Kommentar
10:52 Uhr, 22.08.2012

Unterschiedliche Stimmengewichte in der EZB?

  • Die Ruhe an den Finanzmärkten ist trüge­risch. Sie wird spätestens Anfang September vorbei sein.
  • Neue Baustelle in Europa: Die Forderung nach einer Gewichtung der Stimmen im EZB-Rat entsprechend der Wirtschaftskraft der Länder.
  • Das ist ein Irrweg. Es widerspricht sowohl den Prinzipien einer unabhängigen Noten­bank, als auch der Tradition der europä­ischen Einigung.

Die Ruhe an den Finanzmärkten ist gespenstisch. Jeder weiß, dass die Probleme keineswegs gelöst sind. Die Konjunktur kann in eine Rezession umkippen. Die poli­tische Lage im Nahen Osten und auch anderswo kann eskalieren. In der Eurokrise ist es, als wenn zwei Züge aufeinander zufahren. Die Griechen brauchen mehr Geld. Wichtige Partner sind nicht bereit, mehr zu geben. Italiener und Spanier hoffen auf niedrigere Zinsen. Die EZB streitet darüber wie das zu machen ist. Finanzmärk­te und zunehmend auch Politiker bereiten sich auf einen Zusammenbruch des Euros vor.

In einer solchen Situation schaut jeder nach Zeichen, wo sich etwas bewegt. In der Eurokrise wird gerade eine neue Baustelle aufgemacht. Einige fordern eine Verän­derung der Stimmengewichte im Governing Council der Europäischen Zentralbank. In Zukunft solle nicht mehr nach Köpfen abgestimmt werden, sondern nach der Wirtschaftskraft, die hinter den einzelnen Mitgliedern steht. Insbesondere die Vertreter Deutschlands, als der größten Volkswirtschaft der Gemeinschaft, sollten mehr zu sagen haben. Am Besten sollten sie ein Vetorecht bekommen.

Könnte das die Situation verbessern? Positiv: Wenn die Deutschen in den Gremien der EZB nicht mehr befürch­ten müssten überstimmt zu werden, könnten sie viel­leicht kompromissbereiter sein – etwa in Fragen der Fi­nanzierung. Negativ kann man darin aber auch ein neu­es Störfeuer der Gegner des Euros sehen. Die "Hard­liner" wollen die Schuldnerländer in Südeuropa noch mehr in die Defensive drängen.

Auf den ersten Blick erscheint eine Gewichtung der Stimmen nach der Wirtschaftskraft nicht unplausibel.
Es ist in der Tat schwer einzusehen, dass die Zentral­bankchefs von Malta oder Zypern in der europäischen Geldpolitik genau so viel zu sagen haben, wie der Präsi­dent der Deutschen Bundesbank. Luxemburg hat bei Gründung des Euroraums überhaupt nur deshalb eine Zentralbank geschaffen, um im Rat mitreden zu können (in der zuvor bestehenden Währungsunion mit Belgien brauchte es kein eigenes Noteninstitut).

Der Vorteil aus der Sicht der Deutschen ist, dass ihnen das Leben im Governing Council leichter gemacht wird. So unglückliche Rücktritte, wie die des früheren Bundes­bankpräsidenten Weber oder des Direktoriumsmitglieds Stark, würden vermutlich nicht mehr vorkommen.

Im Übrigen gibt es eine Stimmengewichtung entspre­chend der Wirtschaftsleistung schon. So etwas gibt es schon. Und zwar bei Beschlüssen über die Ge­winn­verwendung der EZB. Hier stimmen die Notenbank­präsidenten allein ab (ohne die Direktoriumsmitglieder) und ihre Voten werden entsprechend ihren Kapitalantei­len gewichtet. Man müsste dieses Modell also nur auf die Geldpolitik ausweiten.

Das gleiche Gewicht aller Mitglieder besteht ohnehin nur in der Theorie. In der Praxis hat das Wort der Vertreter der großen Länder natürlich größeres Gewicht. Kleinere Länder müssen schon sehr gute Argumente haben, um die gleiche Aufmerksamkeit zu erzielen. Bei der Beset­zung der Posten im EZB-Direktorium werden die Großen in der Regel bevorzugt "bedient".

So einleuchtend es klingt, die Stimmen im EZB-Rat zu gewichten – es wäre ein großer Fehler. Erstens passt es nicht zu einer Notenbank. Sie ist kein demokratisches Gremium, das unterschiedlichen Mehrheiten einzelner Bevölkerungsgruppen widerspiegeln soll. Hier sitzen vielmehr Experten, deren einzige Aufgabe die Sicherung des Geldwerts und der Stabilität des Finanzsystems ist. Sie sind daher auch unabhängig von der Politik. Bei Pri­orisierung der Geldwertstabilität und der Sicherung des Finanzsystems darf es keine unterschiedlichen Meinun­gen geben, sonst ist die ganze Währungsunion falsch. Streiten kann man allenfalls über den besten Weg dahin. Das ist ganz anders als im Europäischen Rat oder im Europäischen Parlament, deren Mitglieder von der Be­völkerung gewählt sind.

Auch bei der Bundesbank gab es keine unterschiedli­chen Stimmengewichte. Im Federal Open Market Com­mittee der amerikanischen Notenbank hat jedes Mitglied das gleiche Stimmengewicht (das Stimmrecht wechselt nur zwischen den einzelnen Regionen). Allenfalls dem Prä­sidenten wird aus praktischen Gründen ein höheres Stimmengewicht zugestanden.

Zweitens passt eine Stimmengewichtung aber auch nicht zum Geist der europäischen Integration. In der Eu­ropäischen Union kann es keine Vormachtstellung ein­zelner Mitglieder geben. Die Römischen Verträge wur­den 1956 ausgehandelt zwischen drei größeren Staaten (Frankreich, Italien, Deutschland) und drei kleineren (Niederlande, Belgien, Luxemburg). Alle sollten das glei­che Gewicht in den Entscheidungen haben. Vor allem Frankreich könnte nie und nimmer akzeptieren, von den Deutschen in die zweite Reihe gestellt zu werden. Das wäre das Ende der Union. Das Gleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft ist in den 90er Jahren durch die Wie­dervereinigung (Deutschland wurde damit das bevölke­rungsreichste Land) und die harte D-Mark auf den Devi­senmärkten auf eine Probe gestellt worden. Der Euro sollte helfen, dies zu korrigieren, nicht es zusätzlich zu akzentuieren.

Die Europäische Zentralbank war lange Zeit stolz, die einzige wirklich europäische Institution zu sein. Ihr erster Präsident Willem Duisenberg legte – mit Unterstützung der Deutschen – großen Wert darauf, dass jedes Mit­glied der Gremien überzeugter Europäer ist. Namens­schilder mit Hinweis auf die nationale Herkunft gab es nicht. Die Tatsache, dass Länderinteressen in den De­batten inzwischen so viel Gewicht gegeben wird, ist schon Ausdruck der zunehmenden Nationalisierung der Geldpolitik, die eigentlich nicht zu einer Währungsunion passt.

Für den Anleger

Die Diskussion über die Stimmengewichte in der EZB oder gar ein Vetorecht für die Deutschen ist ein Irrweg. Sie wird die Situation nicht verbessern, sondern die Spannungen eher noch vergrößern. Es wäre für den Euro gut, wenn sie bald beendet würde. Die Ruhe auf den Finanzmärkten wird nicht mehr lange anhalten. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird sie spä­testens in den ersten zwei Septemberwochen zu Ende sein.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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