Kommentar
20:44 Uhr, 11.02.2004

Rohöl - OPEC senkt die Förderquoten

1. Die OPEC hat auf ihrer gestrigen Sitzung in Algiers einmal mehr für eine Überraschung gesorgt: Völlig unerwartet und entgegen den Ankündigungen verschiedener OPEC-Ölminister im Vorfeld des Treffens beschloss sie, die Förderquoten um 1 Million Barrels am Tag (mbd) auf dann 23,5 mbd zu senken. Diese Kürzung soll per 1. April wirksam werden. Gleichzeitig hat sie an die Quotendisziplin der Mitgliedstaaten appelliert. Diese ließ in den vergangenen Monaten durchaus zu wünschen übrig. Allein im Januar belief sich die Überproduktion auf 1,5 mbd. Sollten beide Beschlüsse umgesetzt werden, würde dies Produktionskürzungen in Höhe von 2,5 mbd gleichkommen.

2. Zur Rechtfertigung der Quotensenkung führte der saudische Ölminister Ali al-Naimi die Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) an, welche den Bedarf an OPEC-Öl im zweiten Quartal auf lediglich 23,3 mbd schätzt. Anzumerken ist hierbei allerdings, dass die IEA die Nachfrageentwicklung in den vergangenen Jahren systematisch unterschätzt hat. Gleichzeitig hat sie die Angebotsentwicklung von Nicht-OPEC-Förderländern regelmäßig überschätzt. Würde die OPEC-Produktion daher tatsächlich auf ein Niveau von 23,5 mbd zurückgefahren, hätte dies vermutlich einen starken Ölpreisanstieg zur Folge. Nach den Erfahrungen der letzten Quotensenkung, die OPEC hatte die Märkte bereits im vergangenen September mit einer völlig unerwarteten Senkung überrascht, gehen wir allerdings nicht davon aus, dass die Entscheidung tatsächlich umgesetzt wird. Die Entscheidung scheint vielmehr eine Präventivmaßnahme zu sein, um Spekulationen auf ein mögliches Überangebot am Ölmarkt, und damit Wetten auf fallende Preise, von vornherein im Keim zu ersticken. Wir rechnen zwar mit einer leichten Drosselung der Produktion, um den saisonal bedingten Nachfragerückgang zu glätten, die Produktion wird aber trotzdem weit über der zukünftigen Förderquote von 23,5 mbd liegen.

3. Was bedeutet nun die gestrige Entscheidung für die zukünftige Ölpreisentwicklung? In den nächsten Wochen sehen wir wenig Chancen auf eine Entspannung am Ölmarkt. Eine Kombination aus niedrigen Lagerbeständen und tiefen Temperaturen hat in den vergangenen Wochen und Monaten vermehrt Spekulanten dazu veranlasst, auf steigende Preise zu wetten. Wirft man einen Blick auf die spekulativen Positionen, die überwiegend von Hedge Fonds gehalten werden, so befinden sich diese auf historisch hohen Niveaus. Selbst vor dem Irak-Krieg wurden keine derart hohen Long-Positionen aufgebaut. Dadurch wurde der Ölpreis zusätzlich nach oben verzerrt. Nachdem der Winter andauert und in den USA schon der nächste Kälteeinbruch erwartet wird, besteht für Spekulanten derzeit wenig Grund, diese massiven Long-Positionen kurzfristig abzubauen. So lange die Heizperiode anhält, bleibt auch die Ölnachfrage stark. Nach dem Ende der Heizperiode (für Anfang März zu erwarten) und mit Beginn der nachfrageschwachen Zwischensaison (März bis Juni) rechnen wir allerdings damit, dass Spekulanten ihre Long-Positionen abbauen werden. Dies sollte zwangsläufig zu einem Ölpreisrückgang auf durchschnittlich 30 USD/bbl für WTI im zweiten Quartal führen.

4. Dennoch: Die Lage am Ölmarkt bleibt weiterhin eng. Hauptverantwortlich hierfür sind die extrem niedrigen Lagerbestände. Diese bewegen sich vor allem in den USA auf Niveaus, die noch weit niedriger sind als im vergangenen Jahr. Und das, obwohl damals ein Generalstreik in Venezuela die dortige Produktion für sechs Wochen nahezu komplett lahm gelegt hatte und dann auch noch die irakische Produktion ausfiel. Auch wenn diese Sonderfaktoren mittlerweile abgeklungen sind, oder durch Produktionsausweitungen anderer OPEC-Förderländer kompensiert wurden, scheint eine starke Nachfrage einem Lageraufbau weiterhin entgegenzuwirken. Die immer noch extrem niedrigen Lagerbestände werden daher auf in Zukunft dafür sorgen, dass der Ölpreis nicht nur auch hohem Niveau verharrt, sondern dass auch die Volatilität sehr hoch bleiben wird. Denn bei den derzeitigen Niveaus können unvorhergesehene Produktionsausfälle oder Lieferschwierigkeiten rasch zu einem starken Ölpreisanstieg führen.

5. Angesichts der anhaltend engen Lage am Ölmarkt haben wir unsere Ölpreisprognose in den letzten Tagen angepasst. Im Detail ergibt sich daraus eine Aufwärtsrevision um 1,50 USD/bbl im Jahresdurchschnitt sowohl für das laufende als auch für das nächste Jahr. Der Preis für WTI bzw. Brent Blend sollte folglich 2004 bei durchschnittlich 29,50 bzw. 28 USD/bbl notieren. 2005 erwarten wir dann Preise von 29 bzw. 27,50 USD/bbl für WTI bzw. Brent Blend im Jahresdurchschnitt. Das Prognoserisiko liegt aufgrund der niedrigen Lagerbestände und der damit verbundenen hohen Anfälligkeit für exogene Schocks eindeutig auf der oberen Seite.

6. Langfristausblick: Nachdem der Ölpreis nun bereits seit fast vier Jahren auf hohem Niveau verharrt, lohnt auch ein längerfristiger Ausblick auf die Ölpreisentwicklung. Die Kernaussage vorab: Es wird zu wenig investiert, wodurch die Angebotsausweitung langfristig nur schwer mit der Nachfrageausweitung Schritt halten kann.

Obwohl die Markterwartungen zumindest für das laufende Jahr stark nach oben angepasst wurden, liegen die Prognosen für die Langfristentwicklung im Durchschnitt immer noch zwischen 18 und 21 USD/bbl. Gerade diese, am Markt vorherrschende Meinung ist es aber unserer Ansicht, die dazu führen wird, dass Preise nahe der 30 USD/bbl-Marke auch auf lange Sicht immer wahrscheinlicher werden. Erklären lässt dich dies wie folgt: Während die sogenannten Finding & Development (F&D)-Kosten Anfang der Neunziger aufgrund technologischer Fortschritte stark gesunken sind, steigen sie nun bereits seit einigen Jahren wieder kräftig an, d.h. die Kosten für neue Investitionsprojekte sind mittlerweile deutlich höher als Mitte der Neunziger, und sie steigen weiter. Dies wäre grundsätzlich kein Problem, wenn man sich die günstige Ölpreisentwicklung der vergangenen vier Jahre vor Augen führt. Dadurch, würde man meinen, sollten die steigenden Kosten kompensiert werden. Fakt ist nun aber, dass die Erwartungen für den langfristigen Durchschnittspreis immer noch zwischen 18 und 21 USD/bbl liegen. Dies ist auch der Preis, den die Ölkonzerne ihren Berechnungen für die Rentabilität neuer Investitionsprojekte zugrunde legen. Würden sie mit einem höheren Ölpreis kalkulieren, würden sie sehr schnell vom Markt abgestraft werden. Offensichtlich ist aber auch, dass bei steigenden Kosten und einer Ölpreisannahme von 21 USD/bbl weniger Investitionen rentabel erscheinen, als bei einer Ölpreisannahme von 25 oder 30 USD/bbl. Tatsächlich hat das Produktionswachstum der Ölkonzerne in den vergangenen Jahren regelmäßig enttäuscht. Solange die Langfristprognosen nicht stärker nach oben angepasst werden, wird sich an diesem Investitionsstau vermutlich auch nichts ändern.

Doch auch innerhalb der OPEC wird zu wenig investiert, obwohl die staatlichen Ölgesellschaften nicht vom Markt abgestraft werden können. Saudi Arabien beispielsweise nutzte den vergleichsweise hohen Ölpreis der vergangenen Jahre nicht, um neue Investitionen zu tätigen. Im Gegenteil, die unverhofften Einnahmen wurden hauptsächlich genutzt, um die Staatsausgaben zu erhöhen.

7. Für den Ölmarkt ergeben sich daraus folgende Implikationen: Für die OPEC wird es leichter, den Ölpreis auf hohem Niveau zu halten. Sie kann sich in den nächsten Jahren vermutlich zurücklehnen und wird trotzdem kontinuierlich Marktanteile zurückgewinnen. Gesetzt dem Fall, die OPEC-Mitgliedsstaaten werden nicht zu gierig und überschwemmen den Markt mit ihren noch bestehenden freien Kapazitäten, werden die nächsten Jahre für die OPEC-Fördernationen bei weitem nicht so herausfordernd wie von vielen erwartet. Die Organisation wird zwar versuchen, den saisonalen Mustern der Ölnachfrage Rechnung zu tragen, und den Markt in Perioden schwacher Nachfrage, wie beispielsweise im Frühjahr, nicht zu überfluten. Den Bedarf an massiven Quotenkürzungen, wie er von vielen Marktteilnehmern immer noch erwartet wird, sehen wir allerdings nicht.

Fazit bleibt daher: Einen nachhaltigen Ölpreisrückgang sehen wir in den nächsten Jahren nicht. Einerseits wird die ständig wachsende Nachfrage vor allem aus Ländern wie China oder Indien dafür sorgen, dass der Ölpreis auf hohem Niveau gestützt bleibt. Andererseits ist zu befürchten, dass die Angebotsausweitung der Nicht-OPEC-Förderländer nicht mit der Nachfrageentwicklung Schritt halten kann. Solange innerhalb der OPEC noch genügend freie Kapazitäten vorhanden sind, kann sie für das fehlende Angebot aufkommen. Die weltweiten Überkapazitäten würden dann aber weiter dahinschmelzen.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von rund 131 Mrd. Euro gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands.

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