Stockers Börsencheck: Hat die Renaissance des europäischen Aktienmarktes gerade erst begonnen?
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Der europäische Aktienmarkt zeigte sich am Jahresanfang in einer äußerst robusten Verfassung. Mit Beginn des zweiten Quartals veränderte sich die Börsenwelt aufgrund der Zoll- und Handelsbeschränkungen seitens der USA grundlegend. Innerhalb kürzester Zeit verloren die Aktienmärkte deutlich an Wert.
Der US-Aktienmarkt sollte nicht abgeschrieben werden, auch hier sehen wir bis zum Jahresende durchaus Potenzial. Das US-Wirtschaftswachstum schwächt sich zwar leicht ab, aber die zuletzt aufgekommenen Konjunkturbefürchtungen, die den US-Aktienmarkt unter Druck gebracht haben, erachten wir als übertrieben. Wir erwarten keine Rezession in den USA. Das Gewinnwachstum der US-Unternehmen bleibt solide, insbesondere im Bereich der Technologiewerte. Andererseits zeichnet sich gegenüber Europa ein gewisser – Paradigmenwechsel ab. Die globale Investmentlandschaft scheint sich zu wandeln, angetrieben von Wirtschaftsdaten, geopolitischen Umwälzungsprozessen und Stimmungsschwankungen auf den Märkten in den USA und Europa. Investorinnen und Investoren suchen zunehmend nach Alternativen zu den lange Zeit dominierenden Wachstums- bzw. Growth-Aktien, prominent vertreten durch die sogenannten „Magnificent 7“ in den USA. Die Geschichte lehrt uns, dass unterschiedliche Anlagestile für unterschiedliche Marktbedingungen geeignet sind. Angesichts der derzeit erhöhten Unsicherheit, der politischen Veränderungen und der sich wandelnden makroökonomischen Bedingungen in Kernregionen wie den USA und Europa scheint das Pendel von der Fokussierung auf Wachstumsaktien zu einem ausgewogeneren, resilienteren Ansatz zurückzuschwingen. Insbesondere in Europa, wo sich ein notwendiger Strukturwandel abzeichnet, ein Paradigmenwechsel hin zu deutlich höheren Fiskalausgaben, vor allem im Verteidigungsbereich, suchen Investorinnen und Investoren verstärkt nach unterbewerteten Unternehmen mit starken Fundamentaldaten, stabilen Erträgen und Sachanlagen – Kennzeichen von Value-Investitionen, die im KI-Zeitalter, das von den „Magnificent 7“ dominiert wird, lange Zeit eher unpopulär waren. Mit Blick auf die Zukunft dürften potenziell höhere langfristige Zinssätze und eine steilere Renditekurve, die sich aus dem jüngsten politischen Kurswechsel in Europa ergeben, Value- gegenüber Growth-Aktien begünstigen.
Leitender Aktienstratege bei der UniCredit Bank GmbH
Bei Anlagen in Value-Aktien liegt der Schwerpunkt auf Unternehmen, die im Vergleich zu ihrem inneren Wert unterbewertet erscheinen. Anders als Wachstumsaktien weisen Value-Aktien in der Regel niedrigere Kurs-Gewinn- und Kurs-Buchwert-Verhältnisse, starke Cashflows und etablierte Geschäftsmodelle auf, die häufig im Industriebereich zu finden sind. Gerade dieses Segment dürfte in den kommenden Jahren strukturell von den erhöhten Verteidigungsausgaben in Europa profitieren. Auch haben sich, allgemein gesprochen, Value-Investitionen in der Vergangenheit in einem Umfeld steigender Zinsen und wirtschaftlicher Erholung, in der grundsätzlich zyklische Sektoren wie Finanzen und Industrie von einer verstärkten Wirtschaftstätigkeit profitieren, überdurchschnittlich entwickelt.
Angesichts des hohen Anteils an Value-Aktien erscheint Europa gut positioniert für eine Renaissance des europäischen Aktienmarktes. Wir denken, ein dynamischeres Gewinnwachstum im bedeutenden Value-Segment der Finanz- und Industrieunternehmen wird entscheidend für die Unterstützung europäischer Aktien sein. Dies untermauert jedoch auch die Notwendigkeit einer effektiven Umsetzung der Politik zur Aufrechterhaltung der Dynamik.
Christian Stockers Aktienmarkteinschätzungen gibt es regelmäßig auch online:
>> onemarkets.de/stockers-boersencheck
Bildnachweis:
UniCredit Bank GmbH