Kommentar
13:42 Uhr, 15.02.2013

Schulden und Geldpolitik: Zwei wie Pech und Schwefel

Die Euro-Politik lebt in anhaltender politischer Harmonie. Diesen Burgfrieden wird man zur weiteren Befriedung der Euro-Krise nicht verspielen wollen. Eine Stabilisierung der Euro-Wirtschaft auch zum Preis einer weiter ansteigenden Staatsverschuldung wird stillschweigend in Kauf genommen. Denn ausbleibende Investitionen der Privatwirtschaft müssen, um keine rezessiven Folgeschäden nach sich zu ziehen, durch staatliche ersetzt werden. Konkret muss die staatliche Neuverschuldung die schwachen Investitionen der Privatwirtschaft - gemessen an der seit Ende 2011 deutlich rückläufigen Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte - ausgleichen. Es ist sogar zu erwarten, dass die Neuverschuldung in der Eurozone sich als nicht ausreichend erweisen könnte, um die Rezession wirkungsvoll zu bekämpfen. Der insgesamt von den Politikern projizierte Rückgang der Staatsneuverschuldung im Vorjahresvergleich von 11 Prozent im Jahr 2011 auf sechs Prozent 2013 könnte sich insofern als Makulatur erweisen.

Grundsätzlich darf bei dieser Art der staatlichen Krisenintervention ein deutlicher Anstieg der Zinszahlungen an den Gesamtausgaben der Euro-Länder aber nicht zugelassen werden. Die Schuldentragfähigkeit würde ansonsten Schaden nehmen und nötige Investitionsausgaben der Staaten beschränken. Vor diesem Hintergrund bleibt die EZB mit ihrer Rendite drückenden Geldpolitik noch für lange Zeit fester Bestandteil der Realität an den Finanzmärkten. Sie muss die Zinskosten in den nationalen Budgets begrenzen.

Plastisch wird die Notwendigkeit der geldpolitischen Krisenpolitik am Beispiel Spanien. Das Land kämpft aufgrund seiner dramatisch ansteigenden Verschuldung mit dramatischen Zinskosten als Anteil am Haushaltsbudget.

Die EZB kann die Pferde nur zur Tränke führen

Grundsätzlich stützt die Kombination aus zunehmender Staatsverschuldung und günstigen Verschuldungskonditionen zwar die Rahmenbedingungen für die Euro-Länder. Offensichtlich nimmt jedoch die Wirkung der staatlichen Konjunkturförderung - bei Keynes heißt so etwas deficit spending - ab. Um überhaupt noch Wirtschaftswachstum erzeugen zu können, muss der Kredithebel in den prekären Euro-Staaten Italien und Spanien, aber auch in Frankreich immer größer werden. Denn Unternehmensinvestitionen und der Konsum tragen immer weniger zur Wirtschaftsleistung bei. So ist in Italien mittlerweile eine Neuverschuldung von 126 Euro erforderlich, um ein Wirtschaftswachstum von 100 Euro zu erzielen, Tendenz aufwärts. Nur für Deutschland ist eine rückläufige Tendenz, also eine verbesserte Schuldeneffizienz zu beobachten.

Allerdings findet die üppige Liquiditätsausstattung der euroländischen Finanzmärkte - insbesondere nachdem euroländischen Geschäftsbanken zum Jahreswechsel 2011/2012 eine Billion Euro an Krediten mit dreijähriger Laufzeit zur Verfügung gestellt wurden - keinen Niederschlag in Form steigender Kredite an Unternehmen und Haushalte. Im Gegenteil, die Banken zahlen diese Finanzmittel an die EZB zurück. Dagegen ist das Kreditwachstum an den Privatsektor seit Ende 2011 klar rückläufig. Die im Trend ansteigende Geldmenge M3 ist insofern Ausdruck einer deutlichen volkswirtschaftlichen Liquiditätshaltung.

Damit wird klar, dass die prekären Euro-Staaten nur über den beschwerlichen Weg der Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Standortqualitäten eine nachhaltige Dynamisierung ihrer Wirtschaft erzielen können. Dazu zählt auch die Belebung der eigenen Exportwirtschaft, um die Volkswirtschaft breiter aufzustellen und - wie Deutschland - mehr von der Dynamik der Weltkonjunktur zu profitieren.

Der wirtschaftliche Niedergang von wirtschaftsreformrenitenten Ländern wie Italien oder auch Frankreich lässt sich nicht zuletzt an ihren Anteilen am Welthandel ablesen. Während hier Deutschland seine Position trotz der „Neuzugänge“ von Ländern wie China und Südkorea seit Jahren halten kann, sind Anteilsverluste von Italien und Frankreich unverkennbar. So hat sich die Position Frankreichs von 6,6 Prozent noch 1990 bis heute fast halbiert. Plastisch wird diese Entwicklung am Beispiel Automobilsektor: Während die weltweit gut aufgestellte, deutsche Autoindustrie über vergleichsweise stabile Umsatz- und Gewinnzahlen berichten kann, ist anderenorts der Staat gezwungen, Autounternehmen zu stützen.

Grafik der Woche: Anteile am Welthandel, in Prozent

Der Abschwung gibt auf

Unabhängig davon zeigt sich die weltweite Konjunkturperspektive weiter aufgehellt. Setzt man laut ifo Institut die aktuelle Einschätzung der Geschäftslage und der Geschäftserwartungen der Unternehmen des globalen Verarbeitenden Gewerbes zueinander in Bezug, so befindet sich die Weltwirtschaft bereits im I. Quartal 2013 wieder in der Aufschwungphase. Von dieser wirtschaftlichen Belebung profitiert auch die Eurozone, so dass der konjunkturelle Tiefpunkt im IV. Quartal 2012 mit einer um 0,6 Prozent zum Vorquartal schrumpfenden Wirtschaft erreicht wurde.

Unterstützt wird diese positive Konjunktureinschätzung durch die Kursentwicklung mittelständischer deutscher Unternehmen. Seit Ende 2009 entwickeln sich die im MDAX und SDAX gelisteten, vergleichsweise konjunktursensitiv ausgerichteten Unternehmen im Vergleich zum DAX eindeutig besser. Der MDAX konnte zuletzt sogar ein neues Allzeithoch erreichen. Zahlreiche Titel besetzen mit ihren spezialisierten Qualitätsprodukten, Industriepatenten und einer effizienten Kostenstruktur oftmals die Position als Weltmarktführer auch in Nischenmärkten. Mit ihrer im Vergleich zur europäischen Konkurrenz grundsätzlich breiten internationalen Ausrichtung können diese Unternehmen die Verwerfungen auf dem europäischen Binnenmarkt gut abfedern.

Die Unternehmensausblicke bleiben freundlich

Trotz eines Gewinneinbruchs um 29 Prozent zum Vorjahr aufgrund eines schwachen Europa-Geschäfts konnte der Stahlkonzern ThyssenKrupp die Analystenerwartungen übertreffen. Dabei erwartet der Konzern eine Stagnation in diesem, aber eine Steigerung der Geschäftsergebnisse im nächsten Geschäftsjahr.

Der US-Getränkehersteller Coca-Cola konnte aufgrund des Umsatzes in den Schwellenländern und Nordamerika die Schwäche in Europa kompensieren und den Gewinn im IV. Quartal um 13 Prozent zum Vorjahr steigern. Auch aufgrund der Ausweitung des Soft Drink-Angebots geht der Konzern von einer weiteren weltweiten Umsatzbefestigung aus.

Auch dem weltgrößten Lebensmittelkonzern Nestlé haben die Schwellenländer 2012 ein Gewinnwachstum von gut 11 Prozent beschert und damit die schwächelnde Nachfrage aus Europa überkompensiert. Im Ausblick ist Nestlé optimistisch und peilt 2013 ein organisches Wachstum von fünf bis sechs Prozent an.

Und was passiert in der nächsten Woche?

In Deutschland dürften die Zahlen der Deutschen Börse unter der Finanzmarktunsicherheit im IV. Quartal 2012 gelitten haben. Von Allianz hingegen sind solide Zahlen zu erwarten.

Auf Makroebene sind vor den Wahlen in Italien am 24. und 25. Februar politische Störfeuer für die Finanzmärkte möglich. Das gilt auch für die politische Debatte in den USA zwischen Demokraten und Republikanern über die drohenden automatischen Ausgabenkürzungen zum 1. März. Im Zweifelsfall ist allerdings mit einer erneuten Fristverlängerung mit Wiedervorlage in den kommenden Monaten zu rechnen.

Daneben werden weiterhin die „harten“ Konjunkturdaten das Bild an den Finanzmärkten bestimmen. In Amerika verdeutlichen die Baubeginne und -genehmigungen sowie der NAHB Wohnungsmarktindex die anhaltende Stabilisierung der US-Wirtschaft. Gleichzeitig deutet der Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed auf eine Stabilisierung der US-Industrie hin. Trotz der Besserungszeichen dürfte das veröffentlichte Protokoll der letzten Zinssitzung der Fed weiterhin auf die konjunkturellen Abwärtsrisiken verweisen. Ein Ende der expansiven Liquiditätspolitik ist weiter nicht in Sicht.

In Euroland kommt es zum konjunkturellen Stimmungstest. Die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe der Euro-Länder stehen an. Von besonderem Interesse sind die Daten vom ZEW und des ifo Instituts, die ihren zuletzt positiven Trend ausbauen sollten. Vor allem eine erneute Aufhellung der ifo Geschäftserwartungen deutet darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft bereits in diesem Quartal die Konjunkturwende einleitet.

Aus charttechnischer Sicht ist der DAX überverkauft und für eine Erholung reif. Sollte er dabei den Widerstandsbereich zwischen 7750 und 7765 Punkten durchbrechen, sind weitere Kursgewinne bis zur Marke bei 7790 Punkten und darüber bis zum Jahreshoch bei 7871 Punkten möglich. Darüber liegt die nächste signifikante Barriere an der psychologisch wichtigen Barriere von 8000 Punkten.

Im Falle einer anhaltenden Korrektur findet der DAX im Bereich zwischen 7600 und 7550 Punkten Halt. Wird dieser Auffangbereich durchbrochen, wartet die nächste Unterstützungszone zwischen 7450 und 7400 Punkten. Darunter gibt es bei 7354 Punkten halt.

Halvers Woche:

Amerika gibt beim Wachstum Vollgas

Normalerweise ist die State of the Union Address - die Ansprache des US-Präsidenten zur Lage der Nation - eine eher hoch emotionale Show-Veranstaltung, bei der der jeweilige Amtsinhaber vor dem Kongress schöngefärbte politische Absichtsbekundungen von sich gibt.

Die alten Zöpfe abschneiden

Dieses Jahr gab es aber einen Aha-Effekt. Nach dem Motto „Kinder, Narren und nicht wieder wählbare US-Präsidenten sagen immer die Wahrheit“ machte Barack Obama klar, dass er in seiner letzten Amtszeit - wie früher Reagan und Clinton - zur wirtschaftspolitischen Hochform auflaufen will. Das Haltbarkeitsdatum des alten wachstumspolitischen Überraschungseis von Spannung (Mega-Import), Spiel (Mega-Verschuldung) und Schokolade (Mega-Konsum) ist ohnehin längst abgelaufen.

Ohne Wachstum ist das ganze Jahr Aschermittwoch

Neue Wachstumsperspektiven braucht das Land. Obamas Vision ist ein zügiger Wiederaufbau der Infrastruktur, die schnelle Reindustrialisierung und damit auch der Export als neue Wirtschaftsstütze. Zu dieser Erkenntnis gelangt jeder, der in Amerika über Straßen fährt, in deren Schlaglöcher ein Kind bei Regen mühelos sein Seepferdchen ablegen könnte.

Dabei ist der Nährboden in den USA offenbar fruchtbar. Denn Amerikas alte, ausgeblutete Industriezentren erhalten derzeit eine Frischzellenkur. Viele US-Firmen, die ihr Billig-Billig-Heil für viele Jahre in Asien suchten, kommen mittlerweile geläutert zurück. China ist nämlich eins: Zu teuer geworden. Daneben prüfen viele ausländische, energiewendeabgeschreckte Unternehmen Investitionen in den USA aufgrund der dort wirklich billigen Energieversorgung. Der oft beschriebene wirtschaftliche Untergang Amerikas und der alleinige Aufstieg Chinas sind eben nicht in Stein gemeißelt.

Der Präsident will kein One-Hit-Wonder der US-Wirtschaft, nein, er will einen Evergreen. Er weiß, dass Amerika eben nicht durch z.B. den Konsum von in Asien gefertigten Teletubbies zur Weltmacht geworden ist, sondern durch seine frühere breite Industrieführerschaft. Ja, God's Own Country war einmal die größte Industrie- und Exportnation der Welt. Die Botschaft ist klar: Die USA müssen wieder etwas produzieren, was die Welt braucht. Dazu passt im Übrigen auch ein exportfördernder, derzeit schwacher Dollar. Amerikas ehemalige Strong Dollar-Politik ist längst in die ewigen Jagdgründe eingegangen.

Und wenn jetzt die Weichen auf Industrie und Export gestellt sind, versteht man auch - ein Schelm, wer Böses dabei denkt - die plötzliche Begeisterung Obamas für eine Freihandelszone mit der Europäischen Union: Freie Märkte für freie US-Produkte.

Neue Schulden? Ja, und die Fed gibt Rückendeckung

Kommt der Umbau der US-Wirtschaft ohne Neuverschuldung aus? Ja, und die Erde ist eine Scheibe. Die politische Lösung im US-Schuldenstreit wird darin bestehen, neue Schulden schwerpunktmäßig für Infrastruktur und Industrieförderung auszugeben, sozusagen eine Große Koalition für neue Schulden gegen harte Ware.

Und die US-Notenbank wird massive Schützenhilfe leisten. Schon heute finanziert sie 40 Prozent des US-Haushaltsdefizits. Da ist noch mehr drin. Ohnehin misst die Fed der Stabilität à la Bundesbank ungefähr so viel Bedeutung bei wie der Metzger Körnerkost oder Tofu.

US-Aktien? Yes Sir!

Damit hat der amerikanische Aktienmarkt die Kraft der drei Herzen. Üppige Geldpolitik trifft auf industrielle Konterrevolution und neue Exportvision. Verehrte Anlegerinnen und Anleger, schaffen Sie in Ihrem Depot ein wenig Platz. Dabei ist es wie beim Metzger: Darf es ein bisschen mehr an US-Aktien sein? Ja, es darf!

Volkswirtschaftliche Prognosen auf einen Blick

Kapitalmarkt auf einen Blick

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Rechtliche Hinweise/Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenskonflikten der Baader Bank AG:

http://www.baaderbank.de/disclaimer-und-umgang-mit-interessenskonflikten/

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