Kommentar
00:00 Uhr, 11.05.2010

Sonst wird die Situation unbeherrschbar!

Gestern Nacht konnte ich kein Auge zumachen. Lag es an dem schwer erträglichen TV-Gekläffe der linken Antispekulations-Infiltrationseinheiten nach der NRW-Wahl? Oder am gigantischen „Euro-Rettungspaket“, das gestern beschlossen wurde?

Seit Wochen schwirrt in meinem Kopf das katastrophale Verschuldungsproblem der Industrieländer umher. Es ist jetzt so akut geworden, dass Lösungsansätze innerhalb von Jahren und nicht mehr Jahrzehnten gefunden werden müssen. Selbst Deutschland könnte, insbesondere nach den neuerlichen direkten und indirekten Beteiligungen an der Verschuldung anderer Staaten, in absehbarer Zeit Schwierigkeiten bekommen, neue Staatsanleihen zu platzieren – derzeit ist das noch völlig undenkbar!
Aber man darf sich da keinen Illusionen hingeben. Wenn rings um uns herum die Länder umkippen, dann werden wir – insbesondere als stark exportorientierte Volkswirtschaft – nicht als einsames Bollwerk unbeschadet überleben.

Es gibt in meinen Augen im wesentlichen drei Möglichkeiten, das Schuldenproblem anzugehen.

1. Weiter so wie bisher, einen Rettungsschirm nach dem anderen aufspannen bis man am Ende nicht mehr weiß wer überhaupt wen noch retten soll und womit.

2. Rigorose Sparprogramme, mit dem Risiko chronischer Rezessionen und insbesondere sozialer Unruhen, wie man sie als sehr milden Vorgeschmack in Griechenland erleben kann.

3. Ein radikaler Cut, verbunden mit einem umfassenden Politikwechsel.

Ich möchte Punkt 3, wie ich ihn mir vorstelle, näher erläutern. Ausgangspunkt der Überlegung ist, dass jedwede dauerhafte Lösung die Schulden der Staaten nachhaltig eliminieren muss. Der eine Weg, wie er z.B. von Argentinien gegangen wurde, stellt eine formale Teilenteignung der Gläubiger dar: Zwangsverzicht auf x% der Forderungen. Ich lehne solche Maßnahmen kategorisch ab, zumal sie keine Rechtssicherheit bieten und moralisch mehr als fragwürdig sind.
Der andere Weg ist eine Entschuldung über Inflationierung. Dabei bleibt die nominale Schuld in voller Höher erhalten, auf realer Basis sinkt sie aber. Dieser Weg ist relativ langwierig.

Was wäre, wenn alle (wichtigen) Notenbanken der Welt einen festen Prozentsatz der Staatschulden ihrer jeweiligen Länder (oder Staatenbunde wie die EU) schnell, gleichzeitig konzertiert aufkaufen würden, diese Schulden nie mehr aus ihren Büchern entlassen und damit defacto eine tatsächliche Entschuldung durch faktisches „Neudrucken“ von Geld ermöglichen? (Sehen wir einmal von den bilanziellen Schwierigkeiten ab, die sich dabei ergeben. Dies könnte man per Gesetz lösen). Mein Vorschlag wäre z.B. eine schlagartige 50%-Entschuldung aller Staatsschulden weltweit. Verbinden könnte man diese drastische Maßnahme mit einem Zinsmoratorium für einen kurzen definierten Zeitraum von 2-3 Jahren für die andere Hälfte der Schulden. Die Staaten brauchen nämlich Zeit, die zweite wesentliche Neuerung umzusetzen. Dieses Konzept muss zwingend das Verbot von weiteren Neuverschuldungsorgien beinhalten, um nachhaltiges Vertrauen zu schaffen. Da die meisten Länder über Primärüberschüsse verfügen (Haushaltsüberschuss vor Zinszahlungen) wäre in der Moratoriumszeit die Möglichkeit gegeben, in Ruhe alle chronischen Probleme anzugehen. Abbau des Sozialstaats, ehrliche Betrachtung der demografischen Entwicklung und Konsequenzen daraus, Reform des Gesundheitswesens etc.

Selbstverständlich würde eine derartige Lösung einen immensen, sofortigen Inflationsschub auslösen, der aber nicht dauerhaft wäre (sofern man die weiteren skizzierten Maßnahmen einleitet). Es hilft aber nun mal nichts, sich etwas vorzumachen: Es gibt keine Lösung der Verschuldungsprobleme ohne starke Inflation! Ein schneller radikaler Cut ist dabei vorzuziehen, und da in diesem Modell formal niemand auf Forderungen verzichten muss, ist es auch juristisch einfacher umzusetzen als ein erzwungener Forderungsverzicht. Nicht zuletzt: Wenn alle wichtigen Staaten mitmachen, kommt es an der Währungsfront zu keinen Verwerfungen, was die Wechselkurse angeht.

Bin ich zum Kapitalismus-Häretiker mutiert? Nein, i had a dream! Wir stehen am Scheidepunkt einer langen Phase prosperierenden Wachstums. In den nächsten Jahre muss gehandelt werden, sonst wird die Situation unbeherrschbar.

Daniel Kühn

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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