Kommentar
23:00 Uhr, 20.04.2009

Triple-Dip am Bärenmarkt? - Wir erleben zurzeit die tiefste Baisse seit der Großen Depression.

Auch während einer Baisse kann es zu regelmäßigen Bärenmarkt-Rallys kommen. Der gegenwärtige Bärenmarkt erreichte im März einen zweiten Tiefpunkt, gefolgt von einer kräftigen Kurskorrektur. Auch ein dritter Tiefstand ist durchaus im Bereich des Möglichen und könnte den Beginn eines neuen Bullenmarktes markieren.

Wir erleben zurzeit die tiefste Baisse seit der Großen Depression. Anfang März fiel der maßgebliche S&P 500 auf ein Tagestief von 666 Punkten. Es ist sicher kein Zufall, dass dieser Tiefstand in den Trendkanal 650 bis 680 fiel, eine wichtige technische Unterstützungsmarke. Diese Unterstützungslinie dürfte sich in diesem Zyklus als tragfähig erweisen – es sei denn, die Weltwirtschaft tritt in ein Szenario ein, das der Situation Japans in den neunziger Jahren entspricht. Das wäre sicherlich die ungünstigste Konstellation; die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts liegt bei 25 Prozent. Sofern diese Unterstützungslinie nicht hält, könnten die Märkte um weitere 20 bis 30 Prozent purzeln. Ein solcher Kursrutsch entspräche weltweiten Ertragsrückgängen von 60 bis 70 Prozent (vom Höchst- bis zum Tiefststand), ein zwar unwahrscheinliches, aber nicht auszuschließendes Szenario.

Auch wenn wir die Talsohle bald erreicht haben dürften, befinden wir uns immer noch in einem Bärenmarkt. Ein Überblick über den Verlauf vergangener Bärenmärkte soll Aufschluss über den Status quo der gegenwärtigen Baisse geben.

Phase 1: Dramatischer Kurssturz

Zu Beginn fast aller Bärenmärkte kommt es zu einem panikartigen Kurssturz, gefolgt von einer Phase, in der der Markt in einer breiten Trading-Range notiert. Bärenmarkt-Rallys wechseln sich mit erneuten Schwächephasen ab. Im derzeitigen Bärenmarkt fand dieser Kursrutsch im November 2008 statt. Sowohl die Volatilität als auch die Zahl immer neuer Tiefstände erreichten das höchste Niveau seit zwanzig Jahren.

Obwohl der S&P 500 Anfang März auf einen noch tieferen Stand fiel, waren die Begleitumstände weniger problematisch: Volatilität und andere „Panikindikatoren“ waren weniger extrem als im November 2008.

Phase 2: Verschnaufpause / Seitwärtsbewegung ohne nennenswerte Kursveränderung

Dieser Bärenmarkt trat Ende 2008 in seine zweite Phase ein, die einige wenige Monate oder sogar mehrere Jahre dauern kann. In dieser Phase kommt es in der Regel zu Bärenmarkt-Rallys: zwischenzeitliche Kurserholungen, die schließlich mangels tragfähiger Rahmendaten an Schwung verlieren. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Bärenmarkt-Rallys während der Baisse von 2000 bis 2002. Wie man sieht, sind Bärenmarkt-Rallys recht häufig. Definiert man eine Rally als einen Kursanstieg von mindestens 10 Prozent, so sind zwei Bärenmarkt-Rallys pro Jahr – mit einem durchschnittlichen Kursgewinn von fast 20 Prozent – nicht selten.

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Aktuelle Bärenmarkt-Rally

Derzeit erleben wir eine Bärenmarkt-Rally, die auf den Rutsch des S&P 500 vom 9. März folgte, als der Index bei 676 Punkten schloss. Seither hat der S&P über 26 Prozent zulegt (auf US-Dollar-Basis, Stand: 9. April). Dabei handelt es sich um eine der stärksten Trenderholungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Auslöser dieser Rally war die zinspolitische Lockerung, insbesondere das von der britischen und der US-Notenbank angekündigte „Quantitative Easing“. Hinzu kamen die auf den G20-Gipfel Anfang April gesetzten Hoffnungen, die die Stimmung an den Märkten hoben. Die positive Stimmung hielt auch nach dem Gipfel noch an. Dennoch dürfte die Rally bald zu Ende sein. Das liegt vor allem daran, dass die Q1-Berichtssaison die Schwäche des Unternehmenssektors einmal mehr verdeutlichen wird. Überdies sind die konjunkturellen Rahmendaten weiterhin schwach.

Triple-Dip?

Wie sich der nachstehenden Grafik entnehmen lässt, war das Markttief am 9. März bereits das zweite schwere Tief in dieser Baisse. Unserer Einschätzung nach ist es noch zu früh für den Beginn eines neuen Bullenmarktes. Wir sehen den Aufschwung im März daher als bloße Bärenmarkt-Rally. Und wahrscheinlich wird der Markt in den kommenden Monaten den Tiefstand vom März erneut testen. Wie gesagt stehen die Chancen gut, dass damit der tiefste Stand erreicht ist.

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Falls das Tief vom März getestet wird, hätten wir einen so genannten Triple-Dip (einschließlich des November-Tiefs). In diesem Zusammenhang fällt auf, dass es bei vielen der vergangenen Bärenmärkte zu einem Triple-Dip gekommen ist. Das war der Fall während der ersten Ölkrise Mitte der siebziger Jahre, der zweiten Ölkrise Anfang der achtziger Jahre, dann Anfang der neunziger Jahre im Zuge des ersten Irakkriegs und der „Savings & Loans“-Krise in den USA sowie zu Beginn dieses Jahrhunderts (Platzen der IT-Blase, zweiter Irakkrieg). Bei drei dieser vier Krisen handelte es sich bei der ersten Kursdelle um den bereits erläuterten panikartigen Kurzsturz. Zudem war der zweite „Dip“ in jedem dieser Fälle tiefer als der erste.

Diese Gemeinsamkeiten bedeuten allerdings nicht zwangsläufig, dass der aktuelle Bärenmarkt auch nach diesem Muster ablaufen wird. Wir müssen uns aber vor Augen halten, dass es sich dabei um ein wiederkehrendes Muster handelt und dass ein weiterer Dip in dieser Baisse nicht nur den Anfang einer Bärenmarkt-Rally, sondern auch den Beginn eines nachhaltigen Aufschwungs am Aktienmarkt markieren könnte.

Wann kommt der Bullenmarkt?

Die gegenwärtige Baisse wird wohl noch eine Weile anhalten, da die Voraussetzungen für eine dauerhafte Erholung anscheinend noch nicht bestehen. Investoren werden sich weiter im Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Furcht bewegen – Hoffnung, dass die wirtschaftspolitischen Maßnahmen greifen, und Furcht, dass unsere Volkswirtschaften der „japanischen Krankheit“ erliegen könnten. Normalerweise setzt eine Erholung erst ein paar Monate vor Erreichen der Ertragstalsohle ein. Damit ist allerdings nicht vor Ende 2009/Anfang 2010 zu rechnen.

Außerdem würden wir eine Aktien-Rally, die nicht von einer deutlichen Verengung der Credit Spreads von Unternehmensanleihen begleitet ist, mit einer gewissen Skepsis betrachten. Ein weiterer Faktor sind die Immobilienpreise in den USA, die erst noch die Talsohle hinter sich lassen müssen. Andere Vorlaufindikatoren, wie der ISM-Index, könnten sich in diesem Zyklus als weniger wichtig erweisen, da es sich bei dem gegenwärtigen Abschwung um eine Konsum induzierte Rezession handelt. Insofern ist nicht damit zu rechnen, dass uns das produzierende Gewerbe aus der Rezession führen wird. Schließlich und endlich wird das Erstarken der Zuversicht unter den Verbrauchern in erster Linie von der Entwicklung ihrer Vermögenssituation und weniger vom Arbeitsmarkt abhängen. Daher ist eine Erholung der Immobilienpreise für die weitere Entwicklung wichtiger als ein Rückgang der Arbeitslosenrate.

Fazit: Im Auge behalten sollte man insbesondere die US-Häuserpreise und die Credit Spreads, dabei aber auch die Kreditvolumen der Banken und die Entwicklung des ISM nicht vergessen.

Quelle: ING Investment Management

ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit annähernd 375 Milliarden Euro Assets under Management, vertreten in 37 Ländern mit mehr als 3.700 Mitarbeitern, ist ING Investment Management (ING IM) weltweit auf Platz 27 im Asset Management.

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