Kommentar
10:40 Uhr, 17.03.2013

Teilenteignung in Zypern! Die Maske fällt

Nach der Pleite der Lehman Brothers im Herbst 2008 herrschte die nackte Panik in Europa – berechtigte Angst vor einem Bankenrun. Angela Merkel hielt kurze Zeit später gemeinsam mit Peer Steinbrück ihre berühmte Sonntag-Abend-Rede: „Ihre Einlagen sind sicher“. Sie gab damit eine Staatsgarantie für alle Einlagen, noch über die bestehenden Sicherungssysteme hinausgehend. Die gesetzliche Einlagensicherung war im Vergleich zu heute relativ karg ausgestaltet: 20.000 EUR pro Konto, Selbstbehalt 10%.
Weil man sich in der EU zu Recht völlig klar war, dass in einem Finanzsystem wie dem unseren, basierend auf Papiergeld, ausgestaltet als Schuldgeld, nichts wichtiger ist als das Vertrauen in die bombenfeste Sicherheit der Einlagen, wurde die gesetzliche Einlagensicherung mächtig getuned. Zunächst auf 50.000 EUR pro Konto, dann auf 100.000 EUR. Der Selbstbehalt wurde abgeschafft, was bedeutet, dass im Falle einer Bankpleite Kunden bei Kontengrößen bis 100.000 EUR einen gesetzlichen Anspruch auf vollständigen Ersatz ihrer Einlage haben.

Liebe Leser, das ist Geschichte!

In einem beispiellosen Akt, der noch Historiker beschäftigen wird, hat die Eurogruppe die zyprische Regierung gezwungen, als „Gegenleistung“ für umfangreiche Finanzhilfen für den schwer angeschlagenen Mittelmeerstaat in einer Blitzkrieg-Aktion ein Enteignungsgesetz auf den Weg zu bringen. Alle Bank-Einlagen (egal ob der Kunde den Sitz im In-oder Ausland hat) bis 100 TSD EUR sollen mit einer „Solidarabgabe“ von 6,75% belastet werden, alles darüber mit 9,9%. Sie lesen richtig! Die Banken werden erst am Dienstag wieder öffnen, die Konten sind eingefroren (d.h. über den zu enteignenden Teil kann nicht verfügt werden).

In einem einzigen Teilaspekt ist dies ein korrekter und auch gut zu begründender Schritt. Es war nämlich ein Fehler, den früher existenten Selbstbehalt abzuschaffen. Wenn eine Bank pleitegeht, ist es eigentlich dem Gläubiger, und das ist der Kunde, zuzumuten, einen Teil des Risikos selbst zu tragen. Nicht zuletzt war dies immer auch ein Steuerungsmittel, um Gelder nicht übermäßig auf Konten extrem risikoreicher Banken zu lenken. Es war eine Kurzschlussreaktion, den Selbstbehalt abzuschaffen.
Wenn die Euro-Rettungsgelder nicht fließen, dann werden viele zyprische Banken vermutlich reihenweise in die Insolvenz gehen. Insofern ist die beschlossene Abgabe sicher das kleinere Übel, denn sonst wäre noch viel mehr verloren. Das Argument, dass ja 100 TSD EUR je Konto gesetzlich gesichert sind, ist trügerisch. Denn was die meisten nicht wissen, weil sie den Begriff „gesetzliche Einlagensicherung“ fehlinterpretieren: Für die Einlagen haftet NICHT der Staat, sondern die Banken eines Landes untereinander über einen speziell dafür geschaffenen Einlagensicherungsfonds. Es gibt Bestrebungen, diese Einlagensicherung EU-weit zu gestalten. Stand jetzt müssten aber die überlebenden zyprischen Banken für die sterbenden einstehen, was zum Tod aller führen würde. Unter diesem Aspekt sind die Bankkunden Zyperns gut davongekommen.

Ansonsten ist diese Maßnahme rundum eine Totalkatastrophe!

*Der Ansatzpunkt der „Solidarabgabe“ ist einzig und allein ein Kontoguthaben. Es ist ja völlig richtig, das zyprische Volk an den Kosten seiner „Rettung“ zu beteiligen. Dazu wären aber höhere Einkommenssteuern, gegebenenfalls auch Vermögenssteuern, ein probates Mittel. Also eine Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Wer z.B. Immobilien, Gold, Cash unter dem Kopfkissen hat, ist mit der gewählten Regelung aber sehr fein raus. Auf der anderen Seite dagegen könnte es sein, dass sogar Menschen, die netto gar nichts besitzen (weil sie Schulden haben) dennoch zur Ader gelassen werden, nur weil sie über ein Kontoguthaben verfügen. Mit Gerechtigkeit hat dies rein gar nichts zu tun.

*Ein gern genutztes Argument ist, dass Zypern eine Insel voller Schwarzgeld sei. Das mag sogar stimmen. Dennoch ist es eine Schande, mit welcher Selbstverständlichkeit Russen in diesem Kontext in den Medien und insbesondere auch von Politikern als Kriminelle bezeichnet werden. Ersetzen Sie bitte in entsprechenden Artikeln „Russen“ durch „Juden“, und sie werden zu Recht erschrecken. Es ist doch fraglich, ob das den Beziehungen der EU zu Russland hilft.

*Das ohnehin extrem angeknackste Vertrauen in den Euro und die EU als Institution wird weiter schwer belastet. Nach diesem Tabubruch kann sich niemand mehr sicher sein, insbesondere in den Krisenstaaten. Eine neue Dimension der Kapitalflucht könnte nun erreicht werden. Und warum auch nicht? Es ist doch nur rational, sein Geld in Sicherheit zu bringen. Ich würde jetzt auch kein Geld auf Konten in Spanien, Portugal oder auch Italien haben wollen!

*EU- und Euro-kritische Parteien werden nun mit noch mehr Zuspruch rechnen können. Das gesamte europäische Projekt wird dadurch gefährdet.

*Es ist ein Unding, einen Beschluss zu fassen auf Basis eines Gesetzes, welches noch gar nicht existiert und das dann an einem Wochenende durchs Parlament gejagt wird. Damit erhalten nicht nur Verschwörungstheoretiker und Untergangsapologeten reichlich Munition, sondern es wird auch eine jedermann ersichtliche Blaupause geliefert, wie z.B. auch eine Währungsreform ablaufen könnte.

*Nach der Zwangsenteignung der Halter von griechischen Staatsanleihen liegt hier ein neuer Höhepunkt in der Eurokrise vor, was die Perversion von Maßnahmen angeht. Im Zusammenhang mit dem griechischen Haircut haben sich alle Seiten beeilt zu betonen, dass dies ein einmaliger Schritt sei. Diese Aussage hat nun, wie so viele andere, keinen Wert mehr. Natürlich ist Zypern wieder mal ein Spezialfall, aber vielleicht ist das Spanien auch. Und Portugal. Und Italien ?

Während ich diese Zeilen schreibe ist das passende Gesetz in Zypern noch nicht verabschiedet. Die Abstimmung wurde auf Montag verschoben (auf Zypern ein Feiertag). Vielleicht findet es gar keine Mehrheit? Oder aber es wird, um die Massen zu beruhigen, einen angemessenen Freibetrag geben?
So oder so wird es nächste Woche zu tumultartigen Szenen in Europa kommen – und riesige Mengen Geld werden über Landesgrenzen hinweg die Konten wechseln. Nach Monaten scheinbarer und trügerischer Ruhe in der Eurokrise schlägt ausgerechnet die Eurogruppe selber einen neuen Sargnagel ein. Die Frage nach dem Warum wird uns noch lange beschäftigen

Ihr Daniel Kühn

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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