Nachricht
10:34 Uhr, 23.04.2024

Scholz drängt EU zur Kapitalmarkt- und Bankenunion - "Alte Zöpfe abschneiden"

Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones) - Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Länder der Europäischen Union zu eine Verständigung auf einen tieferen und leistungsfähigeren Kapitalmarkt und eine Bankenunion aufgefordert, um so die Wachstumsperspektiven des Kontinents zu verbessern. In einer Rede auf dem Bankentag in Berlin betonte Scholz, dass es darum gehe, "alte Zöpfe" abzuschneiden und hier einen Fortschritt zu erreichen. "Es ist meine Überzeugung, dass der wesentliche Unterschied für die Wachstumsperspektiven der USA und Europas in der fehlenden Kapitalmarktunion und auch der fehlenden Bankenunion liegt. Wir werden das zu einem Thema größter Priorität machen. Wir müssen weg von irgendwelchen Expertenausschüssen hin dazu, dass es politisch vorangetrieben wird", sagte Scholz.

Dabei gehe es etwa darum zu einem gemeinsamen Insolvenzrecht zu kommen. Vielleicht gebe es in der EU 27 mal das beste Insolvenzrecht der Welt. Aber vielleicht wäre es besser, die EU hätte einmal das zweitbeste, aber dann einheitlich für alle 27 Staaten. Zwar könne es sein, dass in der Vergangenheit dadurch einige von Sondervorteilen in ihrer Regulierung und der Steuerpraxis Gebrauch gemacht hätten.

"Aber das zu verteidigen heißt, dass wir nicht die Größe des europäischen Kapitalmarkts voll zur Kraft bringen können. Dann bedeutet das, auf Wachstum zu verzichten. Das kann kein staatlicher Investitions- und Innovationsfonds ersetzen. Wir können helfen, mit dem, was wir da machen. Aber wir können nicht das ersetzen, was privates Kapital zustande bringen muss", mahnte Scholz. "Wir brauchen mehr Dynamik, wir brauchen mehr Fortschritt und wir brauchen mehr Bereitschaft, alte Zöpfe abzuschneiden."

In seiner Rede Scholz betonte Scholz, dass Europa bessere Finanzierungsmöglichkeiten und Kapital für Innovationen bieten müsse. Er verwies auf Schätzungen des früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, nach der Europa für den globalen Umbau der Volkswirtschaft für das post-fossile Zeitalter pro Jahr 500 Milliarden Euro an Kapital benötige in Form von Krediten und Kapitalbeteiligungen. Dies wäre überwiegend privates und nicht staatliches Kapital, so Scholz. Es sei an der Zeit, "dicke Bretter zu bohren", sagte er.

   Vertiefung der Kapitalmarktunion 

Neben substantiellen Fortschritten bei der Vertiefung der Kapitalmarktunion braucht Europa dem Kanzler zufolge für einen leistungsfähigeren Kapitalmarkt und eine Bankenunion auch eine stärkere Harmonisierung des Insolvenzrechtsrechts und mehr gemeinsame Steuerstandards. Nötig seien auch eine stärkere Harmonisierung der Kapitalmarktaufsicht und die Stärkung des Verbriefungsmarktes zur Finanzierung der Realwirtschaft. Zudem sollten Privatanleger einen Zugang zu breiteren Palette von Finanzprodukten erhalten, wie Scholz forderte.

Hier arbeite die deutsche Regierung mit der französischen Regierung "intensiv an konkreten Vorschlägen", so Scholz. Man müsse jetzt den Druck machen, dass etwas passiere und man vorangehe. Zusätzlich zur Vollendung der Bankenunion sei ein gemeinsamer Markt für Bankdienstleistungen wichtig und bessere Bedingungen für grenzüberschreitend tätige Banken.

   Deutsches Wirtschaftswachstum zu gering 

Mit Blick auf die Situation in Deutschland räumte Scholz ein, dass die Stagnation der Wirtschaft im vergangenen Jahr und das magere Wachstum von 0,2 Prozent in diesem Jahr zu wenig sei und mehr möglich sein sollte. Als externe Gründe für die Konjunkturschwäche in Deutschland identifiziert Scholz die schwache Weltkonjunktur, die aufgrund des Verzichts auf russischer Energie explodierten Energiepreise und den Anstieg der Zinsen.

Aber er sieht auch strukturelle Wachstumshemmnisse, wie besonders der Mangel an Arbeitskräften, Versäumnisse bei der Schaffung von verlässlicher und bezahlbarer Energieversorgung sowie die Hemmnisse durch Bürokratie und Überregulierung in vielen Bereichen. Hier forderte er die EU-Kommission auf, Bürokratie stärker abzubauen.

Mit Blick auf die Energieversorgung betonte Scholz, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien vorankomme und Deutschland annähernd das Tempo für sein Ziel erreicht habe, im Jahr 2030 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren zu gewinnen. Er betonte, dass seine Regierung Schritte auf den Weg gebracht habe, um die Energieversorgung der Zukunft verlässlich zu regeln. Auch betonte er, dass Deutschland durch den Ausbau der Halbleiterindustrie substanziell seine Wachstumskräfte stärke.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

DJG/aat/apo

Copyright (c) 2024 Dow Jones & Company, Inc.