Kommentar
12:18 Uhr, 24.02.2017

Trotz aller Risiken: Deutsche Aktien gewinnen an fundamentaler Stärke

Neben der anhaltenden Liquiditätshausse sprechen zunehmend auch die fundamentalen Argumente für Aktien. Tatsächlich hellt sich die konjunkturelle und unternehmensspezifische Stimmung auf. Die von den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich ausgehenden politischen Risiken treten dabei zunehmend in den Hintergrund, auch wenn bis zu einem erwarteten Wahlsieg Euro-freundlicher Parteien Rückschlaggefahren an den Aktienmärkten nicht auszuschließen sind. Selbst die Verbalerotik der Fed irritiert die Finanzmärkte wenig. Bis zu einem klareren Bild über die tatsächliche Wirtschafts- und Finanzpolitik der neuen US-Regierung wird die Fed unnötige geldpolitische Restriktionen wohl bis Juni vermeiden.

Der ifo Geschäftsklimaindex hat seine vormonatliche Schwäche im Februar ausgeglichen, sein Aufwärtstrend bleibt ungebrochen. So signalisieren die befragten Unternehmen die beste Geschäftslage seit April 2011. Auch gemäß Geschäftserwartungen blicken sie zuversichtlicher auf die nächsten sechs Monate. Setzt man Lage und Erwartungen zueinander in Beziehung, etabliert sich die deutsche Industrie weiter in der konjunkturellen Zyklusphase „Boom“. Nach einem soliden Jahresendquartal 2016 - die deutsche Wirtschaft ist um 1,7 Prozent zum Vorjahr gewachsen - erwartet selbst die Deutsche Bundesbank eine Fortsetzung des Aufschwungs auf breiter Front.


Ist der MDAX der bessere DAX?

Die deutsche Industrie profitiert von einer über die Trumponomics wiedererstarkende US-Wirtschaft, einer sich zumindest stabilisierenden Konjunktur in Asien und nicht zuletzt einem wieder schwächeren, exportfreundlichen Euro. Interessanterweise sind die Befürchtungen über amerikanischen Handelsprotektionismus und Importzölle bei deutschen Unternehmen deutlich geringer ausgeprägt als in der Politik und in den Medien. Geschäftsleute – hier der Baulöwe Trump, dort die deutsche Exportindustrie – kommunizieren unter sich wohl auf einer anderen, stabileren Ebene.

Nicht zuletzt profitieren mittelständische Unternehmen aus dem MDAX. Sie erwirtschaften so wie die DAX-Konzerne den Großteil ihrer Umsätze im Ausland, sind jedoch mit ihren Qualitätsprodukten und Patenten in industriellen und technologischen Nischenmärkten oftmals alleinige Weltmarktführer. Das macht sie krisenresistenter und unabhängiger von der politischen Großwetterlage. Damit sind sie nicht zuletzt attraktiv für Übernahmen, die mit Blick auf das zinsgünstige Umfeld und hohe Aktienkurse als Übernahmewährung auf gute Rahmenbedingungen treffen. Vor diesem Hintergrund dürfte sich die seit Dezember 2016 zu beobachtende, relative Stärke von Titeln des MDAX zum DAX im Trend weiter fortsetzen.

GRAFIK DER WOCHE

ifo Geschäftserwartungen und Wertentwicklung MDAX zum DAX

In der Eurozone fehlt das nachhaltige Wirtschaftspotenzial

Zudem begünstigt die ultralockere Zinspolitik der EZB über schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme die Wirtschaftsstabilisierung in den Euro-Ländern. Man hofft vor allem auf staatliche Infrastrukturinvestitionen. Tatsächlich befinden sich die auf einer direkten Befragung von ca. 5.000 Unternehmen in der Eurozone basierenden Einkaufsmanagerindices sowohl für das Verarbeitende Gewerbe als auch den Dienstleistungssektor der Eurozone mit 55,5 bzw. 55,6 auf dem jeweils höchsten Stand seit Frühjahr 2011. Davon profitiert auch der Aktienmarkt in der Eurozone. Allerdings zeigt sich der historische Gleichlauf von positiven Stimmungsindikatoren und steigenden Aktien mit Blick auf die politischen Risiken seit Anfang 2016 - insbesondere in Frankreich - bislang verhaltener.

Grundsätzlich leidet die Wirtschaft in der Eurozone unter Reformmüdigkeit mit der Folge begrenzter Renditeaussichten für Unternehmensinvestitionen. Erschwerend verfügen die Banken u.a. in Italien und Spanien noch über umfangreiche Kredit-Altlasten, für die sie kostbares Eigenkapital vorhalten müssen, das auch wegen der Bankenregulierung ein rares Gut geworden ist. Trotz üppiger Geldversorgung durch die EZB verhindern beide Nachteile eine konjunkturell dringend gebotene, umfangreiche Kreditvergabe.

Vor diesem Hintergrund wird die EZB Forderungen nach einem Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik zurückweisen und ihre Liquiditätshausse – auch zum Nutzen der Aktien - weiter fortsetzen.

Marktstimmung - Nicht bange machen lassen

Die Griechenland-Frage hat keine Bedeutung mehr für die Finanzmärkte. Auf das Alibi neuer Reformzusagen - Renten, Arbeitsmarkt, Einkommensteuer - werden weitere Finanzhilfen der Gläubiger folgen. Über die auch zukünftig ausbleibenden Fortschritte der Reformen schaut man großzügig hinweg und wird ab 2018 sogar über Schuldenerleichterungen sprechen. Damit bleibt bei der Griechenland-Rettung auch der IWF an Bord, auch wenn dessen Beteiligung mit mutmaßlich fünf statt der zunächst geplanten 16 Mrd. Euro – es ist eine Verlustvermeidungsstrategie – gering ausfallen wird. Grundsätzlich genießt die politische Griechenland-Lösung, die die Wiederholung einer Euro-zerfressenden Schuldendebatte wie 2015 verhindert soll, Priorität vor einer finanzpolitisch sauberen Krisenbewältigung, d.h. dem Austritt aus der Eurozone und einem umfangreichen Schuldenschnitt. Euro-Politiker wissen, dass ein heutiger Grexit das Signal für weitere Euro-Austritte morgen sein würde. Er wäre Euro-systemgefährdend. In diesem Zusammenhang ist ebenso ein beherztes Eingreifen der EZB in den griechischen Anleihemarkt ab 2018 zu erwarten.

Auch die US-Geldpolitik hat nicht das Zeug für deutliche Finanzmarkt-Irritationen. Laut Protokoll der letzten US-Notenbanksitzung befindet sich die US-Wirtschaft zwar auf einem guten Weg, so dass bei anhaltendem Erholungstrend eine nächste Zinserhöhung „ziemlich bald“ angebracht sei. Diese offensive Zinsrhetorik der Fed darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie - ähnlich wie im vergangen Jahr - auch 2017 immer wieder Gründe für eine Hinauszögerung von Zinserhöhungen finden wird, wenn sie dies für nötig hält. Heutzutage besteht Zinspolitik auch im Spiel ohne Ball.

Denn Unsicherheitsfaktoren gibt es für die Fed genug: Im Vordergrund steht die Ungewissheit über Größe, Zeitpunkt und Zusammensetzung der von US-Präsident Trump geplanten Konjunkturmaßnahen und deren Effekt auf den ohnehin bereits starken US-Dollar als einer Schlüsselgröße der Fed-Zinspolitik. Die Fed wird bei verbesserten US-Investitionsperspektiven eine Kapitalrückführung aus den Schwellenländern sowie steuersenkungsbedingt von US-Unternehmen vor allem aus Europa und eine sich noch verstärkende Dollar-Aufwertung nicht unkontrolliert befeuern wollen. Eine sich im Grundsatz stärker an Konjunkturfragen orientierende Fed will die US-Exportindustrie nicht unnötig belasten. Bei der aktuellen Inflationsbeschleunigung kann die Fed zudem auf nachlassende Preiseffekte aufgrund auslaufender Rohstoffpreisverteuerungen verweisen. Insofern wird die Fed ihre Zinswende erst ab Juni fortsetzen. Eingepreist ist die zahme Zinserhöhungspolitik von Frau Yellen ohnehin. Auch am Devisenmarkt scheint sich diese Einschätzung widerzuspiegeln. So zeigt der US-Dollar seit Jahresbeginn gegenüber den meisten Währungen eine Abschwächung.


Aktientechnisch kommt die Entspannung in der US-Leitzinsdebatte in einer abnehmenden Anzahl leerverkaufter Aktien (sog. Short Interest) an der New York Stock Exchange zum Ausdruck. Diese hat sich auf den niedrigsten Stand seit gut einem Jahr zurückgebildet.



In Frankreich verlieren die politischen Risiken zwischenzeitlich an Drohpotenzial, nachdem der Zentrumspolitiker Francois Bayrou und der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron sich
auf eine Allianz geeinigt haben, um einen Wahlsieg des Front National zu verhindern.

Zunächst bleiben die Unsicherheitsfaktoren zwar Handicaps, die zu volatileren Aktienmärkten führen können. Hohen Kursschwankungen angesichts der im historischen Vergleich vielfältigen Krisenfaktoren wirkt die üppige internationale Geldpolitik als Beruhigungsmittel jedoch kräftig entgegen. Gemessen am aktuellen Volatilitätsniveau wäre gemäß VDAX-Volatilitätsindex für die nächsten 30 Handelstage mit einer Schwankungsbreite im DAX zwischen etwa 11.401 und 12.451 Punkten zu rechnen. Das klingt nicht nach Panik oder Crash.

Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Das Ringen um die 12.000 Punkte im DAX

Aus charttechnischer Sicht ist im DAX der übergeordnete Aufwärtstrend intakt. Der Index stößt bei 12.016 Punkten auf einen ersten Widerstand. Darüber folgen weitere Barrieren bei 12.031 und schließlich am Allzeithoch bei 12.391. Auf der Unterseite gibt die Marke bei 11.920 Punkten erste Unterstützung. Weitere Haltelinien liegen darunter bei 11.821 und schließlich bei 11.775.

Kann der Euro Stoxx 50 den wichtigen Widerstand bei 3.345 Punkten nachhaltig hinter sich lassen, liegt die nächste Hürde bei 3.395, bevor der Index Kurs auf die Marke bei 3.492 nimmt. Im Falle einer kurzfristigen Konsolidierung liegt die erste Unterstützung bei 3.129 Punkten. Darunter liegen weitere Haltelinien bei 3.090 und 2.957.


Der Wochenausblick für die KW 9 - Die konjunkturellen Aufwärtssignale nehmen zu

In China deuten sowohl die offiziellen Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende und Dienstleistungsgewerbe als auch das vom Finanznachrichtendienst Caixin veröffentlichte Pendant auf eine stabile konjunkturelle Seitenlage hin.

In den USA klopfen die Anleger mit hoher Erwartungshaltung die Rede von US-Präsident Trump vor dem Kongress auf geplante Konjunkturmaßnahmen ab. Die Fed betont in ihrem Konjunkturbericht (Beige Book) die zunehmend robuste Wirtschaftssituation. Das unterstreichen auch Auftragseingänge langlebiger Güter, die ihren vormonatlichen Rückgang mehr als kompensieren können, und die ISM Indices für das Verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor.

In der Eurozone wird der auch im Februar vor allem rohstoffseitig zunehmende Inflationsdruck von der EZB weiterhin konsequent ignoriert. In Deutschland deuten wieder stärkere Einzelhandelsumsätze im Januar auf eine anhaltend stabile Binnenkonjunktur hin.

HALVERS WOCHE

Übernahmephantasie in der Konsumbranche - Wer nicht zeitig frisst, wird mit der Zeit gefressen

US-Lebensmittelriese Kraft Heinz hat sein Übernahmeangebot für den britisch-niederländischen Konsumgütergiganten Unilever wieder zurückgezogen. Es ist schwer zu sagen, ob der Deal damit endgültig geplatzt ist. Aber vielleicht hat Kraft ja einen Plan B. Wenn die Antilope dem Löwen entkommen ist, klappt es eben beim Gnu oder beim Büffel.


In der Konsumwelt wurden schlafende Hunde geweckt

Ich glaube nämlich, dass trotz des gescheiterten Übernahmeversuchs die Jagdsaison in der Konsumbranche eröffnet ist. Man hat Blut geleckt. Die Meute wittert fette Beute. Denn die Konsumunternehmen sind hoch attraktiv. Sie sind unverzichtbare Versorger, sie befriedigen menschliche Grundbedürfnisse. Jeder von uns muss essen und trinken, sich kleiden. Und bei der Erfüllung dieser Bedürfnisse greifen Konsumenten weltweit immer mehr bei Markenprodukten zu. Bei diesem Durchmarsch der Marken leistet auch die Fernseh-, Online- und Printwerbung knallharte Überzeugungsarbeit. Alle Welt glaubt doch mittlerweile, dass Premium-Tütensuppen besser als No Name-Ware schmecken. Und nur Markenwaschmittel - das wusste damals schon Klementine - entfernen eben auch den hartnäckigsten Schmutz. Vergessen wir bitte auch nicht den Demonstrationseffekt, der sich mit Markenprodukten erzielen lässt. Oder servieren Sie Ihrem Besuch etwa noch Kranenwasser statt Pellegrino oder Gerolsteiner? Passen Sie auf, die Gäste könnten nie mehr wiederkommen. Und wer sich traut, mit 08/15-Turnschuhen statt denen mit Nike Swoosh oder drei Streifen zu laufen, der joggt allein. Ohne Marken ist man heute in seiner Wohngegend ähnlich geächtet wie Robin Hood, der gezwungen war, sich im Nottingham Forest zu verstecken. Nicht umsonst haben sich selbst Aldi, Lidl und Co. diese teuren Produkte in die Regale geholt.

„Am Rande“ sollte erwähnt werden, dass die Margen von Markenprodukten deutlich höher als die von Billigheimern sind. Insgesamt ist das Interesse von Konsumgüterherstellern an Markenprodukten also mehr als verständlich.

Der Übernahmehunger unter den Konsumversorgern hat viele Gründe

Ein Gut als hochwertig zu stilisieren, kostet jedoch viel Zeit und Geld. Nicht umsonst fallen Marketingbudgets so enorm hoch aus.

Liegt da nicht der Schluss für viele Markenunternehmen nahe, sich andere Markenfirmen ohne eigenen Aufwand unter den Nagel zu reißen? Zunächst geht es darum, die eigene Produktpalette zu erweitern: Wer smarte Butterkekse liebt, ist vermutlich auch ein Freund von Schokolade. Ein wichtiges Übernahmeargument dabei ist ebenso die Produktergänzung: Wer Keksriegel mag, will die Kariesgefahr vielleicht auch mit Qualitäts-Zahnpasta bekämpfen. Und natürlich muss man als Markenproduzent geographisch breit aufgestellt sein. Die Produkte müssen zu Welthits werden. Grundsätzlich haben die Konkurrenz auffressenden Markenkonzerne ihre Kosten besser im Griff: Wer mehr produziert und weltweit verkauft, hat Größenvorteile und nutzt seine Vertriebswege effizienter.

Und dann gibt es da noch das Verdrängungsargument. Wenn Firma A Firma B auffrisst, hat man lästige Produktkonkurrenz vernichtet, die einen selbst nicht mehr jagen, aber auch im eigenen Jagdgebiet nicht wildern kann. Natürlich braucht es Zeit, bis das übernommene Unternehmen integriert ist. Doch mit Blick auf die eigene Markenstärke und Margenverbreiterung werden vorübergehende Verdauungsprobleme gerne akzeptiert.

Die aktuelle Finanzrealität ist der Turbo der Übernahmephantasie

Auch das aktuelle finanzwirtschaftliche Paradies begünstigt Fressattacken im Konsumsektor. Geld ist von den Notenbanken zu Schnäppchenzinsen und üppig zu haben.

Auch die hohen Aktienkurse dienen als Übernahmewährung. Ohnehin sind Konsumunternehmen typischerweise reich an Cash. Ihre Bilanzen sind durch Liquidität aufgequollen wie in Wasser eingelegte Dicke Bohnen. Die Unternehmensleitungen wissen gar nicht mehr, wohin mit dem Geld. Und dabei gewähren sie Aktionären schon üppige Dividenden und Aktienrückkaufprogramme. Also, wenn nicht jetzt, wann dann sollte man Konkurrenten schlucken?

Seid hungrig, ansonsten endet ihr als Futter für andere!

Apropos Verbrauchermärkte, es macht viel Sinn, nicht nur Markenunternehmen, sondern auch Handelsketten zu übernehmen. So kann man noch mehr eigene Markennamen in eigenen Handelsregalen seinen hungrigen Kunden aufdrängen.

Also aufgepasst ihr Produzenten von Keksriegeln, Limonaden, Bieren, Parfüms, Zahnpasta und Sportartikeln! Man hat euch zum Fressen gern. Und wenn der erste anfängt, seinen Hunger zu stillen, ist der Fressneid in der Konsumbranche nicht mehr aufzuhalten.

Diese Fresswellen sind für die Aktienmärkte sehr bekömmlich. Wenn die üppige Geldversorgung das Salz in der Börsensuppe ist, dann sind Übernahmen die Wurst, der Käse und die Marmelade auf dem Börsen-Butterbrot.

Liebe Anlegerinnen und Anleger, guten Appetit!

VOLKSWIRTSCHAFTLICHE PROGNOSEN AUF EINEN BLICK

KAPITALMARKT AUF EINEN BLICK

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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