Kommentar
09:30 Uhr, 19.06.2007

Ukraine: Konjunktur zeigt sich trotz Politik-Krise robust

Zwei schwache Trostpflaster bleiben aber immerhin. Zum einen hat die Politik-Posse die Hausse nicht beendet und auch die Konjunktur zeigt sich relativ unbeeindruckt. Die Wirkung der politischen Krise auf die Börse beschreibt am besten Constantine Lisnychyy, Head of Sales bei der Sokrat Investment Group. „Die Politik hatte eher bremsende, aber keine depressive Wirkung auf die Aktienkurse.“. Und bei Foyil Securities ergänzt man zu diesem Thema: „Die Politik in der Ukraine ist nur schwer zu durchschauen. Vermutlich auch deshalb haben es viele Investoren aufgegeben, dieses Land nach westlichen politischen Maßstäben zu beurteilen. Vielmehr konzentriert man sich auf die abnehmende Korrelation zwischen den politischen Ereignissen und der Geschäftsentwicklung der Unternehmen. Deshalb rechnen wir weder mit kräftigen Kursverluste wegen politischer Turbulenzen, noch mit einer Kursrally im Falle einer Lösung. Im letzteren Fall gehen wir eher von einer Rückkehr zu stabilen Zuwachsraten, ausgelöst durch weitere Kapitalzuflüsse aus.“ Und als Beleg für die Richtigkeit dieser Einschätzung sei erwähnt, dass die Kurse an dem Tag, als die Krise ausbrach, zwar um rund sieben Prozent absackten. Das war aber weniger als bei den Turbulenzen, die im März von den Verlusten an der chinesischen Börse auf die Schwellenländer ausgingen und zudem erholte sich der PFTS-Index auch relativ schnell wieder vom politisch bedingten Einbruch (siehe Grafik).

Praktisch gar keine Reaktion zeigt die Konjunktur, wobei es allerdings etwas schwierig ist, herauszufinden, wie sich die Wirtschaft ohne die Belastung durch die Politik geschlagen hätte. Wie die Volkswirte der Unicredit in einer Studie schreiben, verlangsamte sich das BIP-Wachstum im 1. Quartal 2007 nur geringfügig auf 8,0 Prozent gegenüber 8,7 Prozent im 4. Quartal 2006. Und nach vier Monaten stand beim realen BIP ein Plus von 7,9 Prozent zu Buche und bei der Industrieproduktion ein Plus von 12,5 Prozent. Die Einzelhandelsumsätze kletterten in diesem Zeitraum sogar um 25,4 Prozent.

Wirtschaftswachstum dürfte anhalten

Das ist eine solide Ausgangslage, auch wenn auf Grund der höheren Basis im 2. Quartal 2006 das BIP-Wachstum etwas nachlassen könnte (die Regierung kalkuliert offiziell mit einem BIP-Wachstum für 2007 von 6,5 Prozent). Insgesamt gibt man sich bei der Unicredit aber zuversichtlich und rechnet trotz der jüngsten politischen Spannungen mit einem anhaltend kräftigen realen BIP-Wachstum. Etwas helfen sollte dabei auch die Geldpolitik, nachdem die Notenbank unlängst entschieden hat, den Diskontsatz von 8,5 auf 8,0 Prozent zu senken. Und nachdem politisch ein Kompromiss gefunden worden ist, darf man auch gespannt sein, ob die Ratingagentur Standard & Poor´s wieder zurückrudert, die mit Verweis auf die gestiegene politische Instabilität den Ausblick für die Kreditwürdigkeit am 4. April auf negativ gesenkt hatte.

Was die mittelfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der politischen Turbulenzen angehe, so seien diese schwerer vorherzusagen. Unter anderem deshalb, weil innerhalb der politischen Parteien Differenzierungsprozesse stattfinden. So könnte sich innerhalb der Partei der Regionen ein stärker auf Modernisierung bedachter Flügel herausbilden, der einem eher die alten Tage repräsentierenden Flügel gegenüberstünde. Beruhigend ist allerdings, dass man auch bei Unicredit der Ansicht ist, dass keiner dieser Flügel „pro-russisch“ in dem Sinne wäre, dass er versuchen würde, das Land zu spalten und Teile mit Russland zu vereinigen.

Damit sich die wirtschaftlichen Perspektiven tatsächlich nicht eintrüben, ist es laut Unicredit wichtig, weitere Verzögerung bei den Reformen zu verhindern. Dazu gezählt werden die Aufhebung des Moratoriums für Grundstücks-Verkäufe, die Einführung eines neuen Körperschaftsgesetzes oder der angestrebte WTO-Beitritt. Ein besonders wichtiges Problem stellt dabei das Thema Privatisierungen dar. Hier gab es zuletzt immer wieder Verzögerungen und diese trugen auch dazu bei, dass die ausländischen Direktinvestitionen in diesem Jahr bisher hinter den Vorjahreswerten zurückgeblieben sind. Als eine der Hauptschuldigen für diese Entwicklung wird die Chefin des State Property Fund, Valentina Semenyuk von den Sozialisten, ausgemacht. Nicht wenig wünschen sich deshalb, dass wenigstens sie nach den Wahlen abgelöst wird und ein frischer Wind bei den Privatisierungen Einzug hält.

Problembereiche Privatisierung, Gaspreis und Abhängigkeit von den Metallpreisen

Sollten Privatisierungsfortschritte ausbleiben, wäre das sicherlich eine Bürde für die Wirtschaft des Landes. Das gilt auch für den Fall, dass die Russen die Gaspreise weiter erhöhen sollte. Denn schon jetzt tragen die Gasimporte rund 20 Prozent zu den ukrainischen Gesamtimporten bei. Im ersten Quartal ist der Posten der Gasimporte um 52 Prozent gestiegen, wobei 37 Prozent davon auf höhere Preise zurückzuführen waren. Und eine echte Belastung wäre es auch, wenn plötzlich die Metallpreise nachhaltig fallen sollten. Machte der Export von Metallen und Metallprodukten doch zuletzt 46 Prozent der gesamten ukrainischen Exporte aus. Nicht so gut liest sich auch, dass die Ukraine in Sachen Wettbewerbsfähigkeit zuletzt von Platz 68 auf 78 zurückgefallen ist.

Beachtet werden muss als etwas kritischer Faktor auch die Inflation. Diese betrug im Mai 10,6 Prozent, was relativ hoch ist und auch auf Zweitrundeneffekte zurückzuführen sein dürfte, die sich aus der Erhöhung der regulierten Preise für Wohnen und Energie ergeben. Im Jahresdurchschnitt dürfte der sich die Teuerung aber im einstelligen Prozentbereich bewegen. Die von der Regierung vorhergesagte Inflationsrate von 7,5 Prozent erscheint dabei etwas optimistisch formuliert zu sein. Die 8,3 Prozent, die derzeit vom Broker Millennium Capital prognostiziert werden, klingen da schon realistischer.

Herzlichst Ihr Jürgen Büttner

Chefredakteur Ostbörsen-Report, www.ostboersen-report.de

Der Ostbörsen-Report ist eine Online-Publikation der BörseGo GmbH und kann unter obiger Web-Adresse durch Eintragung Ihrer E-Mail-Adresse abonniert werden.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

Mehr über Jochen Stanzl
Mehr Experten