Kommentar
13:12 Uhr, 22.03.2013

Showdown in Zypern als Aufbruch für Euroland

Das Hilfspaket für Zypern gerät zum euro-politischen Rettungs-Krimi. Im Rahmen der Lösungsfindung hat die zyprische Regierung offenbar kein Interesse, dass zyprische Geschäftsmodell von lukrativen, steuerlich günstigen Anlagemöglichkeiten aufzugeben und damit vor allem das Milliardenvermögen wohlhabender Steuerflüchtlinge - als Dunkelziffer an außereuropäischen Bankeinlagen werden bis zu einer halben Billion Euro genannt - abzuschrecken. Nach offiziellen Angaben der Central Bank of Cyprus stammen 31 Prozent der Bankeinlagen von außerhalb der Eurozone.

Die EZB setzt Zypern unter Zeitdruck

Der Zeitdruck für eine Lösungsfindung ist hoch. Kommt es bis kommenden Montag zu keiner politischen Aktion, kommt es seitens der EZB zu einer geldpolitischen Reaktion: Die Nothilfen für zyprische Banken werden eingestellt. Gleichzeitig bereitet die EZB Kapitalverkehrskontrollen vor, um einem kolossalen Bank Run - einer schnellen und massiven Kapitalflucht - entgegenzuwirken.

Eine Kompromissfindung ist schwierig, da die Euro-Politik kaum Nachbesserungen gewähren kann, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Der IWF hat seine Zustimmung zu einer höheren Hilfssumme als 10 Mrd. Euro bereits abgelehnt. In Zypern prüft man derzeit andere Möglichkeiten, den fehlenden Eigenbetrag von 5,8 Mrd. Euro bereitzustellen. Der Griff in die Rentenkassen, Finanzmittel von der Kirche und auch sogar die Anzapfung der Goldreserven der zyprischen Notenbank werden geprüft. Dieser so zu etablierende „Solidaritätsfonds“ soll von einer Reform des zyprischen Bankensektors mit Etablierung einer Bad Bank für faule Kredite flankiert werden. Auf Finanzhilfen von außen - insbesondere aus Russland - kann man derzeit nicht mehr hoffen, bietet sich doch im Ernstfall einer zyprischen Staatspleite für Investoren wesentlich günstigere Kaufmöglichkeiten für Vermögenswerte.

Die Unsicherheit über eine endgültige Lösungsfindung ist an den Finanzmärkten klar zu spüren. Der Bund Future - ein valider Indikator für die Nachfrage nach Sicherheit in Form deutscher Staatsanleihen - notiert weiterhin auf hohem Niveau. Und auch die Volatilität am euroländischen Aktienmarkt auf Basis des Euro Stoxx 50 hat im Trend angezogen.

Letztlich wird die EU die zyprische Staatspleite oder gar den Euro-Austritt des Landes nach Möglichkeit zwar verhindern. Und ein gewisses Entgegenkommen der Euro-Politik ist auch nicht auszuschließen. Als Gegenleistung ist hinter vorgehaltener Hand die Hinterlegung weiterer Hilfskredite mit zukünftigen, allerdings unsicheren Erträgen aus der Gasförderung im Gespräch.

Aber auch dieses eigentliche No-Go einer Staatspleite Zyperns muss ins Auge gefasst werden, falls die zyprische Politik sich weiter renitent zeigt. Berechnungen gehen davon aus, dass diese Maßnahme für die Europäische Union und deren Finanzwirtschaft grundsätzlich zu stemmen wäre. Und auch die weiter verhaltenen Risikoaufschläge italienischer und spanischer Anleihen zu deutschen deuten nicht auf gravierende Überschwappeffekte nach einem Austritt Zyperns aus der Eurozone hin. Es geht auch um Signalwirkung: Für so manchen Euro-Politiker würde eine kontrollierte Staatspleite die vielfachen Absurditäten von Euro-Rettungsmaßnahmen gerade rücken und der finanzwirtschaftlichen Vernunft wieder Priorität einräumen.

Das Vertrauen der Sparer darf nicht riskiert werden

Mit dem Vorschlag die Sparer an dem zyprischen Rettungspaket zu beteiligen, hat die Euro-Politik einen Präzedenzfall geschaffen, der auch in anderen prekären Euro-Ländern auf der psychologischen Ebene Bedenken vor einem Bank Run schürt. Die Furcht vor ähnlichen Maßnahmen auch in diesen Staaten lässt durchaus auf eine zukünftig erhöhte Kassenhaltung schließen, die der allmählichen Erholung der Bankeinlagen in Italien und selbst Spanien ein abruptes Ende setzen könnte.

Grundsätzlich wird einem erneuten politischen Unsicherheitsschock für die Euro-Wirtschaft mit einer wachstumsfreundlichen Geldpolitik entgegengewirkt. Im Ernstfall würde die EZB den tatsächlichen Aufkauf von Staatsanleihen starten.

Dieses Rettungsversprechen ist auch dringend nötig, denn die Euro-Konjunkturerholung steht noch nicht auf stabilen Beinen. So hat sich der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe in der Eurozone zuletzt auf 46,6 eingetrübt und liegt damit noch unter der Expansion anzeigenden Schwelle von 50. Insbesondere die Wirtschaft in Frankreich lahmt.

Konjunkturlokomotive Deutschland mit etwas weniger Dampf

Die März-Daten des ifo Instituts haben gezeigt, dass selbst Deutschland vor euro-politischen Verunsicherungen wie z.B. der Hängepartie in Italien nach der Parlamentswahl nicht gefeit ist. Daten zur Geschäftslage und den -erwartungen sind zuletzt überraschend gefallen. Setzt man beide Daten gemäß den vier Phasen eines Wirtschaftszyklus zueinander in Beziehung, befindet sich die deutsche Wirtschaft jedoch weiterhin auf Boom-Kurs.

Grafik der Woche: ifo Konjunkturmatrix für Deutschland

Trotz des aktuellen Knicks bei den Geschäftserwartungen ist der deutsche Aktienmarkt aus fundamentaler Sicht gut unterfüttert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass andere Regionen ihre Wirtschaftskraft auch über eine üppige Geldpolitik stärken.

Aus charttechnischer Sicht hält die überkaufte Lage des deutschen Leitindex an. Im Falle einer Konsolidierung bietet die Marke bei 7978 ersten Halt. Darunter dient die Kurslücke zwischen 7898 und 7883 sowie die wichtige Marke bei 7872 Punkten als Unterstützung. Das gilt auch für den mittelfristigen Aufwärtstrend bei 7805 Punkten. Auf der Oberseite liegen signifikante Widerstände an der Marke von 8074 und im Bereich zwischen 8100 und dem Allzeithoch bei 8151 Punkten.

Weltweit bleiben die Notenbanken expansiv

Auch die US-Notenbank stellt weiter klar, dass ein Ende ihres geldpolitischen Doppelschlags aus Liquiditätsflut und Niedrigzinsen nicht in Sicht ist. Zum einen bleiben die Inflationserwartungen der Fed mit knapp unter zwei Prozent weit vom Schwellenwert von 2,5 Prozent entfernt, ab dem die Fed nach eigenen Angaben über Leitzinsanhebungen nachdenkt. Ohnehin steht der US-Geldpolitik mit den geschönten amerikanischen Inflationsausweisen ein dehnbarer Gummiparagraph zur Verfügung, um eine Zinswende noch lange hinauszuzögern.

Zum anderen ist trotz verbesserter Aussichten auf dem US-Arbeitsmarkt - statt einer Arbeitslosenquote von 7,4 bis 7,7 Prozent geht die Fed bis Jahresende nun von einer zwischen 7,3 und 7,5 aus - auch hier der für eine Zinswende kritische Schwellenwert einer Arbeitslosenquote von 6,5 Prozent nicht in Sicht.

Wieso sollte man auch die geldpolitische Offensive beenden, wenn die US-Fed selbst von deren positiver realwirtschaftlicher Wirkung überzeugt ist? Vor dem Hintergrund konjunktureller Bremsspuren angesichts der Zwangskürzungen im US-Haushalt ist eine Rechtfertigung für eine restriktivere Geldpolitik ohnehin nicht gegeben. Um ihre geldpolitischen Absichten zu unterstreichen, hat die US-Notenbank ihre Wachstumsprojektionen für das aktuelle Jahr leicht von zuvor 2,3 bis 3 auf aktuell 2,3 bis 2,8 Prozent revidiert.

Auch in Japan hat der neue Zentralbank-Gouverneur Kuroda bei seinem Amtsantritt deutlich hervorgehoben, dass ein frühzeitiger unbegrenzter Aufkauf von Staatsanleihen zur geldpolitischen Stimulierung der Wirtschaft schnellstmöglich in die Tat umgesetzt werden soll.

Die weltweit anhaltend üppige Liquiditätspolitik bleibt damit auch weiterhin ein wichtiges Argument für Edelmetalle. Edelmetalle als Anlageklasse mit inflationsschützender Wirkung sind weiter zu empfehlen.

Und das passiert in der nächsten Woche

Die Anleger befinden sich angesichts der neuen euro-politischen Turbulenzen weiterhin in Hab Acht-Stellung.

In Amerika weist der Einkaufsmanagerindex für die Region Chicago auf den anhaltenden Erholungskurs der US-Wirtschaft hin. Das unterstreichen die Daten der Auftragseingänge für langlebige Wirtschaftsgüter, die auf eine zunehmende Investitionsneigung hindeuten. Ein steigendes Verbrauchervertrauen des Conference Board weist zudem auf einen robusten US-Konsum hin.

In Deutschland verdeutlicht das GfK Konsumklima, dass die deutschen Verbraucher zu einem wichtigen Standbein der deutschen Wirtschaft avanciert sind.

Halvers Woche:

Euro-Politik - Spannender als ein Tatort

Bei der Lösungsfindung für Zypern macht die Politik wieder das, was sie am besten kann: Rumwurschteln. Wenn man auf die Schnapsidee kommt, die kleinen, an der Krise unschuldigen Sparer mit in Zwangshaftung für die Bankensanierung Zyperns zu nehmen, braucht man sich über Volkes Zorn nicht zu wundern. Warum hat man den zyprischen Sparern nicht gleich den früheren Schlagerhit Chris Howlands „Und dann hau ich mit dem Hämmerchen Dein Sparschwein kaputt“ vorgespielt.

Aus Vertrauen wird schnell Misstrauen

Grundsätzlich ist es irrational anzunehmen, dass ein „umgekehrter Banküberfall“ als Blaupause für Krisenlösungen in anderen Euro-Ländern dienen wird. Jedoch sollten Politiker bedenken, dass Menschen keine willfährigen Maschinen sind, sondern mitunter irrational handeln und psychologischen Massenphänomenen unterliegen. Unser Finanzsystem fußt wesentlich auf dem Vertrauen, dass Bankeinlagen sicher sind. Und wenn dann die heilige Kuh der euroländischen Einlagensicherung von 100 Tausend Euro auch nur im Entferntesten mit dem Geruch von Schlachthof in Berührung kommt, gilt die einfache Formel: Je weniger Vertrauen, desto schneller der Abzug von Bankeneinlagen. Insofern ist eine handwerklich schlechte Politik, die nicht über mehr Feingefühl als Keulen tragende Neandertaler verfügt, geeignet, das vorhandene Misstrauen einer bereits euro-ernüchterten Bevölkerung weiter zu verstärken.

Überhaupt haben sich in der Vergangenheit Euro-Politiker in der Disziplin „Vertrauen“ nicht wirklich mit Ruhm bekleckert. Vor der Kamera sprach man von Stabilität, dahinter wurde sie zertrümmert wie Meißner Porzellan beim Ehestreit. U.a. erinnere ich mich an den ehemaligen Eurogruppen-Chef Juncker, der heute längst zum finanzpolitischen Standard gehörende Hilfsleistungen zwischen Ländern der Eurozone einst als so absurd wie eine Hungersnot in Bayern bezeichnete. Ich kann mich regelmäßig davon überzeugen, dass die Bayern nach wie vor ganz gut im Futter liegen. Und wenn jetzt offensichtlich die Sparerenteignung als enttabuisiertes Instrument im Werkzeugkasten der Krisenlösung bereit liegt, kann man irritierten Sparern in Italien und Spanien frevelhafte Gedanken wohl kaum verdenken.

Oben bleiben!

Bei der Krisenlösungen wie im Falle Zypern muss Gründlichkeit ähnlich wie bei der Papstwahl oberste Priorität haben: Hinter verschlossenen Türen wird so lange diskutiert, bis eine vernünftige Wahl getroffen wurde. Erst dann steigt weißer Rauch auf und tritt man vor die Öffentlichkeit. Die Euro-Politik verpasst immer wieder wunderbare Gelegenheiten, den Mund zu halten.

Bei jeder Lösung für angeschlagene Euro-Länder darf die Euro-Politik nicht klein beigeben und muss für ihre Hilfsleistung selbstverständlich Gegenleistungen einfordern. Ansonsten könnten andere Sorgen-Länder diese euro-solidarischen "Hab dich lieb-Lösungen“ als Blaupause für eigene Zwecke missbrauchen und damit euroländische Sparauflagen als „Es kreiste der Berg und gebar eine Maus-Politik“ völlig unglaubwürdig brandmarken.

Grundsätzlich muss die Freigrenze der Einlagensicherung von 100 Tausend Euro unantastbar bleiben, damit kleine Sparer nicht die Zeche für z.B. die zyprische Steueroptimierung großer Investoren aus einem großen osteuropäischen Land zahlen müssen. Und unter Solidarität verstehe ich nicht, den Fortbestand eines instabilen Steuerparadieses mit Hilfe der euroländischen Steuerzahler weiter zu subventionieren.

Draghi platzt endlich der Kragen

Für mich ist es eine Wohltat, dass die EZB jetzt massiv Druck aufbaut, auf eine schnelle politische Lösung für Zypern pocht und ansonsten mit dem Ende der Notalimentierung der zyprischen Banken droht. Damit zeigt sie zum einen deutlich, dass sie nicht wie selbstverständlich die Kastanien für untätige, auf Zeit spielende Politiker aus dem Feuer holt. Und zum anderen beendet die EZB mit der geldpolitisch erzwungenen Lösung die Verunsicherung an den Märkten, die früher oder später auch die gesamt-euroländische real- und finanzwirtschaftliche Stimmung heimsuchen würde. Grundsätzlich sollte diese klare geldpolitische Kante auch bei zukünftigen Krisenszenarien an den Tag gelegt werden.

Wir werden bald sehen, was es der zyprischen Regierung Wert ist, ihr auf „Steueroptimierung“ fußendes Geschäftsmodell aufrechtzuerhalten. Statt große Bankengläubiger bei drohenden Bankenpleiten in Zwangshaftung zu nehmen, auf einen Solidaritätsfonds zu setzen, der auch die staatliche Rentenversicherung in Mitleidenschaft zieht, hat etwas von „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“.

Letzte Ausfahrt Zyprexit?

Und wenn dieser Plan B der Zyprer sich als windige Wundertüte herausstellen sollte, wird schließlich die Frage einer kontrollierten Pleite des zyprischen Bankensystems und damit des Landes aufgeworfen, der als Plan C auch den Austritt des Landes aus der Eurozone nach sich zöge. Das will zwar niemand und ich auch nicht. Aber für so manchen letzten Stabilitätsanhänger der alten Schule würden damit endlich die verstopften euro-politischen Ventile frei gepustet und das seit 2010 praktizierte System absurder Rettungsmaßnahmen auf wieder vernünftigere, weil stabilere Füße gestellt.

Immerhin, das zeigen die letzten problemlos verlaufenen Refinanzierungen anderer prekärer Euro-Länder, scheinen Überschwappeffekte nach einem Euro-Austritt Zyperns von den Finanzmärkten nicht erwartet zu werden.

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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