Kommentar
10:51 Uhr, 08.12.2011

TARGET2: Ein unkalkulierbares Risiko?

Hans-Werner Sinn ist es zu verdanken, dass sich die ökomische Zunft seit Monaten intensiv mit den Implikationen des TARGET2-Systems auseinandersetzt (Trans-European Automated Real-Time Gross Settlement Express Transfer System). Dabei handelt es sich um ein Brutto-Clearingsystem des Eurosystems. Wenn z.B. ein Grieche Geld von seiner griechischen Bank auf ein deutsches Institut transferiert (wer will es ihm verübeln), dann wird dies über Target2 abgewickelt. Es spielt dabei keine Rolle, ob ein Grieche Geld überweist, ein griechisches Unternehmen einen LKW in Deutschland kauft oder ein griechischer Investor deutsche Aktien – es geht letztlich nur um den Transfer von Guthaben.

Um sich darüber im Klaren zu werden, was dabei genau passiert ist es hilfreich, den Vorgang einer Überweisung zunächst innerhalb eines Staates zu untersuchen. Angenommen Sie überweisen 1000 EUR von der Deutschen Bank zur Commerzbank. Ihr Kontostand bei der Deutschen Bank sinkt um 1000 EUR, jener bei der Commerzbank steigt um 1000 EUR. Auf Seiten der Banken kommt es zu einem Transfer von Zentralbankguthaben. Jede Bank unterhält Konten bei der Zentralbank. Das Guthaben der Commerzbank bei der Bundesbank steigt also um 1000 EUR, jenes der Deutschen Bank sinkt um 1000 EUR. Das ist übrigens eine völlige Analogie zu einem Bartransfer, wenn Sie also Geld in cash abheben und wieder in cash einzahlen.

Wenn nun Geld über Landesgrenzen hinweg überwiesen wird, dann muss es einen Mechanismus geben, der dem oben beschriebenen auf nationaler Ebene entspricht. Fließt Geld von griechischen Konten auf deutsche, dann muss die griechische Bank Zentralbankgeld verlieren, während die deutsche es hinzugewinnt. Theoretisch entstünde so eine Forderung der Bundesbank gegenüber der griechischen Zentralbank. Praktisch-formal ist es im Euroraum so, dass die Bundesbank eine Forderung gegen die EZB aufbaut, und die griechische Zentralbank eine Verbindlichkeit gegenüber der EZB.

Zu „normalen“ Zeiten (Sie erinnern sich? Das war vor der Finanzkrise…) waren diese Salden unbedeutend, im Bereich von ein paar Mrd. EUR. Man ging bei Einführung von Target2 davon aus, dass sie sich mehr oder weniger ausgleichen würden. Stand September 2011 betrugen die Target2-Forderungen der Bundesbank gigantische 449 Mrd. EUR (!), bei einer Bilanzsumme in Höhe von 746,587 Mrd. EUR. Und es werden jeden Monat mehr.

Der Chef des ifo-Instituts Hans-Werner Sinn hat zu dieser Thematik ausführlich publiziert (ich kann Ihnen unter anderem [Link "dieses Papier" auf www.cesifo-group.de/... nicht mehr verfügbar] empfehlen), und wurde für einige Thesen auch scharf kritisiert. Eine detaillierte Diskussion würde Buchdimensionen annehmen.
Fakt ist: Bleiben wir ein Währungsraum, dann haftet Deutschland für das mögliche Ausfallrisiko „nur“ mit ca. 27%. Das bedeutet auch, es ist letztlich egal, WER die Forderungen in seiner nationalen Zentralbank aufbaut, es haften alle gemäß dem Beteiligungsschlüssel. (Übrigens liegen hier damit defacto Eurobonds vor. )

Was aber falls die Eurozone auseinanderbricht?

Es ist ja nun wirklich nicht so, dass wir dies ausschließen könnten. Dann, so sinniert Sinn, könnte die Bundesbank womöglich auf riesigen Forderungen sitzenbleiben!
Ein wichtiger Punkt ist, dass die Bundesbank sich nicht „wehren“ kann. Diese Vorgänge sind eine zwingende Folge des europäischen Währungssystems. Deswegen schlagen Sinn und andere eine Reform nach amerikanischem Vorbild vor. Auch dort bilden sich bei den 12 District Feds Salden, die denen nach Target2 ähneln. Nur müssen diese dort jedes Jahr im April ausgeglichen werden – mit marktgängigen Papieren. Allerdings können die District-Feds diese Papiere mit von ihnen geschöpftem, frischen Geld erwerben – daher sagen Kritiker, das sei keine Option für Europa.

Soweit ein sehr kurzer Aufriss – die Thematik ist natürlich wesentlich komplexer, als es vielleicht den Anschein macht. Man kann aber davon ausgehen, dass das Thema Target2 noch für sehr viel Aufruhr sorgen wird. [Link "Hier können Sie sich ausführlich einlesen" auf www.cesifo-group.de/... nicht mehr verfügbar]!

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3. Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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