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11:00 Uhr, 05.09.2024

RWI: In Deutschland ist kein konjunktureller Aufschwung in Sicht

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Das RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hat seine Prognosen für das Wirtschaftswachstum in diesem und dem kommenden Jahr gesenkt. Das Institut erwartet für dieses Jahr einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,1 Prozent, im Juni war es noch von einem Plus von 0,4 Prozent ausgegangen. "In Deutschland ist kein konjunktureller Aufschwung in Sicht", erklärte das RWI in seiner neuen Konjunkturprognose. Für das Jahr 2025 senkte es die Prognose von 1,5 auf 0,9 Prozent. Für das Jahr 2026 geht das RWI von 1,4 Prozent Wirtschaftswachstum aus. Grund für die niedrigeren Prognosen für dieses und nächstes Jahr sei vor allem, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage trotz teils spürbar verbesserter Rahmenbedingungen bisher keinen Schwung entfalte.

Zwar hätten sich einige Rahmenbedingungen spürbar verbessert, so habe die Inflation nachgelassen und die real verfügbaren Einkommen seien gestiegen. Trotzdem hielten die Unternehmen sich weiterhin mit Investitionen zurück. Auch die privaten Haushalte hätten bislang trotz gestiegener real verfügbarer Einkommen ihrem Konsum nicht ausgeweitet. Zudem wiesen die deutschen Exporte wenig Dynamik auf. Ihr Expansionstempo bleibe derzeit hinter dem des Welthandels zurück. "Die deutschen Unternehmen verlieren dadurch Weltmarktanteile", konstatierte das RWI.

Die Inflationsrate dürfte im Durchschnitt dieses Jahres 2,3 Prozent betragen und in den kommenden beiden Jahren auf jeweils 2,0 Prozent zurückgehen. Sie sei mit voraussichtlich 1,9 Prozent im August stärker als erwartet gesunken. In den kommenden Monaten dürfte sie nochmals leicht ansteigen. Die Arbeitslosenquote dürfte im Durchschnitt dieses Jahres bei 6,0 Prozent liegen und in den nächsten beiden Jahren auf 5,9 respektive 5,7 Prozent sinken. Die Zahl der Arbeitslosen erwartete das RWI 2024 bei 2,787 Millionen, 2025 bei 2,756 Millionen und 2026 bei 2,659 Millionen. "Trotz der anhaltenden Konjunkturschwäche zeigt sich der deutsche Arbeitsmarkt weiterhin recht robust", betonten die Ökonomen aus Essen.

Das Defizit der öffentlichen Haushalte dürfte 2024 auf gut 89 Milliarden Euro zurückgehen. Die Einnahmen des Staates stiegen kräftig, sowohl Steuereinnahmen als auch Sozialbeiträge wüchsen. Gleichzeitig sänken die Staatsausgaben, unter anderem durch den Wegfall von "Preisbremsen". Im Jahr 2025 dürfte das Finanzierungsdefizit weiter auf 68 Milliarden Euro und im Jahr 2026 auf 62 Milliarden Euro sinken und damit dieses Jahr 2,1 Prozent des BIP, nächstes 1,5 Prozent und übernächstes 1,3 Prozent betragen.

Risiken für die deutsche Konjunktur sind nach Einschätzung des RWI unter anderem ein weiterhin schwacher privater Konsum und anhaltende Unsicherheit hinsichtlich wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Die Wirtschaft könnte "aus der inzwischen ungewöhnlich langanhaltenden Stagnationsphase erneut in die Rezession abgleiten", warnten die Ökonomen. Die privaten Haushalte könnten sich aufgrund des steigenden Arbeitsplatzrisikos noch stärker mit Anschaffungen zurückhalten, sodass der private Konsum sich weiterhin nicht erhole.

Sollten größere, auf die Revitalisierung der Wachstumskräfte ausgerichtete politische Reformvorhaben bis nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr verschoben werden, dürfte dies zudem dazu beitragen, dass sich die heimischen Unternehmen weiterhin mit Investitionen zurückhielten oder verstärkt Investitionen im Ausland vornähmen. Auch die Schwäche der deutschen Exporte könnte anhalten, und damit könnten auch deren Impulse für die Wirtschaft schwächer ausfallen. "Damit die deutsche Wirtschaft sich aus ihrer Stagnation befreit, braucht es vor allem sichere Investitionsbedingungen für Unternehmen und eine Erholung des privaten Konsums", betonte RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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