.a. Das Fremdkapital wechselt er dann in US-Dollar und legt es in langlaufenden US-Staatsanleihen zu fünf Prozent p.a. an. Der Übernacht-Kredit wird dabei jeden Tag zu aktuellen Konditionen erneuert. Wechselkursschwankungen einmal außen vor gelassen, realisiert der Investor bei einem relativ stabilen Zinsniveau damit eine Rendite von vier Prozent p.a. auf Geld, das er gar nicht hat. Lukrativ, oder? Im Grunde genommen betreiben Carry-Trader Zinsarbitrage. Wie so häufig im Leben gibt es jedoch einen Haken an der ganzen Sache: der Wechselkurs. Verliert der US-Dollar an Wert, wird der Zinsvorteil ausradiert. Ein weiteres Problem sind steigende Zinsen. Da der Carry-Trader auf der Anlageseite einen festen Zins bekommt, die Finanzierung sich jedoch variabel gestaltet, sind steigende Zinsen im Land der Fremdkapitalbeschaffung natürlich Gift.

Vor allem die schwächeren Hände haben sich zuletzt von ihren Shortpositionen im Yen getrennt. Allerdings ist der Devisenmarkt aufgrund seiner dezentralen Organisation und der Anonymität vieler Teilnehmer wie Hedgefonds nur schwer einzuschätzen. Mindestens 100 Milliarden USD dürften in Japan zur Finanzierung der Anlagen in hochverzinslichen Staatsanleihen, Aktien oder Rohstoffen aufgenommen worden sein. Hiroshi Watanabe, Japans stellvertretender Finanzminister und Mann am Interventionsknopf, schätzte die Summe der Yen-Carry-Trades auf 200 bis 300 Milliarden USD.

Grund für deren schlagartige Glattstellung war aber nicht, dass die Zinsen in Japan so stark zu steigen drohen – die Bank of Japan (BoJ) erhöhte jüngst den Ausleihesatz auf 0,50% –, dass die Zinsdifferenz an sich das Geschäft nicht mehr lohnend machen würde. Vielmehr steht mit der Yen-Aufwertung und den sich jüngst verdichtenden Anzeichen, dass sich die US-Wirtschaft spürbar abkühlt, die zweite Voraussetzung für einen erfolgreichen Carry-Trade auf dem Spiel: die scheinbar sichere hohe Rendite. Das gilt insbesondere, wenn das geliehene Geld in Aktien oder Rohstoffen investiert wurde.

Die Stimmungslage beim Yen ist zweigeteilt: Diejenigen, die sich über Carry-Trades in der Währung verschuldet haben, bestehen darauf, dass sich die Fundamentaldaten nicht geändert haben. Der Binnenkonsum in Japan lässt weiter zu wünschen übrig und die Inflationsrate ist zuletzt wieder gesunken. Auf der anderen Seite gibt es die Momentum-Anleger, die spekulativ in den Markt gehen, wenn es zu Übertreibungen in die eine oder andere Richtung kommt. Was diese Anlegergruppe zu leisten imstande ist, zeigte die Yen-Rally am 27. Februar – USD/JPY verlor damals über 300 Pips. Vorerst dürfte der Markt nervös im Bezug auf Carry-Trade-News bleiben, eine Panik sehen wir nicht.

Die Saisonalität spricht indes für eine festeren Yen. Am 31. März endet das japanische Fiskaljahr und Unternehmen repatriieren dann verstärkt Vermögen in die Heimat, um die Bilanz zu verschönern. In den vergangenen 30 Jahren hat USD/JPY im Schnitt rund 160 Pips in diesem Monat verloren. Gegenüber dem Pfund fällt die Aufwärtsbewegung noch klarer aus, der Euro schlug sich seit seiner Einführung im Vergleich zum Yen hingegen beachtlich. In Kombination mit einem deutlich gesunkenen Risikoappetit unter den Anlegern weltweit, der vor allem durch die Turbulenzen an den Aktienmärkten infolge des Ausverkaufs an der Börse in Shanghai verursacht wurde, hat sich eine gefährliche Mixtur gebildet, die USD/JPY und andere Crosses implodieren lassen könnte. Dass die Auflösung von Carry-Trades wie von den G7-Staaten gewünscht sanft anstatt schlagartig geschieht, bleibt jedenfalls auch im Hinblick auf negative Effekte auf die Weltwirtschaft zu hoffen.

Dass ein solches Szenario nicht weit hergeholt ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: Anfang der 1990er Jahre herrschte in den USA ein niedriges Zinsniveau. Mit ihrer expansiven Geldpolitik versuchte die US-Notenbank den amerikanischen Banken nach dem Fiasko am US-Immobilienmarkt aus der Klemme zu helfen. Unterdessen kam es in den Tigerstaaten in Südostasien (z.B. Indonesien) zu einem Wirtschaftsboom, verursacht durch eine lockere Geldpolitik. Findige Investoren erkannten, dass die Zinsen in Indonesien deutlich höher waren als in den USA. Katalysatoren waren vor allem die hohe Geldnachfrage inmitten des Aufschwungs und eine galoppierende Inflation. Die Situation führte zu der Idee, einen USD-Kredit zu günstigen Konditionen aufnehmen und in Indonesien der nach Geld lechzenden Wirtschaft teurer zur Verfügung zu stellen. Diese Anlagestrategie fand schnell ihre Anhänger, das Volumen der Carry-Trades wuchs exponentiell. Solange sich an der geldpolischen Lage nichts änderte, strichen die Anleger stattliche Gewinne ein. Das Geschäft war nahezu risikolos. Nur zu einem Anstieg des US-Dollar gegenüber der indonesischen Rupiah durfte es nicht kommen. Mitte 1997 folgte der Crash: Der US-Dollar wertete spürbar auf und Carry-Trades enormen Ausmaßes wurden aufgelöst und ließen den Markt abstürzen.

Zurück ins Hier und Jetzt: Nicht nur eine lahmende US-Konjunktur, auch eine geopolitische Eskalation im Atomstreit zwischen den USA und dem Iran könnten zu einem Anstieg der Risikoaversion führen und eine Carry-Trade-Kaskade in Gang setzen. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren militärischen Konflikt im Nahen Osten gering, doch könnten schon Andeutungen in die falsche Richtung reichen, den Yen nach oben zu treiben. Selbst den Goldpreis zwang es zuletzt in die Knie – mit 633,40 USD je Feinunze wurde ein Sechs-Wochentief erreicht –, da das Edelmetall auch ein Anlageziel der Carry-Trader ist. Dass Gold als Inflationsschutz gilt und tendenziell bei rückläufigem US-Wachstum nachgefragt wird, half bis dato nicht. Denn ein großes Problem bei den Carry-Trades ist das so genannte „Hot Money“, dass genauso schnell wieder zu- wie abfließen kann.

Dass ein Einbruch an der japanischen Börse den Yen in den Abgrund reißen könnte, ist aus aktueller Sicht unwahrscheinlich. Denn die Korrelation zwischen dem Nikkei und der Währung ist nur äußerst gering. Denn einerseits spielen ausländische Anleger an Japans Aktienmarkt nur eine untergeordnete Rolle und andererseits investieren die Japaner kontinuierlich im Ausland (negative Kapitalexporte) – besonders in Zeiten eines steigenden Nikkei. Daher ist der Zusammenhang sogar leicht negativ und deutet auf einen tendenziell festeren Yen bei anhaltend fallenden Notierungen an der Börse hin.

Im Vabanque-Spiel der Yen-Carry-Trades kommt somit den relativen Zinserwartungen eine hohe Bedeutung zu. Eine etwaige Anpassung der US-Zinserwartungen – aktuell preist der Markt zwei Zinssenkungen um jeweils 25 Basispunkte auf 4,75% bis zum Jahresende ein – könnte ausreichen, um USD/JPY und damit auch die anderen JPY-Crosses auf Talfahrt zu schicken. Die Kombination aus einem enttäuschenden US-Wachstum (ISM pendelt derzeit um die kritische 50er-Marke) sowie einer steigenden Risikoaversion dürfte vor dem Hintergrund der immer noch extremen Short-Positionierung der Anleger im Yen selbst in einem Umfeld schwächelnder asiatischer Aktienmärkte ausreichen, um eine deutliche Aufwertung des Yen auszulösen. Daneben existiert die große Unbekannte, die People’s Bank of China (PBoC). Wertet die chinesische Notenbank den Renminbi (Yuan) wie bereits im Juli 2005 in einem Schritt um mögliche 1%-2% auf, sollte der Yen überproportional positiv, denn Chinas wichtigster Handelspartner ist Japan, der Greenback hingegen negativ reagieren. Taktisch gesehen sollten Anleger Longpositionen im Yen so lange bevorzugen, wie die Nervosität am Markt anhält.

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