Kommentar
17:39 Uhr, 28.03.2003

UI - Kommentar Biotech/Pharma

Die vergangenen Monate bescherten den internationalen Aktienbörsen wieder einmal kräftige Kursrückgänge, wobei besonders die anhaltende weltweite Konjunkturschwäche sowie die Unsicherheit über den Fortgang des Irak-Konflikts auf die Stimmung drückten. Erst seit dem 13. März, als sich schließlich eine konkrete Entscheidung der USA zum Waffengang im Irak abzeichnete, wich die Unsicherheit der Anleger. Daraufhin setzten die internationalen Börsen zu einer deutlichen Erholung an, die auch nach Kriegsbeginn am 19. März weiter anhielt, als die Alliierten zunächst rasche Erfolge im Irak vermelden konnten. Doch inzwischen ist die Hoffnung auf ein allzu schnelles Ende des Krieges der Einsicht gewichen, dass sich die Kämpfe über mehrere Monate hinziehen könnten, da die irakische Armee unerwartet heftigen Widerstand leistet. Folglich gaben die Aktienmärkte zu Beginn dieser Woche wieder etwas nach. Auch in den kommenden Tagen dürfte die weitere Börsenentwicklung hauptsächlich vom Verlauf des Irak-Krieges abhängen, sodass fundamentale Daten von Seiten der Unternehmen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Dies gilt auch für die Titel der Biotech- und Pharmabranche, die sich jüngst im Gleichklang mit dem breiten Markt bewegten. In den letzten Wochen ging die Berichtsperiode zum 4. Quartal 2002 zu Ende, wobei die Ergebnisse der meisten Unternehmen aus der Biotech- und Pharmabranche gar nicht so schlecht ausfielen. Im Pharmasektor konnten beispielsweise GlaxoSmithKline und Novartis den Gewinn im abgelaufenen Geschäftsjahr um 8 bzw. 4 Prozent steigern. Dennoch strafte der Markt die Branche ab, nicht zuletzt aufgrund des unklaren Ausblicks auf den künftigen Geschäftsverlauf. Der Schweizer Pharmakonzern Roche veröffentlichte ebenfalls den Jahresabschluss für 2002, in welchem überraschend ein ,,Impairment charge" von 5,2 Mrd. Schweizer Franken vorgenommen wurde. Hierbei handelt es sich um Wertberichtigungen bei Schweizer Standardaktien, deren Wert aufgrund der langjährigen Baisse inzwischen deutlich gefallen ist. Roche erzielte in der Vergangenheit einen deutlichen Ergebnisanteil aus Kapitalanlagen, die rund 20 Mrd. Franken betrugen. Obwohl die Abschreibungen in dieser Höhe eine Überraschung darstellten, wurden sie vom Markt positiv aufgenommen, da hierdurch die Lasten der Vergangenheit auf einen Schlag bereinigt wurden. Nun kann sich Roche wieder auf das operative Geschäft konzentrieren, bei dem in nächster Zeit zwei erfolgversprechende Produktlancierungen auf der Agenda stehen. Pegasys, ein Medikament gegen Hepatitis C, hat gute Chancen, sich in den nächsten Jahren zu einem so genannten ,,Blockbuster" - Medikament zu entwickeln. In einigen Jahren soll der Umsatz von Pegasys bei mehr als einer Milliarde Schweizer Franken liegen. Ein weiterer Hoffnungsträger ist das HIV-Medikament Fuzeon. Für 2003 ist Roche optimistisch, ein zweistelliges Umsatzplus in Landeswährungen in den beiden Sparten Pharma und Diagnostics sowie eine Gewinnsteigerung erreichen zu können.

Die Branche wurde in den vergangenen Wochen vor allem von dem neu aufgeflammten Rechtsstreit um Lipobay in Atem gehalten. Dieses von Bayer entwickelte Medikament zur Senkung der Blutfettwerte hat in den letzten Jahren bei mehreren Patienten eine Muskelkrankheit ausgelöst. Darüber hinaus sind vermutlich weltweit rund hundert Todesfälle zu beklagen. Deshalb haben in den USA, wo das Mittel unter dem Namen Baycol verkauft wurde, inzwischen gut 8.400 Personen Klage gegen den deutschen Pharmakonzern eingereicht. Hiervon haben zwar nur wenige tatsächlich gesundheitliche Schäden durch Baycol erlitten, jedoch sind viele auf den Zug aufgesprungen, da in den USA bei solchen Klagen oft hohe Schadensersatzzahlungen erzielt werden können. So haben Anwälte der Kläger argumentiert, dass Bayer schon lange von den schädlichen Nebenwirkungen des Wirkstoffs wusste, bevor man die Behörden unterrichtete und das Mittel vom Markt nahm. Überraschend wurde Bayer am 18. März bei dem ersten wichtigen Lipobay-Prozess in den USA von einer Jury freigesprochen, worauf der Aktienkurs sofort um 40 Prozent anzog. Im Vorfeld der gerichtlichen Entscheidung hatte die Bayer-Aktie allerdings seit Jahresbeginn gut 50 Prozent an Wert verloren. Bisher konnte sich das Unternehmen außerdem mit rund 500 ehemaligen Patienten außergerichtlich einigen, wofür rund 140 Mio. Dollar entrichtet wurden. Das Unternehmen rechnet demnächst mit zahlreichen weiteren Einigungen dieser Art. Trotz des jüngsten Freispruchs ist das Baycol-Desaster aber noch nicht ausgestanden. Im April wird es wahrscheinlich bereits zur nächsten Einzelklage kommen. Im US-Staat Minnesota wird zudem bald über die Zulassung einer Sammelklage entschieden. Ausschlaggebend für Bayer wird sein, ob es doch noch zu einer Sammelklage kommt, die wahrscheinlich zu weit höheren Strafzahlungen führen dürfte als bei einzelnen außergerichtlichen Vergleichen. In den Medien wurden in Zusammenhang mit der Baycol-Affäre bereits Beträge von bis zu 10 Mrd. US-Dollar genannt, die Bayer im schlimmsten Fall zahlen müsste. Die Vorfälle bei Bayer verdeutlichen einmal mehr, welchen Risiken die gesamte Pharmaindustrie ausgesetzt ist. So musste in der Vergangenheit Wyeth, vormals American Home Products, mehr als 10 Mrd. Dollar Strafe zahlen, weil das von ihr entwickelte Diätmittel Herzklappenfehler ausgelöst hatte. Ebenso ging die ehemalige Sulzer Medica beinahe bankrott, als fehlerhafte Hüftimplantate zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führten. In solchen Fällen decken die Versicherungen oft nur Teilbeträge der Schadenssummen ab. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Fall Lipobay gegenwärtig wie ein Damoklesschwert über der Bayer-Aktie hängt, wenn auch der Freispruch der vergangenen Woche vermuten lässt, dass die schlimmsten Befürchtungen über die Höhe der Schadenersatzzahlungen nicht eintreffen sollten.

Ein weiteres Thema, das die Pharmabranche derzeit belastet, ist die negative Entwicklung ihrer Produktionskosten. In den vergangenen Jahren konnten die Unternehmen ihre Bruttomargen kontinuierlich verbessern, doch seit einiger Zeit sind die Aufwendungen wieder spürbar gestiegen. Beispielsweise haben kürzlich Eli Lilly und Wyeth angekündigt, dass ihre Produktionskosten im laufenden Jahr steigen werden. So müssten mehr Investitionen in Ausrüstung und Arbeitskräfte getätigt werden, um die strengen Auflagen der US-Arzneimittelbehörde FDA bezüglich der Qualitätskontrolle erfüllen zu können. Ansonsten bestünde die Gefahr, Produktionskapazitäten stilllegen zu müssen.

Bei ausgewählten Titeln bestehen weiterhin Kurschancen:

Nach unserer Ansicht bietet die Pharma- und Biotech-Branche langfristig ein überdurchschnittliches Kurs-potenzial. Hierfür sprechen mehrere Gründe: So dürfte die in den westlichen Industriestaaten fortschreitende Alterung der Gesellschaft zu einer zunehmenden Nachfrage nach Medikamenten und gesundheitsfördernden Produkten führen. Die Pharma- und Biotech-Industrie verfügt obendrein über ein hohes Innovationspotenzial. Gegenwärtig befinden sich zahlreiche neue Medikamente in der Pipeline. Angesichts der starken Kursrückgänge der vergangenen Monate sind Pharma- und Biotech-Aktien inzwischen auch wieder günstig bewertet. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für den gesamten Healthcare-Sektor ist die Innovationskraft der Unternehmen, die vor allem von deren Forschungsanstrengungen abhängt. Eine Kenngröße, die viel über das Zukunftspotenzial einer Firma aussagt, ist der Prozentsatz, den die Forschungsausgaben am Umsatz ausmachen. Diese Quote liegt im Branchendurchschnitt bei 15 bis 17 Prozent. Je höher sie liegt, um so stärker wird zwar der Gewinn in der Gegenwart belastet, aber desto höher sollte er in Zukunft ausfallen. Durch die geschickte Steuerung dieses Aufwandspostens können die Unternehmen ihre Ergebnisse auf kurze Frist manipulieren. Beispielsweise liegt der Forschungsetat von Merck bei rund 12 Prozent, während er bei Eli Lilly 19,5 Prozent beträgt. Um die tatsächliche Profitabilität zwischen den Unternehmen vergleichen zu können, bereinigt das Portfoliomanagement die Gewinne um diese Aufwandsposition. Wir bevorzugen eindeutig Gesellschaften mit einem hohen Forschungsanteil, da diese i.d.R. ein hohes Zukunftspotenzial besitzen.

Anlagestrategie und Dispositionen:

In den vergangenen Wochen wurden im Portfolio des UniSector: BioPharma nur wenige Transaktionen vorgenommen. Aufgrund hoher Bewertungen haben wir uns von Anteilen an Novartis und Johnson & Johnson getrennt. In letzter Zeit wurde vor allem der Bestand in Schering weiter ausgebaut. Jüngst veröffentlichte der Berliner Pharmakonzern seine Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr 2002, welche die Erwartungen des Marktes übertreffen konnten. Gegenüber dem Vorjahr steigerte das Unternehmen sein Betriebsergebnis um 11 Prozent auf 741 Millionen Euro. Der Anstieg ist vor allem auf das starke Wachstum bei hochmargigen Produkten wie Yasmin und Mirena sowie auf Effizienzverbesserungen zurückzuführen. Darüber hinaus bestätigte Schering seinen Ausblick für das laufende Jahr 2003 und prognostizierte sowohl für den Umsatz in Landeswährung als auch für den Konzerngewinn ein Wachstum im hohen einstelligen Bereich. Besonders im Hinblick auf die Hauptumsatzträger, wie etwa Betaferon und Yasmin, dürfte sich unseres Erachtens der positive Trend fortsetzen. Zugleich verkündete das Unternehmen die Fortführung des laufenden Aktienrückkaufprogramms mit dem Erwerb weiterer 2,5 Millionen Aktien. Derzeit weist die Schering-Aktie mit einem KGV von 14 eine historisch günstige Bewertung auf.

Quelle: Union Investment

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen