Tapering - Lasst die Katze endlich aus dem Sack
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Die globalen Konjunkturperspektiven hellen sich weiter auf. In China hält sich der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe mit 51,4 stabil im Expansion anzeigenden Bereich. China scheint der gesunde Übergang von einer rasanten, primär export- und immobiliengetriebenen Konjunktur hin zu einer nachhaltiger wachsenden, stabileren Wirtschaft, die auf die Kaufkraft einer immer breiter werdenden Mittelschicht setzt, zu gelingen.
Auch die US-Konjunktur setzt ihre Erholung fort. In den USA setzt der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe seine seit Juni anhaltende Aufwärtsbewegung fort und notiert mit aktuell 57,3 auf dem höchsten Wert seit 31 Monaten. Insbesondere die Neuauftragskomponente signalisiert eine deutliche Konjunkturerholung auf dem amerikanischen Industriesektor. Und der ISM Index für das Dienstleistungsgewerbe liegt mit 53,9 immer noch komfortabel im Expansion anzeigenden Bereich.
Die Causa Tapering
Trotz insgesamt aufgehellter Konjunkturstimmung in den USA zeigen die von der Fed zur geldpolitischen Entscheidungsfindung herangezogenen Wirtschaftsindikatoren noch kein klares Bild, das eine Drosselung der Anleihenaufkäufe der US-Notenbank zwingend erforderlich macht.
Zwar liegt das US-Wirtschaftswachstum mit zuletzt 3,6 Prozent zum Vorquartal eindeutig über der geldpolitischen Zielgröße von drei Prozent. Allerdings zeigt sich die Inflationsrate mit aktuell einem Prozent weit entfernt vom neuralgischen Wert von 2,5 Prozent und ist im Trend sogar abwärts gerichtet. Solche Desinflationierungen nimmt die US-Notenbank aufgrund des Nationaltraumas der Great Depression in den 1930er Jahren ernst.
Das entscheidende Kriterium „Arbeitsmarkt“ stellt ein Tapering zunehmend in Aussicht. Die aktuelle US-Arbeitslosenquote liegt zwar noch oberhalb des von der Fed definierten Zielwerts von 6,5 Prozent. Aber die laufende Verbesserung über die letzten Monate ist unverkennbar. Mit zuletzt 203 Tausend lag der Stellenaufbau oberhalb der geldpolitischen Zielgröße von 200 Tausend, auch wenn dieser Wert im Durchschnitt der letzten sechs Monate noch nicht erreicht wurde.
Insgesamt zeigt sich die Arbeitsmarkterholung in den wichtigen US-Wirtschaftssektoren seit Jahresbeginn 2013 in einer Seitwärtsbewegung. Nach dem Einbruch im Sommer zeichnen sich in der Industrie und im Baugewerbe Erholungstendenzen ab. Dagegen zeigt der Stellenaufbau im Dienstleistungssektor nach einem starken Sommer immer noch Schwäche.
Die zuletzt gegenläufige, zukünftige Beschäftigungseinschätzung in der Industrie und dem Dienstleistungssektor signalisieren insgesamt eine Fortführung dieses Seitwärtstrends.
Beim Tapering müssen Fakten geschaffen werden
Folgt man der Rhetorik der US-Notenbank, so muss der Eindruck entstehen, man wolle das Tapering so lange wie möglich, bis zum Amtsantritt der designierten Fed-Chefin Janet Yellen, hinauszögern. So ist im aktuellen Konjunkturbericht der Fed - Beige Book - die Rede von einer grundsätzlichen Fortsetzung der US-Konjunkturerholung, der allerdings die gewünschte Dynamik, insbesondere auf dem US-Arbeitsmarkt, fehlt.
Nach der Hinauszögerung des Tapering im September klopfen die Finanzmärkte jedes Konjunkturdatum auf seine Tapering-Relevanz ab. Die langatmige Debatte über das Ob, Wann und Wie eines möglichen Taperings ist der Hauptunsicherheitsfaktor für die Finanzmärkte und die Schwellenländer, der nicht mit in das Anlagejahr 2014 hineingeschleppt werden sollte. Daher spricht viel dafür, auf der Fed-Sitzung am 17. und 18. Dezember das Tapering anzukündigen, das dann im Frühjahr 2014 starten könnte.
Würde die Fed für diese Klarheit sorgen, einen transparenten Tapering-Zeitplan und zusätzlich lediglich eine sanfte Drosselung der Anleihenaufkäufe bekannt geben, könnte sie möglichen Marktturbulenzen kräftig entgegenwirken.
Zur Begegnung aufkommender Ängste vor einer Zinswende könnte die Fed zudem ihre Konjunkturprojektionen für die kommenden Jahre passiver formulieren und damit die Bedingungen für Zinserhöhungen verschärfen. So könnte sie den Zielwert für die US-Arbeitslosenquote - wie bereist mehrfach von Verantwortlichen der Fed hinter vorgehaltener Hand angedeutet - von 6,5 auf 5,5 Prozent verringern und damit der langfristigen Vorabfestlegung auf ihre Niedrigzinspolitik noch mehr Gewicht verleihen. Die Finanzmärkte würden dann schnell realisieren, dass ihnen weder liquiditätspolitisch noch zinspolitisch Ungemach droht.
Der Revolver der EZB bleibt geladen
In Euroland gilt es für EZB-Chef Draghi, mögliche Ausstrahleffekte des Tapering in Form negativer Renditeeffekte für die euroländischen Staatsanleihemärkte zu verhindern. Die Konjunkturstimmung der Eurozone insgesamt ist immer noch sehr verhalten. Ohnehin ist die EZB gezwungen, der schwachen Wirtschaftserholung in der Euro-Südzone weiter unter die Arme zu greifen. Diesbezüglich dürfte der politische Druck der Euro-Länder auf die Notenbank noch weiter zunehmen - über ein geldpolitisch gedrücktes Renditeniveau - die Zinslast der Staatsschulden zur Konjunkturfinanzierung zu beschränken.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die EZB mit erwarteten Inflationsprognosen für 2014 und 2015 von 1,1 bzw. 1,3 Prozent alle Türen für weitere geldpolitische Maßnahmen offen. So signalisierte Notenbankchef Draghi bereits auf der letzten Sitzung der EZB, dass die Bereitschaft zum Einsatz aller möglichen Instrumente sehr hoch sei.
„Die Zinsstrukturkurve bleibt steil und der Bullenmarkt bei Aktien intakt“
Die Zinsstrukturkurve spricht gegen einen Aktieneinbruch
Klare Anhaltspunkte für eine auch zukünftig freundliche Aktienmarktstimmung stellen die in den USA und Euroland zu beobachtenden, steilen Zinsstrukturkurven dar.
Steile Zinsstrukturkurven - d.h. die Renditen deutscher Staatsanleihen liegen höher als die Notenbankzinsen - lassen sich historisch bereits während der Aktienhaussen im Zeitraum von 1993 bis 2000 und 2003 bis 2008 feststellen. Offenbar wirken diese Zinsstrukturen auf Aktien wie Katalysatoren. Denn die Erzeugung einer steilen Zinsstrukturkurve über niedrige Notenbankzinsen führte zu einem attraktiven Investitionsklima, das eine zinsgünstige kurzfristige Geldaufnahme zur höher verzinslichen, längerfristigen Geldanlage auch in Aktien begünstigt. Die Liquiditätshaltung hingegen war unattraktiv.
Vor dem Hintergrund Euro-krisenbedingter, langfristig notwendiger Niedrigzinsen der EZB wird sich dieses günstige Zinsszenario auch nicht ändern. Eine abflachende oder sogar inverse, also negative Zinsstrukturkurve, bei der die Notenbankzinsen sich den Renditen von Staatsanleihen angleichen bzw. diese übersteigen, ist nicht zu befürchten. Insofern bleibt dem deutschen Aktienmarkt (DAX) ein Kurseinbruch wie z.B. in den Jahren 2000 und 2008 erspart. Damals verflachten sich die bis dato steilen Zinsstrukturkurven über die Zinserhöhungen der EZB dramatisch und wurden in der Spitze sogar negativ. Den Aktienblasen des Neuen Markts bzw. der Immobilieneuphorie wurden die Argumente entzogen. Sie platzten. Denn das sichere Parken von Geld wurde zunehmend attraktiver als Investitionen in länger laufende, riskante Anlageklassen wie Aktien.
Angesichts der anhaltend steilen Zinsstrukturkurve wird der aktuelle Bullenmarkt im DAX seit März 2009 so schnell kein Ende finden.
Grafik der Woche: Zinsstrukturkurve in Deutschland und deutscher Aktienindex (DAX)
Aktuelle Marktlage und Charttechnik
Grundsätzliches Ungemach für die Aktienmärkte ist seitens der Notenbanken nicht zu befürchten. Die zuletzt stattgefundene Konsolidierung am deutschen Aktienmarkt ist eher als reinigendes Gewitter zu betrachten.
Auch zukünftig sind zwischenzeitliche Konsolidierungen im DAX nicht auszuschließen. Das gilt insbesondere in Hinblick auf die am 17. und 18. Dezember anstehende Sitzung der US-Notenbank, die im Zeichen des drohenden Taperings steht.
Aus charttechnischer Sicht trifft der DAX bei einer fortgeführten Konsolidierung an der Kurslücke zwischen 9.101 und 9.074 Punkten auf eine erste Unterstützung. Darunter liegen die nächsten starken Unterstützungslinien bei rund 8.962 und bei 8.770 Punkten. Auf dem Weg nach oben stößt der DAX bei 9.253 und darüber bei 9.313 Punkten auf ersten Widerstand. Darüber ist der Weg für einen Anstieg bis zum Jahresendziel bei 9.500 Punkten frei.
Und was passiert in der 50. Kalenderwoche?
In den USA zeugen freundliche Einzelhandelszahlen von einer stabilen Konsumstimmung.
In Deutschland zeugt eine robuste Industrieproduktion im Oktober von der anhaltenden Erstarkung der deutschen Industrie. Die schwächeren Exportzahlen sind als Verschnaufpause nach den starken Vormonatsdaten zu sehen.
Halvers Woche: Aktienmärkte: Von nun an geht es bergab?
Es wird Zeit, Zeit für eine anständige Korrektur an den Aktienmärkten, oder? Denn wir befinden uns seit März 2009, also seit viereinhalb Jahren in einem Bullenmarkt. Seit damals ist der DAX um immerhin durchschnittlich 20 Prozent pro Jahr gestiegen.
Müssen wir jetzt nicht endlich die rosarote Brille, die Scheuklappen abnehmen? Haben wir etwa alle kollektiv den Neuen Markt und die Immobilienblase geistig verdrängt, die 2000 bzw. 2008 der deutschen Aktienkultur den Garaus bereiteten und auch mir persönlich arge Schmerzen zugefügt haben?
Übrigens, blicken wir denn realwirtschaftlich wirklich auf „La vie en rose“? Politische Disharmonien in der Eurozone, große Reformmüdigkeit in Euro-Süd mit der Folge mangelnder Wettbewerbfähigkeit und -willen gegenüber der globalen Konkurrenz sowie für Euroland insgesamt vergleichsweise schwache wirtschaftliche Perspektiven sind wohl kaum der Stoff, aus dem die fundamentalen Aktien-Träume sind. Vor diesem Hintergrund sind die aktuellen Aktienbewertungen von DAX, MDAX und Euro Stoxx tatsächlich sportlich.
Also alle anschnallen und fertig machen für den Einbruch an den Aktienmärkten?
Bullenmärkte können lang und zäh sein
Nun, fangen wir einmal so an: Bullenmärkte von Aktien haben in der Vergangenheit schon deutlich länger angedauert als der aktuelle. In den USA gab es sogar Superzyklen. Einer dauerte von Anfang des letzten Jahrhunderts bis zur Weltrezession 1929 und trug den Namen „Amerikanische Industrialisierung“. Und ein weiterer verlief vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Anfang der 70er-Jahre und beruhte auf einer langen Periode mit ungewöhnlich hohen Wachstumsraten.
Aber auch in Deutschland hatten wir es von 1982 bis 1989 und von 1993 bis 2000 mit immerhin zwei Bullenmärkten von jeweils acht Jahren zu tun. Der erste basierte auf dem Inflationsrückgang, der über insofern sinkende Renditen das Zinsvermögen unattraktiver machte. Nicht zuletzt kam Aktien die marktwirtschaftliche Renaissance der Reagonomics zugute. Für die zweite lange Sternstunde des DAX waren die Globalisierung und die technologische Revolution verantwortlich.
Und jetzt könnte man dem Bullenmarkt wohl den Namen „Rettung der Finanzwelt“ verleihen.
Die Zinsstrukturkurve bleibt...
Die eigentlichen Lebensadern von Bullenmärkten sind steile Zinsstrukturkurven, d.h. die Renditen deutscher Staatsanleihen liegen oberhalb der Notenbankzinsen.
Sie scheinen auf Aktienmärkte eine ähnliche Wirkung zu haben wie Gaspedal und Bremse auf die Geschwindigkeit von Autos. Solange geringe Notenbankzinsen eine steile und damit wirtschafts- und börsenfreundliche Zinsstrukturkurve begünstigen, kann Aktien offenkundig wenig passieren. Denn es lohnt sich, Geld kurzfristig günstig aufzunehmen und längerfristig in höher rentierliche Anlagen und auch in Aktien zu investieren. Dann ist Liquiditätshortung uninteressant. Genau dieses Szenario war der Hintergrund für die Bullenphasen 1982/1982 und 1993/2000.
Erhöhen Zentralbanken dagegen zur Inflationsbekämpfung bzw. Wirtschaftsabkühlung ihre Notenbankzinsen auf oder über das Niveau von Renditen von Staatsanleihen - flachen sich also Zinsstrukturkurven dramatisch ab oder werden sogar negativ - ist das sichere Parken von Geld lukrativer als Investitionen in länger laufende oder riskantere Anlageklassen wie Aktien.
Genau dieses Zinsszenario markierte ab 1990 einen lustlosen Seitwärtstrend des DAX. Noch klarer konnte dieser Zusammenhang ab 2000 festgestellt werden: Über vorher einsetzende Zinserhöhungen der damaligen Deutschen Bundesbank flachte sich die bis dato steile Zinsstrukturkurve rapide ab und brach der deutschen Dotcom-Blase schließlich das Genick.
Besonders eindrucksvoll zeigte sich dieses Strukturkurvenphänomen bei der Immobilienblase. Eine sich über Zinserhöhungen der EZB stark einebnende, später sogar negative Zinsstruktur bereitete der Immobilienblase 2008 - die Fed hat kräftig mitgeholfen - ihr Waterloo.
„Zinserhöhungen der EZB so unwahrscheinlich wie Weihnachten ohne Tannenbaum“
Der Superzyklus der geldpolitischen Rettung
Und auch der aktuelle Bullenmarkt beim DAX seit März 2009 geht mit einer steilen Zinsstrukturkurve einher. Denn die Rettung der Euro-Welt erforderte historisch niedrige Notenbankzinsen der EZB.
Wenn die historische Lehre insgesamt ist, dass Aktienbullenmärkte erst dann wirklich enden, wenn sich die Zinsstrukturkurven mindestens dramatisch abflachen, ist die entscheidende Frage: Wann erhöht die EZB ihre Notenbankzinsen?
Das ist so unwahrscheinlich, wie deutsche Weihnachten ohne Tannenbaum. Angesichts der Hauptrolle der EZB bei der Krisenprävention und der Konjunkturstabilisierung in der Eurozone sind Zinsrestriktionen auf unabsehbare Zeit unmöglich. Auch das nenne ich einen Superzyklus, der Superzyklus der geldpolitischen Rettung.
Tapering kann zwischenzeitlich Wasser in den Aktien-Wein gießen
Natürlich wird die Diskussion über das Wann und Wie des Tapering der Fed - die Mutter aller Notenbanken - zwischenzeitlich Wasser in den süßen Aktien-Wein gießen. Schließlich wirkt die US-Liquiditätsschwemme wie eine hochprozentige Punschbowle auf einer Weihnachtsfeier. Dennoch wäre es mir sehr recht, wenn das Tapering bald beginnt und somit nüchterne Fakten geschaffen werden. Dieses unselige „Sie tut es, sie tut es nicht“ sorgt nur für Anlegerverunsicherung. Da die US-Notenbank aber weiß, dass im Extremfall bereits das Husten von Flöhen in den Parkanlagen vor dem Fed-Gebäude ausreicht, um die sensible Finanzwelt aus den Fugen zu bringen, wird das Tapering nur in schwacher Dosierung betrieben. Der Kelch des Liquiditätsschocks wird an uns ganz sicher vorüber gehen.
Entscheidend ist, dass sich am aktienfreundlichen Basisszenario einer steilen Zinsstrukturkurve nichts ändert. Da kommt Tapering-bedingten, zwischenzeitlichen Kursrückgängen die Bedeutung von vorübergehenden Reibereien zwischen der Liebsten und dem Liebsten zu. Deswegen bricht man doch nicht gleich die Beziehung ab.
Die Gelddiplomatie sorgt hüben wie drüben dafür, dass die Beziehung der Anleger zu Aktien intakt bleibt. Dagegen bringt das Fremdgehen mit anderen Anlageklassen, mit Zinsvermögen, keinen Lustgewinn.
Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick
Kapitalmarkt auf einen Blick
Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG
Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:
http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/
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