Kommentar
10:35 Uhr, 03.07.2012

Realistisch sind 700 Milliarden Euro komplett verloren

Herr Boehringer, Sie bloggen aktiv, haben am Buch „Der private Rettungsschirm“, mitgeschrieben, sind unabhängiger Vermögensberater, Gründer der Deutschen Edelmetall-Gesellschaft e. V . und Mitbegründer der Initiative „Holt unser Gold heim“. An welchem Punkt haben Sie sich entschieden, gegen den bizarren Klamauk, der auf EU-Ebene passiert, anzuschreiben?

Der Ausgangspunkt lag schon vor der Jahrtausendwende, als die Ereignisse im Wirtschafts- und Börsenbereich – aber auch damals schon in Politik und Gesellschaft nicht mehr im Einklang waren mit den Dogmen und Idealen, unter denen ich aufgewachsen und sozialisiert worden bin. Intuitiv beschlichen mich Zweifel schon in der Blase der New-Economy-Zeit. Im Rückblick gesehen war diese Zeit – besonders in der Finanzbranche – schon damals dekadent und irrational. Seit Mitte der 1990er-Jahre musste der Goldpreis manipuliert werden, um die Kreditgeldblase in dramatischer Weise aufblähen zu können. Deren Platzen im März 2000 hätte eigentlich endgültig die Schulden-Ausbuchungsphase und den deflationären Kondratieff-Winter auslösen müssen, was aber dann seit 2002 und bis heute mit immer verrückteren System-„Rettungsmaßnahmen“ verhindert wurde.

Das heute erreichte Ausmaß dieses Wahnsinns konnten wir um 1999 und auch 2002 zwar noch nicht ahnen. Trotzdem hatten einige wenige sensible Beobachter schon damals das Gefühl, dass die berichtete Realität von der tatsächlichen immer weiter abwich.Heute ist klar, dass dies kein Gefühl war, sondern eine Tatsache. Wenn behauptetes Weiß auch bei x-fachem Betrachten immer und immer wieder schwarz aussieht, dann sollte man irgendwann einmal prüfen, ob es nicht vielleicht einfach Schwarz ist.

Dieser nagende Zweifel führte 2002 nicht nur zur Kündigung bei der englischen Private-Equity-Gesellschaft, bei der ich damals „voll im System“ angestellt war, sondern zu meinen ersten Finanzbriefen, die zwar formal Infobriefe für meine Kunden der Vermögensberatung waren, die aber psychologisch betrachtet meine selbst gewählte Methode waren, die Dinge und Widersprüche zu strukturieren, zu ordnen und im Laufe von etwa zwei Jahren in vielen Artikeln zu einer schriftlichen Ursachenforschung zu aggregieren.

Über Jahre des Selbststudiums zusammen mit Gleichgesinnten in unterschiedlichsten systemkritischen Foren, ergab sich schließlich ein stimmiges Bild, das die zunehmende Usurpation und Pervertierung der Ideale, mit denen ich noch aufgewachsen war, ursächlich erklären konnte: das Falschgeldsystem des Dollars, des Euros und all der anderen Monopolzwangs-Währungen. Dieses System ist letztlich nicht nur für den stetigen Kaufkraftschwund bei den Menschen verantwortlich, sondern fast zwingend auch für die heute ganz offen erkennbaren – und von uns seit fast zehn Jahren vorhergesagten – Fehlentwicklungen bei der volksnahen Demokratie, im Rechts- und Sozialstaat, in der Marktwirtschaft und sogar bei der freien Rede und dem logischen Denken. All dies sind aber Errungenschaften der Aufklärung, die von unseren Vorfahren gegen unfehlbare Kirchenobere, absolute Monarchen und deren Paladine blutig erkämpft werden mussten, was eine der zentralen Voraussetzungen für die Blüte der westlichen Zivilisation vor allem im 19. Jahrhundert war. Die allmähliche Abschaffung der (Teil-)Deckung der Währungen durch Gold seit 1913, abgeschlossen dann 1971, war die Ursünde gegen die Natürlichkeit der Gesellschaften, eine Natürlichkeit, die heute in rapidem Maße verloren geht. Wenn beispielsweise in Europa die „Rettungen“ des Euros nicht endlich gestoppt werden, werden wir uns in wenigen Jahren im Zustand der breiten Verarmung der Massen und in einer elitär und streng kontrollierten Planwirtschaft befinden, die wegen der dann umfassend durchsetzbaren Zensur jedenfalls für leistungswillige und geistig freie Menschen einem großen Gefängnis gleichkommen wird.

Seit zehn Jahren dokumentiere ich diese unselige Entwicklung und kämpfe gegen die Demontage der Aufklärung. Die Initiative „Holt unser Gold heim“ auf www.gold-action.de ist ein Randaspekt dieses Kampfes, der eigentlich weit über Deutschland hinausgeht, denn die Fehlentwicklung ist seit 1971 global. Im Gegensatz zum Kalten Krieg gibt es diesmal kein Alternativsystem westlich der großen Mauer. Ich halte es darum für unsere verdammte Pflicht, die Fahne der freien und fairen Geld- und Marktwirtschaft als einzig menschennaher Alternative zum Monopolzwang des Machtgelds weiter hochzuhalten, solange das die leider zunehmende Zensur überhaupt noch zulässt.

Target2 ist neben ESM und Fiskalpakt einer der meistdiskutierten Begriffe. Viele Medien weigern sich nach wie vor anzuerkennen, dass es sich definitiv um Kredite handelt, die beispielsweise im Falle einer Griechenland-Pleite unwiderruflich verloren sind. Wie kann es sein, dass Target2 so unterschiedlich interpretiert wirdeinerseits „harmlos“, andererseits „brandgefährlich“?

Target2 ist ein besonders exemplarisches Beispiel dafür, wie eine im Prinzip „normale“ Sache, konkret ein innereuropäisches Verrechnungskonto der nationalen Zentralbanken, von den Papiergeld-finanzierten Machteliten missbraucht und für ihre Ziele instrumentalisiert wurde. Von 1999 bis etwa 2010 kannte praktisch niemand dieses Target-System, das einzelnen Ländern rein technisch ein Clearing ihrer Zahlungssalden gegenüber anderen Ländernermöglicht. Unausgesprochen dachten die Konstrukteure des Euros vor 1999 dabei an eine Art Dispositionslinie, die zum Beispiel die EZB einzelnen Ländern mit kurzfristigem Zahlungsdefizit einräumen sollte.

Was aber als harmlose Über-Nacht-Kreditlinie begann und bis 2007 auch so funktionierte, wird seit etwa 2008 massiv missbraucht. Dies ganz chronisch zulasten Deutschlands. Seitdem sind in nur vier Jahren auf der Bilanz der Deutschen Bundesbank Forderungssalden von 700 Milliarden Euro (zwei Bundeshaushalte!) aufgelaufen. Diese bestehen formal gegen einen abstrakten Schuldner namens ESZB – faktisch rühren sie aber aus Außenhandels- und Zahlungsbilanzüberschüssen Deutschlands vor allem gegenüber Griechenland, Spanien, Italien und Frankreich her, die seit 2010 chronisch geworden sind und inzwischen absurde Zuwachs-Größenordnungen von über 50 Milliarden Euro pro MONAT(!) erreicht haben.

Wir geben alleine über Target2 derzeit mehr Geld ins Ausland ab, als Deutschland an Steuereinnahmen generiert! Dies ist ein derart unglaublicher Vorgang, dass selbst die Bundesbank und die meisten Medien heute nicht mehr leugnen, dass hier Gelder im Risiko stehen – ganz im Gegensatz zu Anfang 2011, als Prof. Sinn und wir Blogger bei damals noch 300 Milliarden Euro Saldenstand erstmals den Stopp dieser faktischen Subventionierung der PIFGS gefordert haben. Die Debatte heute dreht sich nicht mehr darum, ob die Target-Forderungen Kredit-Charakter haben oder nicht – denn diese Debatte ist bei niemals mehr rückführbaren 700 Milliarden Euro nur noch akademisch. Die Frage kann heute nur noch sein, wie viele dieser Target-Forderungen unter welchen Voraussetzungen abzuschreiben sind. Die meisten Journalisten sind inzwischen auf die Blogger-Linie eingeschwenkt, dass im Falle des Ausscheidens einzelner Target-Schuldner (etwa Griechenland) und erst recht im Falle des Auseinanderbrechens der Eurozone Abschreibungen auf diese Target-Beträge fällig würden. Im Buchhaltungs-Jargon sprechen wir von „Eventual-Verbindlichkeiten“, wobei es inzwischen ja sogar die systemtreuen Mainstream-Spatzen von den Dächern pfeifen, dass diese „Eventualität“ einer Verkleinerung der Eurozone jederzeit eintreten kann, was allerdings per 2012/2013 noch keine Prognose von mir ist! Wie auch immer: Ein Kaufmann wie beispielsweise die Deutsche Bundesbank muss nach geltendem Bilanzrecht Rückstellungen für dieses Abschreibungsrisiko bilden.

Man kann heute nur noch diskutieren, wie viel Prozent Rückstellung angemessen wäre. Meine persönliche Meinung auf Sicht bis 2015/2016 ist 80 Prozent bis nahe 100 Prozent – Letzteres im Falle des Auseinanderbrechens der Eurozone oder gar des aktiven Austritts Deutschlands, denn dann wären wir selbst vertragsbrüchig und müssten die Target-Salden voll abschreiben. Doch selbst „nur“ ein Ausscheiden Griechenlands und damit ein Ausfall der gut 100 Milliarden Euro griechischer Target-Schulden gegen das ESZB würde zu über 30 Prozent von der Deutschen Bundesbank zu tragen sein. Und ich mache darauf aufmerksam, dass alleine nur durch diese minimale Abschreibung die Bundesbank sechsfach insolvent würde, denn ihr Eigenkapital beträgt nur 5 Milliarden Euro! Realistischerweise sind die genannten 700 Milliarden Euro komplett verloren und es ist ein krimineller Akt, dass Monat für Monat derzeit zwischen 20 und 60 Milliarden Euro weiter auflaufen!

Der deutsche Steuermichel wird im Falle des Endes des Euro alleine nur wegen Target2 – also noch ohne die Zusatzverbrechen namens ESM, EZB-Schrottmonetisierung, ELA usw. – vor der Wahl stehen, seine Bundesbank mit über 700 Milliarden Euro neu zu kapitalisieren. Dies liefe darauf hinaus, dass alle 45 Millionen Steuerzahler zwei Jahre lang nur für die Target-Folgekosten aufkommen müssten! Andernfalls müsste man die Bundesbank offen insolvent gehen lassen, was auf einen spektakulären deutschen Staatsbankrott hinausliefe! Ganz nebenbei wäre bei dieser Gelegenheit übrigens auch das deutsche Gold Teil der Insolvenzmasse der Bundesbank, denn auf der gleichen Bilanzseite wie die abzuschreibenden Target2-Forderungen – derzeit 65 Prozent der BuBa-Bilanzsumme – stehen auch die deutschen Goldforderungen auf im Ausland lagerndes Gold, 3400 Tonnen oder knapp 15 Prozent der BuBa-Bilanzsumme.

Teil 2 des Interviews lesen Sie im nächsten TradersJournal am 10.07.2012

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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